Seewölfe Paket 12. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395019
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müssen es versuchen“, flüsterte er, „noch in dieser Nacht, Sigmund.“

      „Ich sage dir noch einmal, es ist Wahnsinn“, gab Haberding ebenso leise zurück, doch ein Hauch von Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. „Hast du einen Plan?“

      „Ja. Ich werde den Wachhabenden in meine Gewalt bringen. Dann benutzen wir ihn als Druckmittel gegen die anderen. Alles muß blitzschnell gehen. Wir werden aus der Festung verschwinden und im Dschungel untertauchen, ehe sie zum Großalarm blasen können.“

      „Wie du es sagst, hört sich das sehr einfach an. Aber wir könnten uns ebensogut selbst aufknüpfen. Erstens schaffen wir es nicht, das Lager zu verlassen, und zweitens müßten wir dann noch die Posten am Palisadentor überrumpeln. Nein, es ist unmöglich. Ganz zu schweigen davon, daß wir mit den verdammten Ketten sowieso nicht viel ausrichten können.“

      „Warte ab“, zischte von Echten, „wir haben Zeit. Die ganze Nacht.“

      Sigmund Haberding sagte nichts mehr. Sie kannten sich nun schon seit vielen Jahren. Wenn Gerhard von Echten sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte er es auch aus. Das Verrückte daran war, daß ihm selbst die verwegensten Pläne bislang immer geglückt waren.

      Diesmal, dachte Sigmund Haberding, ist er ein wenig zu waghalsig. Oder ich bin einfach zu müde, um noch genügend Mut aufzubringen.

      Gerhard von Echten tat unterdessen kein Auge zu. Lange lag er regungslos und beobachtete die Wachtposten, die sich vor dem tiefen Blau des Nachthimmels als deutliche Schattenrisse abzeichneten. Der abnehmende Mond war eine schmale Sichel, die Sterne funkelten wie Edelsteine auf einem samtenen Tuch.

      Die Posten zogen mit gemächlichen Schritten ihre Runde und blieben manchmal stehen, wenn sie einander begegneten. Ihre Gespräche waren gedämpft und unten im Lager nicht zu verstehen. Die Statur des Wachhabenden hatte Gerhard von Echten sich genau eingeprägt. Er war imstande, ihn zweifelsfrei von den anderen zu unterscheiden.

      Zwei Stunden mochten nach dem Hereinbrechen der Dunkelheit vergangen sein, als von Echten beschloß, nicht länger auszuharren. In seiner Umgebung waren bereits seit geraumer Zeit tiefe und regelmäßige Atemzüge zu hören.

      Vorsichtig schälte er sich aus seiner Decke. Ohne sich aufzurichten, begann er mit einer langwierigen Arbeit. Auf der Seite liegend und zusammengekrümmt, gelang es ihm ohne sonderliche Mühe, die unteren Ketten um die Fußgelenke zu wikkeln und das Ende so in die Windungen zu schieben, daß sie unverrückbar festsaßen. Ebenso verfuhr er mit den Ketten an den Handgelenken. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht, als er es geschafft hatte. Schwer atmend streckte er sich auf dem Boden aus und spähte zum Wachgang hinauf.

      Die Posten hatten nichts bemerkt. Er war vorsichtig genug zu Werke gegangen. Die nervliche Anstrengung war größer gewesen als die körperliche.

      Abermals berührte er seinen Freund an der Schulter. Haberding erwachte sofort. Von Echten sah das Weiße in seinen Augen.

      „Halte dich bereit“, flüsterte er. „Ich versuche herauszufinden, wann Wachwechsel ist. Dann werde ich den richtigen Moment abpassen. Weck die anderen rechtzeitig. Ihr müßt eure Ketten um die Gelenke wickeln und sichern. Sobald ich den Wachhabenden überrumpelt habe, nehmt ihr euch die anderen Posten vor. Und dann brauchen wir nur noch zu warten, bis die Ablösung die Brücke hinuntergelassen hat.“

      Sigmund Haberding atmete tief durch.

      „Also gut“, sagte er kaum hörbar. „Ich weiß, daß du es schaffen kannst. Aber ich meine, sie sollten erst die Brücke hinunterlassen, und dann schlagen wir los. Sonst könnte es uns passieren, daß sie uns vom Gatter her zusammenschießen, ohne daß wir eine Chance haben, über den Graben zu gelangen.“

      „Einverstanden. Paß gut auf, daß die anderen so leise wie möglich sind. Ein falsches Geräusch kann alles verderben.“

      Gerhard von Echten kroch los. Flach auf dem Boden bewegte er sich so langsam, unendlich langsam, daß ihm die wenigen Minuten wie eine Ewigkeit erschienen.

