Die Soldaten beeilten sich, den Befehl ihres Capitán auszuführen. Vier Mann lösten die Fesseln, mit denen Gerhard von Echten an dem Pfahl festgebunden war. Dann schleiften sie ihn hinüber auf die Bohlenbrücke, wo inzwischen die restlichen Soldaten sowie die Offiziere und Capitán Gutiérrez Aufstellung genommen hatten. Nur zwei Mann waren nötig, um den noch halb bewußtlosen Sigmund Haberding herbeizuschleifen.
Sie lehnten die beiden Deutschen mit den Rücken gegen das Brückengeländer, so daß von Echten und Haberding den Capitán ansehen mußten. Die stoßbereiten Säbel der Soldaten zerstörten jede Hoffnung auf eine Rettung in letzter Minute.
Gutiérrez trat zwei Schritte vor, blieb breitbeinig stehen und legte die Hände auf den Rücken. Aus kalten kleinen Augen fixierte er die beiden Todgeweihten.
„Sehr schön“, sagte er zischend, „wir wollen kein langes Theater veranstalten. Aufgrund des hier geltenden Kriegsrechts verurteile ich euch beide zum Tode. Das Urteil wird sofort vollstreckt. Und zwar von mir. Ihr könnt beten, wenn ihr wollt.“
„Fahr zur Hölle, Spanier“, sagte Gerhard von Echten kalt.
Ein Grinsen kerbte sich in die Mundwinkel des Festungskommandanten.
„Das ist alles?“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Und du?“ Er blickte Haberding an.
Dieser spie dem Capitán vor die Füße. „Das war ebenfalls alles, du Kröte!“
Gutiérrez’ Augen wurden schmal. Deutlich war zu erkennen, wie sich seine Muskeln anspannten.
„Zur Seite!“ herrschte er die Soldaten an, die die Delinquenten in Schach hielten.
Gutiérrez setzte sich ruckartig in Bewegung, hob die Arme und ballte die Hände zu Fäusten. Nur ein kurzer Stoß war erforderlich, um die beiden Wehrlosen in die Tiefe zu den Alligatoren und Kaimans zu befördern.
Der Capitán schaffte nur einen halben Schritt.
Brüllender Donner zerriß die morgendliche Stille. Der rollende Nachhall schien nicht enden zu wollen.
Ramón Marcelo Gutiérrez erstarrte mitten in der Bewegung. Einen Atemzug lang stand er wie gelähmt.
7.
Der Wind wehte mäßig aus Westnordwest, doch er reichte der „Isabella“ für die geringe Fahrt, die dem dichten Nebel angemessen war. Sie waren an der Pfahlbausiedlung vorbeigeschlichen und hätten den Indios buchstäblich in die Kochtöpfe spukken können.
Als sich die erste Galeere aus den milchiggrauen Schwaden herausschälte, ließ Ben Brighton beidrehen. Das Steuerruder wirbelte unter Pete Ballies mächtigen Fäusten, und das Heck der schlanken Galeone schwenkte durch den Wind. Ben Brightons Feuerbefehl folgte zwei Sekunden später.
Alle Mann waren an den Culverinen an Backbord eingesetzt. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, führte das Kommando. Ruhig wartete er den richtigen Augenblick ab, bis die momentane Krängung der Galeone nachließ.
Auch die zweite der an den Piers liegenden Galeeren wurde nun erkennbar. Keine Menschenseele befand sich an Bord der schlanken, flach gebauten Schiffe.
„Feuer!“ gellte der Befehl des Stückmeisters.
Acht Lunten senkten sich gleichzeitig auf die Zündlöcher der schweren Geschütze. Das zischend entflammende Zündkraut ließ dünne Säulen von Pulverrauch emporsteigen. Die Männer sprangen zurück.
Wie mit einem einzigen urgewaltigen Donnerschlag entluden sich die acht Siebzehnpfünder. Grellrot zuckte das Mündungsfeuer aus den geöffneten Stückpforten. Der Rückstoß warf die Culverinen rumpelnd in die Brooktaue.
Durch die mächtige Wolke aufwallenden Pulverrauches war das Krachen und Bersten von Holz zu hören. Teile von Masten und Planken wirbelten in hohem Bogen durch die Luft.
