Hasard zog die Augenbrauen hoch. Die distinguierte Redeweise des Kutschers war allen geläufig. In diesem Fall hatte er sich wohl besonders gewählt ausgedrückt, damit die Zwillinge es nicht begriffen.
„Ich verstehe“, sagte der Seewolf ernst und nickte. „Diesen Aspekt hat Mister Brighton offenkundig nicht in seine Überlegungen einbezogen.“
„Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen, Sir.“
Die beiden Jungen starrten abwechselnd ihren Vater und den Kutscher an. Ihre Mienen waren so entgeistert, als redeten die beiden Männer in einer Fremdsprache. Auch Johannes Lederer hatte Mühe, dem Gespräch zu folgen, denn seine Englischkenntnisse reichten nur für eine Unterhaltung auf durchschnittlichem Niveau.
„Haben wir irgendwie Mist gebaut, Dad?“ fragte Philip junior.
„Oder sollen wir irgendwas nicht wissen?“ fügte Hasard junior hinzu.
„Weder — noch“, versicherte der Seewolf. „Es ist alles in Ordnung. Manchmal braucht ihr eben nicht hinzuhören, wenn Erwachsene sich unterhalten.“
Die Zwillinge wechselten einen vielsagenden Blick. Aber sie verkniffen sich die Bemerkung, daß eben jene Erwachsenen es sich manchmal zu einfach machten. Sollten sie etwas Bestimmtes nicht mitkriegen, dann wurden sie wie Kinder behandelt. Sollten sie jedoch Handreichungen erledigen, dann erwartete man von ihnen, daß sie es genauso zuverlässig taten wie ein Erwachsener. Weil sie aber den Kutscher besonders in ihr Herz geschlossen hatten, verzichteten sie darauf, die Sache breitzutreten.
„Nur eine Frage“, sagte der Seewolf gedehnt, „wie lange wird es noch dauern? Es dreht sich darum, daß ich mit unserem Gast ein paar Worte wechseln möchte.“
Der Kutscher lächelte zum ersten Mal wieder.
„Ich bin gleich fertig, Sir. Die Behandlung war unbedingt notwendig. Unser Freund hätte sich sonst den schönsten Wundbrand zugezogen.“
„Ich weiß das durchaus zu schätzen“, sagte Johannes Lederer, „denken Sie bloß nicht, ich wäre ein undankbarer Hund, auch wenn es sich so angehört hat.“
Der Kutscher lächelte abermals, sagte aber nichts.
„Wir sehen uns auf dem Achterdeck“, entschied Hasard und stieg den Niedergang hinauf.
Auf der Kuhl waren Edwin Carberry und die Männer damit beschäftigt, das Beiboot abzufieren. Außer den Schaufeln lagen Waffen auf den Bodenplanken der Jolle.
„Hopp, hopp, bewegt die müden Knochen, ihr Stinte!“ brüllte der Profos. „Wollt ihr im Stehen einschlafen? Reißt euch gefälligst zusammen, oder ich wickle euch ums Ankerspill, daß ihr später nicht mehr wißt, ob ihr Männer oder Kabelgarn seid!“
Für die Männer war es so etwas wie Begleitmusik. Jeder Handgriff, der an Bord der „Isabella“ zu erledigen war, klappte schnell und reibungslos. Selten hatte es auf den sieben Weltmeeren eine Crew gegeben, die so gut aufeinander eingespielt war wie die Männer des Seewolfs. Trotzdem waren Edwin Carberry und seine Sprüche etwas, das keiner von ihnen missen mochte. Ohne den Hintergrund seiner Stimmgewalt fehlte ihnen etwas bei der harten Arbeit an Bord. Und jeder wußte natürlich auch, daß unter der rauhen Schale des Profos’ ein sehr menschlicher Kern steckte.
„Wollt ihr wohl pullen, ihr Bilgenratten!“ grollte Carberry, als das Boot zu Wasser gelassen war. „Himmel, Arsch und Hafergrütze, soll das eine Tagesreise werden bis zum Strand?“
Immerhin lief das Beiboot schon mit rauschender Fahrt dem Küstenstreifen entgegen. Es hinderte den Profos aber nicht, sein Gebrüll fortzusetzen.
Hasard wandte sich mit versonnenem Lächeln seinem Stellvertreter zu. Auf der Kuhl flitzten die Söhne des Seewolfs in Richtung Kombüse, um irgendwelche Gerätschaften oder Instrumente zu holen, die der Kutscher brauchte. Sonst herrschte ausnahmsweise eine geradezu idyllische Ruhe an Bord der Galeone.