      Neben einem der Indios verharrte er. Erst nachdem er nochmals zum Wachgang hinaufgespäht und sich vergewissert hatte, daß keine Gefahr drohte, stieß er dem Mann behutsam mit den Fingerspitzen gegen die Schulter.

      Obwohl er tief geschlafen hatte, blieb der Indio ruhig, erschrak nicht und wußte offenbar sofort, daß er nur von seinesgleichen geweckt worden sein konnte.

      „Hablas español?“ fragte Gerhard von Echten kaum hörbar. „Sprichst du Spanisch?“

      „Si, Señor“, flüsterte der Mann, „ein bißchen.“

      „Hör mir zu“, fuhr von Echten auf spanisch fort, „meine Männer und ich wollen einen Befreiungsversuch wagen. Kann ich auf eure Hilfe rechnen?“

      „Natürlich, Señor. Aber es ist unmöglich. Sie werden es niemals schaffen.“

      „Warte nur ab. Sag mir, wann sie die Wachen wechseln.“

      Der Indio drehte den Kopf und blickte zum Himmel.

      „Sehr bald, wenn der Mond um die Breite eines Daumens gewandert ist.“

      „Ich danke dir, Amigo. Seid bereit, wenn es geschieht. Wenn es gelingt, werden wir alle gemeinsam aus der Festung stürmen.“

      „Ebensogut können wir alle sterben“, erwiderte der Indio tonlos. „Aber es ist kein Unterschied, Señor. Der Tod ist nicht schlimmer als die Gefangenschaft.“

      Gerhard von Echten ließ ihn allein und kroch geräuschlos weiter, auf den Graben zu. Wie ein schwarzes Skelett ragten die Pfähle des Wachganges empor. Die Schritte der Posten klangen hohl auf den Bohlen. Von Echten wußte, daß er einen unschätzbaren Vorteil auf seiner Seite hatte: Die Dunkelheit, die dicht über dem Erdboden lastete, ließ ihn mit der Masse der Gefangenen verschmelzen. Und er kroch so langsam, daß seine Bewegungen den Bewachern nicht auffallen konnten.

      Während seines langwierigen Weges war es vor allem Ungewißheit, die an seinen Nerven zerrte. Was, wenn er den Bohlenweg nicht rechtzeitig erreichte, wenn die Wachablösung das Gatter öffnete, bevor er eingreifen konnte? Trotz dieser inneren Anspannung blieb seine Willenskraft ungebrochen.

      Beinahe erstaunt hielt er inne, als er einen der Pfähle erreichte, auf denen die Bohlen des Wachganges ruhten. Nichts war geschehen, niemand hatte ihn bemerkt. Sollte es tatsächlich leichter sein, als er es sich vorgestellt hatte? Nein, er durfte sich nicht dazu verleiten lassen, solche Gedanken zu hegen. Das führte zu Unvorsichtigkeit.

      Die Schritte der Posten klangen langsam und träge wie eh und je. Gerhard von Echten drehte sich auf die Seite, um die Lage erfassen zu können. Seine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt. Das Gatter mit der hochgezogenen Brücke befand sich etwa zehn Schritte rechts von ihm. Er spähte zum Bohlenweg hinauf und suchte die Schattenrisse der Soldaten.

      Da!

      Der Wachhabende näherte sich von links. Seine Statur war unverwechselbar. Von Echten schätzte die Entfernung auf höchstens zwanzig Schritte. Er hielt den Atem an und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Ein anderer Posten schlurfte von rechts heran, weiter entfernt noch.

      Gerhard von Echten spannte die Muskeln. Die Ketten wogen schwer an seinen Hand- und Fußgelenken. Aber er hatte genügend Kraftreserven, um diesen Nachteil auszugleichen. Daran hatte die Schinderei auf der Galeere nur wenig geändert.

      Er sah jetzt, daß er seine Position nicht zu ändern brauchte. Der Wachhabende würde diese Stelle eher erreicht haben als der Posten, der von der anderen Seite herannahte.

      „Hola, Sargento!“ ertönte eine gedämpfte Stimme. „Ich denke, die Burschen sind langsam überfällig.“

      Das mußte der Mann sein, der sich von rechts näherte, folgerte Gerhard von Echten.

      „Halt den Mund, Kerl“, antwortete der Wachhabende knurrend. „Im Zweifelsfall wirst du dann abgelöst, wenn es dem Capitán paßt. Und wenn es ihm gefällt, kann das noch ein paar Stunden dauern.“

      Ein