Die Männer unter Ben Brightons und Al Conroys Kommandos stießen frenetisches Jubelgeschrei aus. Doch sofort gingen sie wieder an die Arbeit. Der Stückmeister konnte sich den Befehl zum Nachladen schenken.
Big Old Shane, der Schmied von Arwenack, hatte auf der Back Stellung bezogen. Seelenruhig griff der riesenhafte Mann mit dem wilden grauen Bart nach dem ersten Brandpfeil und legte ihn auf die Sehne seines Bogens.
Der Pfeil zog seine glühende Bahn und traf die vorderste Galeere mittschiffs. Sie bestand nur noch aus einem Chaos hellfaseriger Splitter. Die Breitseite der „Isabella“ hatte das Schanzkleid zerschmettert und das Deck einschließlich Ruderbänken und Masten kahlrasiert.
Während die Geschützbedienungen die Pulverschaufeln in die überlangen Rohre der Culverinen kippten, schoß Big Old Shane Pfeil um Pfeil ab. Die ersten Flammen züngelten auf dem Wrack und auch auf der zweiten Galeere.
In der Festung, die noch unter den Nebelschwaden verborgen lag, wurde es jetzt erst lebendig. Langgezogene Alarmschreie und heisere Befehle waren zu hören.
Ein grimmiges Lächeln spielte um die Mundwinkel Ben Brightons.
„Zwei Strich Backbord, Pete“, sagte er knapp.
„Aye, aye, Sir, zwei Strich Backbord“, wiederholte Pete Ballie und legte Ruder.
Abermals schwang das Heck der schlanken Galeone durch den Wind. Nur Großsegel und Focksegel waren gesetzt, zum Anbrassen blieb den Männern keine Zeit. Sekundenlang schlug das Tuch, doch dann stand es wieder steif unter dem eben ausreichenden Westnordwest. Auf Ostkurs, wie urspünglich, segelte die „Isabella“ in nur fünfzig Yards Entfernung vor den Galionsspornen der vertäut liegenden Galeeren entlang. Fast lautlos glitt das schlanke Schiff der Seewölfe durch den wallenden Nebel, durch den es sich unbemerkt der Festung hatte nähern können.
An Land verdichtete sich das Stimmengewirr.
Al Conroy meldete die Backbordgeschütze feuerbereit.
Aus den Galeeren schlugen jetzt höhere Flammen. Keiner von Big Old Shanes Brandpfeilen war fehlgegangen.
Ben Brighton gab das Kommando für die zweite Breitseite.
Abermals brüllten die mächtigen Geschütze der „Isabella“. Die Rohre spien Feuer und Eisen durch die Stückpforten, und diesmal legten die Siebzehnpfünderkugeln drei Galeeren in Trümmer. Wieder wirbelten Splitter und zerfetzte Planken hoch durch die Luft und erreichten in dichtem Regen auch die „Isabella“. Die Männer zogen die Köpfe ein, suchten Deckung, und dann stimmten sie von neuem heiseres Gebrüll an.
„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“ Ihr Schlachtruf hallte über den Hafen zur Festung hin.
Im nächsten Moment schnitt ein urwelthafter Schlag ihre Stimmen ab. Aus der ersten Galeere stieß eine Stichflamme hoch in den Himmel. Unter der Wucht der Explosion wurden die Nebelschwaden zerrissen und gaben einer schwarzgrauen Wolke von Pulverrauch Platz. Die Druckwelle erreichte auch die Galeone der Seewölfe. Hätten sie nicht ohnehin noch in Deckung gelegen, wären sie umgefegt worden.
Die Explosion der Pulverkammer hatte die Galeere in zwei Teile gerissen. Bug und Heck ragten schräg aus dem flachen Hafenwasser. Im zerborstenen Holz fanden die Flammen rasche Nahrung.
„Nachladen, Sir?“ rief Al Conroy von der Kuhl.
Ben Brighton traf eine schnelle Entscheidung.
„Nein“, entgegnete er energisch. „Alle Segel setzen!“
„Aye, aye, Sir!“ Auf dem Hauptdeck flitzten die Männer los und enterten behende in den Wanten auf.
„Pete!“
„Sir?“
„Geh auf Kurs Südost.“