Seewölfe Paket 12. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395019
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      Anfangs hatte sich Gerhard von Echten gefragt, warum sie nicht ständig an Bord der Galeere angekettet blieben. So war es in den Mittelmeerhäfen üblich. Nur ein Behelfsdach aus Segeltuch wurde für die Nachtruhe über das Galeerendeck gespannt, und es gab Rudersklaven, die für den Rest ihres Lebens keinen anderen Platz mehr sahen als die Bank, an der ihre Ketten festgeschmiedet waren.

      Daß Capitán Gutiérrez eine andere Methode gewählt hatte, war keineswegs aus Menschlichkeit geschehen. Nach kurzer Überlegung hatte Gerhard von Echten sich die Gründe zusammengereimt. Vermutlich war die Zahl der Soldaten, über die der Capitán in Macuro verfügte, zu gering, um einen Bewachungsdienst an Bord der Galeeren im Hafen aufrechtzuerhalten. Da erforderte es wesentlich weniger Männer, um die Gefangenen nach verrichtetem Dienst zusammenzutreiben und beaufsichtigen zu lassen.

      Die träge Marschformation der Ruderknechte schwenkte über den staubigen Appellplatz nach links, von knappen Kommandos der Soldaten dirigiert. Wenig später erblickten Gerhard von Echten und seine Gefährten zum ersten Mal den Ort, an dem sie von nun an ihre meiste Zeit verbringen sollten. Nach ihrer Festnahme waren sie vorübergehend in einer leerstehenden Baracke untergebracht worden.

      Das Gelände war eingezäunt. Erstaunlicherweise ragten die Zaunpfähle nicht mehr als mannshoch auf. In der Länge erstreckte sich die Einzäunung auf mehr als dreihundert Yards. Die Breite, bis an die nördlichen Palisaden der Festung, vermochte Gerhard von Echten nicht abzuschätzen.

      Zwei Soldaten sprangen vor und öffneten ein Gatter. Wie Vieh wurden die Männer hineingetrieben.

      Und dann überfiel die Neuen unter ihnen ein Erschauern, gegen das sie sich nicht wehren konnten. Den Gefangenen stockte das Blut in den Adern. Unwillkürlich verharrten sie, und die Soldaten hinderten sie nicht daran.

      „Seht es euch nur gut an!“ rief einer der Spanier höhnisch. „Dann wißt ihr gleich, was euch blüht, wenn ihr auf dumme Gedanken verfallt!“

      Unmittelbar an der Innenseite der Einzäunung zog sich ein tiefer Graben um das gesamte Lager herum. Fauliger, ekelerregender Geruch stieg zu der Bohlenbrücke herauf, die vom Gatter aus über den Graben führte. Die Breite betrug an der Oberkante gut fünf Yards, die etwas schmalere Sohle mochte zehn Fuß tiefer liegen.

      Stillstehendes, trübes Wasser bedeckte die Grabensohle. Auf den ersten Blick schien es, als lägen Baumstämme wahllos verstreut in der schlammigen Brühe. Doch man brauchte nicht sehr genau hinzusehen, um zu erkennen, um was es sich wirklich handelte. Die Männer unter Gerhard von Echten hatten genügend Tropenerfahrung.

      Krokodile!

      Alligatoren und Kaimane waren es. Eine unüberschaubare Zahl der Riesenechsen fristete auf dem Boden des Grabens ihr träges Dasein. Knochen und Skelettreste von Tieren lagen am Rand der steil abfallenden Böschung. Die Kadaverreste strömten jenen Verwesungsgeruch aus, der in den Männern Übelkeit hervorrief.

      Gerhard von Echten preßte die Zähne aufeinander, daß es schmerzte. Es mochte eine Sinnestäuschung sein, ein Eindruck, der sich aufdrängte, aber ihm war, als befänden sich unter den Skelettresten auch menschliche Knochen. Von Echten schüttelte sich vor Grauen.

      „Weiter jetzt!“ brüllte einer der Soldaten. „Ihr könnt die niedlichen Tierchen noch oft genug begaffen.“ Die übrigen Spanier stimmten grölendes Gelächter an.

      Für den Moment hatten die Männer ihre Müdigkeit und ihre Erschöpfung vergessen, als sie sich wieder in Bewegung setzten. Abscheu und Entsetzen waren stärker als alle anderen Empfindungen.

      Dies konnte nicht einmal durch das Menschenunwürdige des Lagers überdeckt werden. Da gab es weder Baracken noch Schutzdächer aus Segeltuch. Nur eine freie Fläche von etwa dreitausend Quadratmeter innerhalb des Grabens, in dem die blutrünstigen Raubtiere hausten. Dicht gedrängt kauerten die Menschen auf diesem Areal. Außer schmutzigen Decken hatten sie nichts, womit sie sich vor den Witterungseinflüssen schützen konnten. Es mochten an die tausend Gefangene sein, die hier zusammengepfercht waren – einschließlich jener von der „Virgen de Murcia“.

