Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
Скачать книгу
und verlassener Frauen auf uns zu nehmen, damit er durch solche Fesseln den Mönch unlösbar verstricke und durch die Last gefährlicher Sorgen zerstreue. Gewiß ist es auch vom Teufel, wenn er uns anreizt, das heilige Amt des Klerus zu verlangen, unter dem Vorwande der Erbauung Vieler und aus Liebe zu geistigem Gewinn, wodurch er uns aber nur von der Demuth und Strenge unseres Vorsatzes abkehren will. Obwohl all Dieß unserm Heile und unserm Berufe entgegen ist, so täuscht es doch unter der Hülle einer gewissen Barmherzigkeit und Frömmigkeit leicht die Unerfahrenen und Unvorsichtigen. Denn es ist ähnlich den Münzen des wahren Königs, weil es für den Anfang voll Frömmigkeit scheint, aber es ist nicht geprägt von den gesetzlichen Münzern, d. i. den bewährten und katholischen Vätern, und geht nicht hervor aus der Hauptund Amtswerkstätte ihres Unterrichts, sondern ist heimlich durch Teufelstrug gemacht und wird nicht ohne Nachtheil allen Unerfahrenen und Unwissenden in die Hände gespielt. Obwohl Dergleichen für den Augenblick nützlich und nothwendig scheinen mag, so ist es doch heilsam, es wie ein zwar nöthiges, aber Ärgerniß gebendes Glied von uns abzuschneiden und wegzuwerfen, wenn es auch den Dienst der rechten Hand oder des Fußes zu leisten scheint, sobald es den ächten Grundlagen unseres Berufes entgegen zu sein anfängt und gleichsam den ganzen Körper unseres vorgesteckten Zieles wanken zu machen. Denn es ist besser, ohne das Glied eines Gebotes, d. i. ohne jene Thätigkeit oder jenen Erfolg, im Übrigen gesund und fest zu dauern und gleichsam schwach in’s Himmelreich einzugehen, als mit der Stärke eines solchen Gebotes in ein Ärgerniß zu fallen, das durch eine verderbliche Gewohnheit uns von der Regel der Strenge und der Zucht des angenommenen Vorsatzes trennen und in einen solchen Verlust bringen würde, der keineswegs die künftigen Nachtheile ausgleichen, sondern alle früheren Früchte und die ganze Masse unseres Wirkens im Feuer der Hölle brennen machen würde. Von dieser Art der Täuschungen ist auch in den Sprüchwörtern 52 schön gesagt: „Es gibt Wege, welche dem Menschen recht scheinen, aber ihr Ende führt in die Tiefe der Hölle.“ Und wieder: 53 „Der Böse schadet, wenn er sich mit dem Gerechten verbindet,“ d. i. der Teufel betrügt, wenn er sich mit der Farbe der Heiligkeit bedeckt. „Er haßt aber die Stimme des Beschützers,“ d. i. die Macht der Klugheit, welche aus den Worten und Ermahnungen der Väter kommt.

       21. Von der Täuschung des Abtes Johannes.

      Ich habe erfahren, daß sich darin neulich auch der Abt Johannes, der in Lykon 54 wohnt, getäuscht hat. Denn als er mit erschöpftem und ermüdetem Körper in zweitägigem Fasten Speise und Trank zu nehmen aufgeschoben hatte, da kam, als er am nächsten Tage zur Erfrischung ging, der Teufel in Gestalt eines schwarzen Äthiopiers und sprach zu seinen Füßen niedergeworfen: „Vergib, daß ich dir diese Plage eingegeben habe.“ So sah also jener große und in der Weise der Unterscheidung so vollendete Mann ein, daß er unter dem Scheine dieser ungeziemend geübten Enthaltsamkeit durch die Schlauheit des Teufels hintergangen und durch ein solches Fasten abgehetzt worden sei, daß er dem ermüdeten Körper eine nicht nöthige, sondern dem Geiste sogar schädliche Ermattung auferlegt habe. So war er also getäuscht durch eine falsche Münze, weil er voll Verehrung für das Bild des wahren Königs auf ihr zu wenig untersuchte, ob sie auch gesetzmäßig geprägt sei. — Die letzte Weise nun eines solchen bewährten Geldwechslers, von der wir oben sagten, sie bestehe in der Prüfung des Gewichtes, wird von uns dann vollständig nachgeahmt werden, wenn wir, was immer die Gedanken uns zu thun eingeben, mit aller Genauigkeit wieder und wieder hernehmen, es auf unsere innerliche Waage legen und mit pünktlichster Abwägung untersuchen, ob es vollwiegend sei an öffentlicher Ehrbarkeit, schwer an Furcht Gottes, ganz an Sinn; ob es leicht sei an menschlicher Prahlerei oder irgendwelcher neuerungssüchtigen Anmaßung; ob das Gewicht seines Verdienstes nicht eitle Ehrsucht verkleinert oder Ruhmbegierde angefressen habe. Und so wollen wir es sofort in Vergleich bringen mit dem allgemeinen Probegewicht, d. i. mit den Handlungen und Zeugnissen der Propheten und Apostel, und dann entweder annehmen als vollwerthig und vollkommen und mit jenen im Gleichgewicht, oder wir wollen es als unvollkommen und schädlich und dem Gewichte Jener nicht entsprechend mit aller Vorsicht verwerfen.

