Der Indio-Vormann und seine Banknachbarn demonstrierten auch diese Bewegung.
„Seht ihr, so einfach ist das. Eigentlich ein Kinderspiel. Ihr könnt froh sein, daß ihr rudern dürft, statt in einem Kerker ohne Licht und Sonne hocken zu müssen.“ Er lachte scheppernd, und dabei sah es aus, als wollten sich die Fettwülste an seinem Oberkörper selbständig machen. „Gut. Die Neuen werden das jetzt mal bankweise und dann alle zusammen üben.“ Er watschelte zwei Schritte in Richtung Achterdeck und zeigte mit der Peitsche auf Gerhard von Echten. „Du bist Vormann, Amigo, und deine Nebenmänner richten sich nach dir! Also los!“
Von Echten gehorchte. Er stellte sich unbeholfener an, als er war, bemühte sich aber, keine schwerwiegenden Fehler zu begehen. Jeder unnötige Peitschenhieb, den er kassierte, konnte sich später als Nachteil erweisen. Nach den ersten vier, fünf Versuchen klappte es zur Zufriedenheit des Stockmeisters.
Die nächsten Bankmannschaften folgten, und sie alle hatten inzwischen begriffen, daß sie sich nach Gerhard von Echtens Beispiel richten und die Peitsche vermeiden mußten. Nach dem abschließenden gemeinsamen Üben stieß der kahlköpfige Koloß einen besänftigten Knurrlaut aus.
„Na fein! Seht zu, daß es genausogut funktioniert, wenn der Capitán nachher an Bord ist. Immerhin“, er setzte ein hinterhältiges Grinsen auf, „müßt ihr euch die Essensrationen erst verdienen. Vergeßt das nicht.“ Er wandte sich abrupt ab und begab sich mit kurzen, schnellen Schritten zurück zur Back, wo er über einen schattigen Stammplatz zum Ausruhen verfügte.
Die Soldaten, die unter dem Kommando des Sargento standen, postierten sich auf dem Plankengang. Offenbar mißtrauten sie den neuen Ruderknechten noch. Erst wenn sie genügend geschunden waren, brauchte man mit etwaiger Aufmüpfigkeit von ihnen nicht mehr zu rechnen.
Die nächste halbe Stunde verrann, ohne daß etwas geschah. Weder die Indios noch die neuen Galeerensträflinge wagten es, ein Wort zu wechseln. Unter der sengenden Sonne rann ihnen allen trotz der Tatenlosigkeit der Schweiß in Strömen über die Haut. Auch den Soldaten war keineswegs behaglich zumute. Sie schwitzten unter ihren Panzern und Helmen und bedachten die Gefangenen, denen sie diesen Einsatz zu verdanken hatten, mit mißbilligenden und teilweise sogar haßerfüllten Blicken.
Unvermittelt wurde die lähmende Stille an Bord durchbrochen.
Schläge einer einzelnen Trommel ertönten im Marschtritt, näherten sich rasch, und es bestand kein Zweifel, daß die „Virgen de Murcia“ das Ziel war. Schon strafften die Soldaten auf dem Plankengang und unter dem Sonnendach ihre Haltung. Der Sargento verharrte zwei Schritte abseits von seinen Männern in Habtachtstellung.
Die Trommelschläge dröhnten jetzt. Schritte polterten auf Holzplanken, und die Männer auf den Ruderbänken spürten, wie das Schiff durch die zusätzliche menschliche Last in kaum merkliche Bewegung geriet.
„Atención!“ brüllte der Sargento. „Achtung!“
Die Soldaten standen schlagartig stocksteif, als hätte man ihnen anstelle des Rückgrats einen Besenstiel in den Rücken geschlagen. Der Unterführer schnarrte seine Meldung herunter.
„Gracias, Sargento“, sagte Capitán Gutiérrez, „danke, danke. Begeben Sie sich mit Ihren Leuten auf die Back. Wir werden ein wenig Verstärkung nötig haben.“
Gerhard von Echten las die Enttäuschung in den Gesichtern der Soldaten. Sie hatten geglaubt, ihre Order wäre mit dem Anketten der Gefangenen beendet gewesen. Aber Gutiérrez dachte nicht daran, sie jetzt schon in das süße Nichtstun der Garnison zu entlassen.
Nachdem die Soldaten der Anordnung gefolgt waren, trat der Capitán mit seinen drei Begleitoffizieren an die Schmuckbalustrade. Gutiérrez hatte seine vermutlich beste Uniform angelegt. Das Wams war mit verschnörkelten goldenen Stickereien besetzt, der schwarze Hut trug Verzierungen im gleichen Muster. Am Gurt aus weichem Schweinsleder hingen Gutiérrez’ Prunkwaffen – links ein Offiziersdolch und rechts eine einschüssige Pistole. Die Griffstücke beider Waffen waren mit Einlegearbeiten und Gravuren in feinstem Silber versehen. Die rote Kniehose des Kommandanten von Macuro endete in mattschimmernden Stulpenstiefeln.