      Am Rand der Innenseite des Grabens gab es außerdem einen Wachgang, der auf acht Fuß hohen Pfählen ruhte und mit einem Geländer aus einfachen Planken abgesichert war. Von diesem erhöhten Bohlenweg aus konnten die Bewacher jeden Punkt des Lagers überblicken.

      Ein offenbar perfektes System.

      Die Ruderknechte von der Prunkgaleere des Capitán Gutiérrez erhielten einen Platz in der Nähe der Brücke zum Gatter zugewiesen. Stumm und regungslos sahen sie zu, wie die Brücke an Ketten hochgezogen wurde, nachdem die Soldaten auf die andere Seite zurückgekehrt waren.

      „Tiere in einem Stall haben ein besseres Leben“, flüsterte Sigmund Haberding nach minutenlangem Schweigen.

      Gerhard von Echten legte ihm die kettenbewehrte Hand auf die Schulter.

      „Wir müssen hier raus, Sigmund. Koste es, was es wolle.“

      Haberding blickte den Freund erschrocken an.

      „Bist du wahnsinnig? Eine Flucht ist unmöglich. Ich habe nichts gegen einen ehrlichen und offenen Kampf, Aber hier …“ Er schüttelte resignierend den Kopf.

      „Warte ab“, raunte von Echten, „wir brauchen ein bißchen Zeit. Es muß einen Weg geben. Davon bin ich überzeugt.“

      Sie waren gezwungen, ihr leise geführtes Gespräch abzubrechen, denn auf dem erhöhten Bohlenweg näherten sich Schritte. Vier Soldaten waren es, die sich breitbeinig vor den Rudersklaven von der „Virgen de Murcia“ aufbauten und geringschätzig zu ihnen hinunterblickten.

      Gerhard von Echten drehte sich nur kurz um und sah, daß es noch zwei weitere Soldaten gab, die an der jenseitigen anderen Seite des Lagers postiert waren. Also sechs Mann insgesamt, und für sie war der Wachdienst kaum bequemer als die bevorstehende Nachtruhe für die Gefangenen.

      „Ein paar Worte an die Neuen“, sagte einer der vier Spanier, ein untersetzter Mann mit dichtem schwarzen Vollbart. An seinem Helm brachen sich funkelnd die Strahlen der untergehenden Sonne. „Ich bin der Wachhabende. Meine Verantwortung ist es, daß hier absolute Ruhe herrscht. Damit ihr gleich Bescheid wißt: Wenn ihr anfangt, Krach zu schlagen, oder irgendeinen idiotischen Versuch zur Rebellion unternehmen solltet, wird sofort geschossen. Für uns spielt es dabei keine Rolle, wen wir treffen. Aber wir sorgen für Ruhe, darauf könnt ihr euch verlassen. Also denkt daran, daß es immer einen Unschuldigen treffen könnte!“ Er stieß einen grimmigen Knurrlaut aus, wie um seine Worte zu bekräftigen. „Was die Verpflegung betrifft, folgendes: Die nächste Mahlzeit kriegt ihr morgen früh nach Sonnenaufgang. Nicht daß ihr auf die Idee verfallt, es gäbe heute abend noch was. Der Verpflegungsplan sieht so aus: einmal morgens im Lager, dann mittags und nachmittags auf der Galeere. Das wär’s, Amigos. Nun schnappt euch eure Decken, und legt euch auch lang. Ihr braucht den Schlaf für morgen, darauf könnt ihr Gift nehmen.“

      Wortlos begannen die Indios, die Decken von dem bereitliegenden Stapel zu verteilen. Es gab kein Gedränge und keine Auseinandersetzungen darum. Jeder wußte, daß es sinnlos war, Kräfte zu vergeuden.

      Unter den Augen der Soldaten auf dem Wachgang betteten sie sich zur Ruhe. Noch eine Weile klirrten die Ketten, bis sie diese so geordnet hatten, daß sie halbwegs entspannt liegen konnten. Der weiche Sandboden war noch warm von der Sonne, die tagsüber heruntergebrannt hatte. Doch mit einem kühlen Hauch kündigte sich schon jetzt die bevorstehende Kälte der Nacht an.

      Die Wachtposten nahmen ihren Rundgang auf dem erhöhten Bohlenweg auf.

      Übergangslos brach die Dunkelheit herein.

      Im Lager der Galeerensklaven herrschte Stille. Wenn Worte gewechselt wurden, so nur unhörbar für die Posten. Deren Schritte klangen hart und rhythmisch auf den Holzbohlen. Auch aus dem Graben der Alligatoren und Kaimane drang kein Laut herauf. Eine trügerische Ruhe jedoch, das wußten die Männer in Ketten.

      In der Festung hatte indessen das abendliche Leben begonnen. Vereinzelt ertönten laute Stimmen, grölendes Gelächter überwiegend. Dann waren auch die Klänge einer Laute zu hören.