       22. Von der vierfachen Art der Unterscheidung.

      Es wird uns also auf die vierfache Art, die wir genannt haben, diese Unterscheidung nöthig sein, nemlich zuerst, daß uns die Materie des ächten oder des gefärbten und täuschenden Goldes nicht unbekannt sei, zweitens, daß wir eben diese Gedanken, die uns Werke der Frömmigkeit vorgaukeln, zurückweisen als falsche, ungesetzliche Münzen, die nemlich fälschlich das Bild des Königs enthalten, da sie nicht gesetzmäßig geprägt sind. Ferner sollen wir jene, welche in dem kostbarsten Golde der hl. Schrift bei ihrer schändlichen und häretischen Auslegung nicht das Bild des wahren Königs, sondern das eines Tyrannen tragen, gleichfalls unterscheiden und verwerfen können; oder wir sollen jene, deren Gewicht und Werth der Rost der Eitelkeit angenagt hat und sie so dem Probegewichte der Väter nicht mehr gleichkommen läßt, als leichte und schadenbringende und zu wenig wiegende Münzen zurückweisen, damit uns nicht begegne, was wir nach dem Gebote des Herrn mit aller Kraft vermeiden sollen, und wir um alles Verdienst und allen Lohn unserer Mühen betrogen werden. „Sammelt euch nicht,“ sagt er, „Schätze für die Erde, wo Rost und Motten sie verzehren, und wo Diebe sie ausgraben und stehlen können.“ 55 Denn wir sollen wissen, daß wir nach dem Worte des Herrn all’ das nur für die Erde sammeln, was wir aus Rücksicht auf Menschenruhm thun; und also ist es gleichsam im Boden verborgen oder in der Erde vergraben oder den verschiedenen Dämonen preisgegeben zur Verwüstung, dem gefräßigen Roste der Ehrsucht oder den Motten des Hochmuthes zur Verzehrung, so daß es zu keinem Nutzen und Vortheil des Verbergenden gereicht. Es müssen also alle Winkel unseres Herzens beständig durchsucht und die Spuren dessen, was in sie hineinsteigt, mit klügster Nachforschung immer beachtet werden, damit dort nicht vielleicht irgend eine geistige Bestie, ein Löwe oder Drache durchkomme und die verderblichen Spuren heimlich eindrücke, durch welche auch den Andern der Zugang in die Tiefen des Herzens bei der Vernachlässigung der Gedanken geöffnet würde. Wenn wir so alle Stunden und Augenblicke die Erde unseres Herzens mit dem evangelischen Pfluge, d. i. mit der beständigen Erinnerung an das Kreuz unseres Herrn, durchfurchen, so werden wir aus uns bald die Schlupfwinkel schädlicher Bestien, bald die Nester giftiger Schlangen berausreissen und hinausstoßen können.

       23. Der Lehrer redet, wenn es die Zuhörer verdienen.

      Als der Greis uns darüber erstaunt und bei den Worten seiner Rede von unersättlicher Begierde entflammt sah, hielt er unsere Sehnsucht bewundernd ein wenig mit dem Vortrag inne und fügte dann wieder bei: Weil denn, Söhne, euer Eifer uns zu einer so langen Unterredung veranlaßt hat und ein gewisses Feuer unserer Besprechung glühendere Sinne leiht in Folge eurer Begierde, so daß ich eben daraus offenbar sehe, wie ihr in Wahrheit nach der Lehre der Vollkommenheit dürstet, so will ich euch noch über die Vortrefflichkeit der Klugheit 56 oder über eine Gnade, welche den höchsten und ersten Rang unter allen Tugenden einnimmt, Einiges auseinandersetzen und ihre Herrlichkeit und Nützlichkeit nicht nur durch die täglichen Beispiele, sondern auch durch die alten Reden und Sprüche der Väter beweisen. Denn ich erinnere mich, daß oft, wenn Einige eine Unterredung hierüber mit Seufzen und Thränen erbaten und ich ihnen einige Lehren mittheilen wollte, ich Dieß durchaus nicht konnte, da mir nicht nur die Kraft der Einsicht, sondern auch die des Wortes so schwand, daß mir nicht beifiel, wie ich sie auch nur mit ein wenig Trost entlassen konnte. Das ist ein klarer Beweis, daß die Gnade des Herrn den Redenden das Wort eingibt je nach dem Verdienste und Verlangen der Hörenden. Da nun der übrige gar kurze Theil der Nacht für unsere Darstellung nicht auszureichen vermag, so wollen wir denselben lieber der Ruhe des Körpers widmen, der ganz sich auflösen müßte, wenn man ihm auch das Wenige verweigern würde, und wir wollen die ganze Entwicklung des Themas für die unverkürzte Untersuchung des kommenden Tages oder der Nacht aufsparen. Das ziemt, sich ja für gute Lehrer der Klugheit, daß sie zuerst darin die Fertigkeit ihrer Einsicht offenbaren, und ob sie jener Tugend fähig sind oder sein können, durch Geduld und dieses Anzeichen bewähren, daß sie von jener Tugend handelnd, welche die Mutter der Mäßigung ist, durchaus nicht in das Laster der Übertreibung fallen, das jener entgegen ist. So würden sie das innerste Wesen und die Natur jener, die sie mit Worten pflegen, in That und Wirklichkeit verletzen. Darin also soll uns die gute Gabe der Klugheit, über welche