Wohlgefällig ließ Ramón Marcelo Gutiérrez seinen Blick über die neuen Ruderknechte gleiten.
„Wie ich sehe“, stellte er mit falschem Lächeln fest, „habt ihr euch schon recht gut eingelebt, meine lieben deutschen Freunde. Richtet euch nur immer nach allen Vorschriften, und ihr werdet ein feines Leben an Bord meines Schiffes führen. Viel besser, als ihr es eigentlich verdient hättet.“ Er räusperte sich und verschränkte die Arme vor dem fülligen Oberkörper. „Wir unternehmen jetzt eine Inspektionsfahrt nach Punta Peñas, etwa sieben Seemeilen nordöstlich von hier. Achtet mir darauf, daß ihr eure Arbeit ordentlich tut. Ich habe es nicht gern, wenn ich in meiner Ruhe gestört werde, weil das Schiff zu schlingern anfängt.“
Gutiérrez gab ein Handzeichen zum Vorschiff und wandte sich ab. Auf welche Tücken sich die Warnung des Capitán gründete, sollten Gerhard von Echten und seine Männer erst später begreifen. Denn die Schwierigkeiten, mit denen ein Ruderknecht auf einer Galeere bisweilen zu kämpfen hatte, kannten sie alle nicht.
Mittschiffs und auf der Back entstand Wuhling. Die Decksmannschaft, die sich bislang im Logis aufgehalten hatte, löste die Leinen und holte den Buganker ein. Segel wurden nicht gesetzt. Die Gefangenen wagten nicht, sich umzudrehen, denn der Stockmeister war mittlerweile wieder zur Stelle und schritt gemächlich auf dem Plankengang auf und ab, die Hände mit der Peitsche auf den Rücken gelegt.
Während Capitán Gutiérrez und seine Offiziere aus dem Blickfeld der Ruderknechte verschwanden, trat der Trommler an die Schmuckbalustrade und verharrte abwartend.
„Klar zum Ablegen!“ ertönte eine Stimme vom Vorschiff.
Der Stockmeister hob die Peitsche zur Bestätigung und begab sich zum vorderen Ende des Plankengangs, in die Nähe des Trommlers.
„Klar bei Riemen!“ schrie der Kahlköpfige.
Es war wie ein jäher Ruck, der durch die Masse der einhundertfünfzig menschlichen Leiber lief. Der einheitliche Bewegungsablauf funktionierte so präzise, daß der Stockmeister einen mißtrauischen Blick zu den Deutschen warf, als hielte er ihr frühzeitiges Können für Hexerei.
Der erste Trommelschlag erfolgte mit dem zweiten Rudertakt und dann in gleichbleibendem Rhythmus zu jedem weiteren Takt. Rasch nahm die Galeere Fahrt auf. Das Knarren der Riemen auf den Dollen vereinte sich zu einem einförmigen Klang.
Etwa vier Kabellängen von den Piers entfernt ging die „Virgen de Murcia“ auf nordöstlichen Kurs. Auch die Riementechnik, die bei einem solchen Kurswechsel den Mann an der Ruderpinne unterstützte, meisterten die neuen Galeerensträflinge auf Anhieb. An Backbord wurde zweimal drei Takte lang ausgesetzt, während sie an Steuerbord unablässig weiterpullten. Die Kommandos gab der Stockmeister, auf sein Zeichen hin fielen die Backbordruderer wieder in den ursprünglichen Takt ein.
Jemand brüllte einen Befehl vom Achterdeck. Augenblicke später war das Klatschen nackter Fußsohlen auf den Planken zu hören. Die Decksmannschaft enterte in den Wanten auf. Großsegel und Focksegel wurden gesetzt, denn der Wind stand günstig aus Südsüdwest. Das Tuch blähte sich unter der handigen Brise. Die Männer unter Gerhard von Echten wagten nur für einen Moment, sich umzudrehen. Sie sahen, daß die Segel riesige Dämonenfratzen in schillernden Farben trugen. Der Grund für eine solchermaßen grausliche Bemalung mochte darin liegen, daß man auf diese Weise bei den abergläubischen Eingeborenen einen Vorschuß an Respekt erlangte.
Deutlich spürten die Männer auf den Ruderbänken, wie durch die plötzliche Windkraft ein Beben durch den Schiffsrumpf ging und die Fahrt sich abermals steigerte. Dennoch gab es für die Ruderknechte keine Pause. Offenbar, so folgerte Gerhard von Echten, liebte es Capitán Gutiérrez, die Schnelligkeit seines Prunkschiffes bis zur Neige auszukosten.
Noch bewältigten von Echten und seine Gefährten die Arbeit an den Riemen, ohne daß ihnen die Zunge aus dem Hals hing. Lediglich der Schweiß lief ihnen aus allen Poren. Aber sie wußten auch, daß dies nur der Anfang war. Keiner von