Arwenack, der Schimpanse, hockte auf einer Taurolle auf der Back und hatte beide Arme über den Kopf gelegt. Ob er schlief oder sich nur vor der Sonne schützte, war nicht festzustellen. Sir John, der karmesinrote Papagei, saß wohlgefällig und aufgeplustert auf Moses Bills Schulter im Großmars. Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, hatte den Rest der Crew in der Nähe der Kuhlgräting um sich geschart. Sie hatten all das Tuch aus der Segellast geholt, das noch ausgebessert werden mußte. Die Ruhe, die sie nach dem Zwischenfall mit den Spaniern hatten, mußte genutzt werden.
War es nur eine Ruhe vor dem Sturm?
„Ich werde das Gefühl nicht los“, sagte Ben Brighton gedehnt, „daß wir mit den Dons noch eine Menge Ärger kriegen werden.“
„Gefühle müssen sich nicht immer bestätigen.“ Hasard nahm das Spektiv und spähte zum Strand. Ed Carberry und seine Männer hatten mit der Arbeit begonnen. Bob Grey und Al Conroy standen mit schußbereiten Musketen abseits. Das Dickicht war wie eine feindselige Wand, die jeden Moment neues Unheil ausspucken konnte.
„Du weißt genau, wovon ich rede, Sir.“
Der Seewolf ließ den Kieker sinken.
„Ich weiß. Aber das Risiko wäre das gleiche gewesen, wenn wir Trinidad und Tobago nordöstlich umsegelt hätten. Mit den Spaniern müssen wir überall rechnen.“
„Sicher. Hier im Golf von Paria lassen sie uns vielleicht noch in Ruhe. Aber vor uns liegt der Drachensund. Da können sie uns höllisch in die Zwickmühle nehmen, wenn sie es darauf anlegen.“
„Ich kenne deine Theorie, Ben. Gerade das ist es, worüber ich mir von dem Deutschen Aufschluß erhoffe.“
„Ich glaube, es ist mehr als eine Theorie. Es ist verdammt lange her, seit wir zuletzt in der Karibik waren. Die Spanier haben in der Zwischenzeit nicht geschlafen. Wenn sie in der Neuen Welt nicht an Boden verlieren wollen, dann müssen sie ganz einfach etwas tun.“
„Gut. Das leuchtet ein. Aber ebensoviel deutet darauf hin, daß König Philipp sich verzetteln könnte. Die neuen Seewege nach Ostindien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Wenn er da den Anschluß verliert, kann es sein, daß andere den Rahm abschöpfen.“
„Trotzdem sollte man die Spanier nicht unterschätzen. Besonders Venezuela dürfte ihnen am Herzen liegen. Silber und andere Edelmetalle soll es hier in unvorstellbaren Mengen geben.“
Hasard nickte. Er wußte, daß Ben Brightons mahnende Worte keineswegs unbegründet waren. Überhaupt hatte der Erste Offizier der „Isabella“ eine gute Nase dafür, wo und wann sich etwaige Schwierigkeiten abzeichnen konnten. Hasard hatte Ben stets ernst genommen. Andererseits war es nicht die Art des Seewolfs, in allen Dingen übervorsichtig zu sein. In diesem Wechselspiel hatten Ben und er sich immer prächtig ergänzt.
Schon als sie vor dem Sturm in den Golf von Paria ausgewichen waren, hatte Ben Brighton seine Bedenken angemeldet. Ben vermutete, daß die Spanier neuerdings verstärkte Aktivitäten an der venezolanischen Küste entfalteten. Nicht unbegründet, denn wenn sie systematisch das Landesinnere zu erforschen gedachten, brauchten sie Ansiedlungen, die ihnen als Stützpunkte dienen konnten.
Bekannt war dem Seewolf auch, welche Rolle Männer wie Johannes Lederer in diesem Zusammenhang spielten. Die Deutschen, die hierzulande ihre vertragsmäßigen Rechte ausschöpfen wollten, wurden den Spaniern einfach zu schlau. Und es war eine verdammt einfache Sache, einen Vertrag für null und nichtig zu erklären. Passende Argumente konnte man sich dafür leicht zurechtlegen.
Johannes Lederer erklomm den Niedergang mit einem weiß leuchtenden Schulterverband. Er verzog verlegen das Gesicht.
„Es sieht aus, als hätte ich eine lebensgefährliche Wunde. Glauben Sie mir, Gentlemen, ich nehme so etwas nicht so ernst.“
„Aber der Kutscher nimmt sein Handwerk ernst“, sagte Ben Brighton lächelnd. „Und dabei läßt er sich von keinem dreinreden.“
„Das habe ich gemerkt.“ Lederer nickte. „Ich möchte Ihnen noch einmal für alles danken, Sir Hasard.“