Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
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Vortrefflichkeit und die Mäßigung, welche als erste ihr inwohnende Tugend erkannt wird, uns besprechen wollen. Mit diesen Worten nun die Unterredung endend ermahnte Moyses uns, die wir noch voll Begierde an seinem Munde hiengen, ein wenig zu schlafen, und wies uns an, gleich auf dieselben Psiathien (Matten), auf denen wir saßen, zu liegen, nachdem Embrimien (Polster) statt der Kopfkissen unter unser Haupt gelegt waren, die man aus gröberem Papyrus in lange und schlanke Bündel zusammengepaßt hatte. Diese bieten, in Fußes Höhe gleich zusammengebunden, den Brüdern, die beim Mahle sitzen, einen niedern Sitz nach Weise eines Schemels; dann aber wieder, unter den Nacken der Schlafenden gelegt, gewähren sie dem Haupte eine nicht zu harte, sondern nachgiebige und geeignete Stütze. Man hält sie deßhalb für so günstig und passend zum Gebrauche der Mönche, weil sie erstens etwas weich sind und mit wenig Mühe und Geld zu verschaffen, da ja überall an den Ufern des Nil der Papyrus herauswächst, den Jeder, der will, zum Gebrauche unbehindert abschneiden darf; zweitens, weil sie zum Hinund Herlegen, je nachdem es nöthig ist, sehr handsamen Stoffes und leichter Natur sind. Und so ließen wir uns endlich durch das Gebot des Greises zum Schlafen bestimmen, mit Mühe ruhend, theils wegen unserer begeisterten Freude über die entwickelte Unterredung, theils wegen der gespannten Erwartung der versprochenen Untersuchung.

      Zweite Unterredung

      

       des Abtes Moyses über die Klugheit.

       1. Die Klugheit ist nothwendig und eine große Gnade Gottes.

      Nachdem wir also nach Mitternacht ein wenig geschlafen und endlich voll Freude über den Aufgang der Sonne die versprochene Unterredung eben verlangt hatten, da begann der fromme Moyses also: Da ich euch von solcher Glut des Verlangens entflammt sehe, daß ich glaube, es werde nicht einmal die kurze Ruhezeit, die ich der geistigen Unterredung entzog und lieber auf die Erholung des Fleisches verwendet wissen wollte, zur Ruhe eueres Körpers beigetragen haben: so liegt auch mir, wenn ich diesen euern Eifer betrachte, eine größere Sorgfalt ob; denn auch ich muß nun in der Lösung meiner eingegangenen Verpflichtung für eine um so größere Aufopferung sorgen, mit je mehr Aufmerksamkeit ihr, wie ich sehe, mich anhaltet, nach jenem Ausspruch: 57 „Wenn du beim Mahle sitzest am Tische des Mächtigen, so merke wohl auf, was dir vorgesetzt wird, und lege deine Hand an, wissend, daß du Solches bereiten mußt.“ — Da wir also von der Gabe und Tugend der Klugheit sprechen wollen, worauf unsere Rede in der nächtlichen Unterhaltung noch kam, und womit die Disputation endigte, so halten wir es für passend, ihre Vortrefflichkeit zuerst durch Aussprüche der Väter zu zeichnen, damit wir nach Klarlegung der Ansichten und Aussprüche unserer Vorfahren ihren Nutzen und Vortheil nach Möglichkeit von Neuem behandeln, indem wir darstellen, wie in alter und neuer Zeit Viele gefallen und zu Grunde gegangen sind, weil sie diese Tugend zu wenig erlangt hatten und also in verderblichem Falle stürzten. Wenn das durchgenommen ist, werden wir durch die Betrachtung der Wucht ihres Verdienstes und ihrer Gnade kräftiger unterrichtet werden, wie wir sie pflegen und suchen sollen. Es ist das nemlich nicht so eine mittelmäßige Tugend oder eine, die immer durch menschliche Thätigkeit erfaßt werden konnte, wenn sie nicht durch göttliche Gabe und Gnade verliehen ist. Wir lesen nemlich, daß dieselbe unter den edelsten Gaben des hl. Geistes so von dem Apostel aufgezählt werde: 58 „Dem Einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit verliehen, dem Andern der Glaube in demselben Geiste, wieder Einem die Gabe der Heilung in einem Geiste“ und bald darauf: „Dem Andern die Unterscheidung der Geister.“ Dann, nachdem er die ganze Reihe der geistigen Gnadengaben aufgeführt hat, fügt er bei: „Aber all Das wirkt ein und derselbe Geist und theilt es den Einzelnen aus, wie er will.“ Ihr seht also, daß die Gabe der Unterscheidung nicht eine irdische und kleine ist, sondern ein sehr großes Geschenk der göttlichen Gnade. Wenn ein Mönch sie nicht mit aller Anstrengung erstrebt hat und nicht nach einer sichern Regel die in ihm aufsteigenden Geister zu unterscheiden weiß, so muß er wie in blinder Nacht und schwarzer Finsterniß umherirrend nicht nur in jähe, verderbliche Vertiefungen fallen, sondern auch auf ebenem und geradem Wege oft anstoßen.

       2. Der Nutzen der Klugheit wird aus der Unterredung mit dem Abte Antonius bewiesen.

      Ich erinnere mich also, daß einst in meinen Knabenjahren in jener Gegend der Thebais, wo der hl. Antonius wohnte, die Väter zu ihm kamen, um nach Vollkommenheit zu forschen, und daß bei der Unterredung, die von den Abendstunden bis zum Morgenlicht sich ausgedehnt hatte, diese Frage den größten Theil der Nacht wegnahm. Denn sehr lange wurde untersucht, welche Tugend oder Übung den Mönch bei den Fallstricken und Täuschungen des Teufels immer unverletzt bewahren oder wenigstens auf dem rechten Pfad und mit festem Schritt zum Gipfel der Vollkommenheit führen könnte. Da brachte nun Jeder nach seiner Einsicht eine Meinung vor, und die Einen setzten Das in den Eifer der Fasten und Nachtwachen, weil der hiedurch ernüchterte Geist, der die Reinheit des Herzens und Körpers erlangt habe, sich leichter mit Gott eine; — die Andern in die Hingabe und Verachtung aller Dinge, von denen völlig entblößt der Geist, weil ihn keine Fesseln mehr zurückhalten, ungehinderter zu Gott kommen könne; — wieder Andere hielten die Anachoresis für nothwendig, das ist die Einsamkeit und die Stille der Wüste; denn wer hier weile, könne Gott vertraulicher anstehen und ihm besonders anhangen; Einige meinten, daß die Werke der Liebe d. i. der Barmherzigkeit zu üben seien, da diesen der Herr im Evangelium ganz besonders das Himmelreich versprochen habe, da er sagte: „Kommet, ihr Gesegnete meines Vaters, nehmet das Reich in Besitz, das euch von Gründung der Welt an bereitet wurde: denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken“ &c. Als sie nun auf diese Weise verschiedene Tugenden bestimmten, durch welche der Zugang zu Gott mehr gesichert werden könne, und der größte Theil der Nacht durch diese Untersuchung weggenommen war, sagte endlich der hl. Antonius: All’ das, was ihr gesagt habt, ist zwar nothwendig und nützlich für die nach Gott Dürstenden, die zu ihm zu gelangen sich sehnen; aber unzählige Fälle und Versuche Vieler erlauben uns durchaus nicht, in Solches die Hauptgnade zu setzen. Denn ich sah oft Solche, die auf das Strengste den Fasten und Nachtwachen oblagen und sich merkwürdig in der Einsamkeit verbargen, welche ferner die Hingabe alles Vermögens so befolgten, daß sie für sich nicht den Lebensunterhalt eines Tages, oder einen Denar übrig ließen, — welche die Werke der Barmherzigkeit mit ganzer Aufopferung übten: — und Solche sah ich so plötzlich betrogen, daß sie das ergriffene Werk nicht zum entsprechenden Ausgang führen konnten und den höchsten Feuereifer und einen lobenswerthen Wandel mit einem verabscheuungswürdigen Ende beschloßen. Was also hauptsächlich zu Gott führe, können wir klar erkennen, wenn wir die Ursache der Täuschung und des Sturzes Jener genauer untersuchen. Jenen gestattete nemlich, während sie die Werke der genannten Tugenden in Überfluß hatten, allein der Mangel der Klugheit nicht, in denselben bis zum Ende zu verharren. Denn man entdeckt keine andere Ursache ihres Falles, als daß sie, von den Vätern nicht unterrichtet, durchaus nicht im Stande waren, die Weise der Klugheit zu erlangen, welche jede Übertreibung unterlassend den Mönch immer auf königlichem Wege einherschreiten lehrt und ihm weder auf der rechten Seite der Tugend gestattet, sich zu überheben, d. i. im überwallenden Eifer das Maß der rechten Zurückhaltung mit thörichter Anmaßung zu überschreiten, — noch ihm erlaubt, aus Lust an der Erholung sich nach links zu den Lastern zu wenden. d. i. unter dem Vorwande für den Körper zu sorgen, in der entgegengesetztten Schlaffheit des Geistes zu erlahmen. Diese Klugheit nemlich ist’s, welche im Evangelium Auge und Leuchte des Köpers genannt wird nach jenem Ausspruche des Erlösers: 59 „Die Leuchte deines Körpers ist dein Auge; wenn nun dein Auge ungetrübt ist, so wird dein ganzer Körper Licht sein; wenn aber dein Auge schlecht geworden ist, so wird dein ganzer Körper finster sein.“ Das ist so, weil sie alle Gedanken und Handlungen des Menschen unterscheidet und Alles, was zu thun ist, durchschaut und durchleuchtet. Wenn nun sie im Menschen schlecht geworden ist, das heißt, nicht durch wahres Urtheilen und Wissen befestigt, sondern durch irgend welchen Irrthum und Wahn irregeführt, so wird sie unsern ganzen Körper finster machen, d. h. allen Scharfblick des Geistes und all’ unsere Handlungen wird sie dunkel machen, indem sie dieselben mit der Blindheit der Laster und der Finsterniß der Verwirrung umgibt. „Denn,“ sagt der Herr, „wenn das Licht, das in dir ist, Finsterniß ist,