8. Von der Täuschung und dem Falle eines mesopotamischen Mönches.
Es wäre zu lange in einer Erzählung auch die Täuschung jenes mesopotamischen Mönches durchzugehen, der in jener Provinz eine nur sehr Wenigen mögliche Entsagung bewies, die er viele Jahre einzeln in einer Zelle verborgen durchgeführt hatte, zuletzt aber so von teuflischen Offenbarungen und Träumen betrogen wurde, daß er nach so vielen Mühen und Tugenden, durch die er alle dort wohnenden Mönche übertroffen hatte, im kläglichen Falle bis zum Judenthum und zur Beschneidung des Fleisches gedrängt wurde. Denn nachdem der Teufel, um ihn durch die Angewöhnung von Visionen zur Leichtgläubigkeit für die künftige Täuschung zu bringen, lange Zeit nur Wahres als Bote der Wahrheit geoffenbart hatte, zeigte er zuletzt, daß das christliche Volk zugleich mit den Fürsten unserer Religion und unseres Glaubens, den Aposteln und Märtyrern, finster und häßlich und ganz dürr, abgezehrt und ungestalt, dagegen das Judenvolk mit Moses und den Patriarchen und Propheten tanzend in höchster Freude und im hellsten Lichte glänzend sei, und rieth ihm, wenn er lieber des Verdienstes und der Seligkeit dieser theilhaft werden wolle, eilends auch die Beschneidung anzunehmen. Von all Diesen wäre sicherlich Keiner so traurig betrogen worden, wenn sie sich bemüht hätten, die Weise der Klugheit sich anzueignen. So zeigen also die Geschicke und Erfahrungen Vieler, wie gefährlich es sei, die Gnade der Klugheit nicht zu haben.
9. Frage über die Erwerbung der wahren Klugheit.
Darauf sagte Germanus: Sowohl durch die Beispiele der Neuern als durch die Aussprüche der Alten ist mehr als genügend offenbar geworden, daß die Klugheit gewissermaßen die Quelle und Wurzel aller Tugenden sei. Wir wünschen also Unterricht, wie man sie erlangen müsse, oder wie man zu erkennen vermöge, welches die wahre, von Gott stammende und welches die falsche und teuflische sei, damit nach der evangelischen Parabel, welche du in der frühern Abhandlung auseinandergesetzt hast, und die uns befiehlt, bewährte Wechsler zu werden, wir beim Anblick des der Münze aufgeprägten Bildes des wahren Königs zu entscheiden vermögen, was nicht in gesetzlicher Münzstätte geprägt sei, und damit wir Dieß, wie du mit einem vulgären Worte in der gestrigen Unterredung gesagt hast, als Paracharagme (falsche Münze) verwerfen, unterrichtet in jener Kunst, von der du in so ausführlicher und vollständiger Darstellung gezeigt hast, daß der geistige und evangelische Wechsler sie haben müsse. Denn was würde es uns nützen, den Werth dieser Tugend und Gnade zu kennen, wenn wir nicht wüßten, wie wir sie suchen und erlangen sollen?
10. Antwort, wie man die wahre Klugheit besitzen könne.
Darauf sprach Moyses: Die wahre Klugheit wird nur durch wahre Demuth erlangt. Die erste Probe dieser Demuth ist, wenn nicht nur alle Handlungen, sondern auch alle Gedanken der Prüfung der Väter vorbehalten werden, so daß Keiner Etwas seinem Urtheile glaube, sondern in Allem sich bei den Aussprüchen Jener beruhige und durch ihre Lehre erkenne, was er für gut oder bös halten solle. Diese Anleitung wird einen Jüngling nicht nur lehren, auf dem wahren Pfade der Klugheit geraden Weges einherzugehen, sondern ihn auch unverletzt bewahren bei allem Trug und Hinterhalt des Feindes. Denn es wird Einer durchaus nicht getäuscht werden können, wenn er nicht nach seinem Urtheile, sondern nach dem Beispiele der Vorfahren lebt – und es wird der schlaue Feind nicht Denjenigen als Unwissenden täuschen können, der Nichts davon weiß, alle im Herzen entstehenden Gedanken mit verderblicher Scham zu verbergen, sondern sie nach der reifen Prüfung der Väter entweder verwirft oder zuläßt. Sobald nemlich ein böser Gedanke geoffenbart ist, verliert er seine Kraft, und noch ehe das Urtheil der Klugheit ausgesprochen ist, wird die scheußliche Schlange aus ihrem finstern unterirdischen Schlupfwinkel ans Licht hervorgezogen durch die Kraft deines Bekenntnisses und weicht überführt und mit Schande bedeckt von dannen. Denn so lange herrschen ihre schädlichen Einflüsterungen in uns, als sie im Herzen verborgen werden. Und damit ihr die Kraft dieser Lehre lebendiger auffasset, will ich euch eine That des Abtes Serapion erzählen, welche dieser den Jüngern zu ihrer Belehrung häufig mittheilte.
11. Worte des Abtes Serapion von der Kraftlosigkeit geoffenbarter Gedanken und der Gefahr des Selbstvertrauens.
Als ich noch ein Knabe war, sagte er, und mit dem Abte Theon zusammenwohnte, hatte mir der Feind durch seine Versuchung die Gewohnheit beigebracht, nachdem ich mit dem Greise um die neunte Stunde mich gelabt hatte, täglich einen Zwieback in der Brustfalte zu verbergen, den ich dann später, ohne daß Jener es wußte, heimlich aß. Obwohl ich nun diesen Diebstahl meiner Luft zu Lieb und in der Unenthaltsamkeit der einmal eingewurzelten Begierde ohne Aufhören beging, so fühlte ich doch, wenn die trügerische Gier gestillt und ich zu mir selbst gekommen war, über das begangene Verbrechen des Diebstahls mehr Pein, als ich Lust beim Essen gehabt hatte. Als ich nun jeden Tag mich angetrieben fühlte, dieß so beschwerliche Thun trotz der Bitterkeit des Herzens auszuüben, gleich als wäre es mir von den Vögten Pharaos statt der Ziegel aufgegeben, 66 und mich doch nicht herausreissen konnte aus dieser grausamen Tyrannei, da ich mich schämte, dem Greise den heimlichen Diebstahl zu offenbaren, da traf es sich auf Veranlassung Gottes, der mich von diesem Joche der Sklaverei befreien wollte, daß einige Brüder die Zelle des Greises ihrer Erbauung wegen aufsuchten. Als nun nach der Erfrischung die geistliche Besprechung in Gang gekommen war und der Greis in der Antwort auf die vorgelegten Fragen über das Laster der Gefräßigkeit und die Herrschaft der geheimen Gedanken handelte und ihre Natur auseinandersetzte, sowie die furchtbare Herrschaft, welche sie haben, so lange sie verborgen werden, da ward ich getroffen von der Macht der Unterredung und erschreckt von dem anklagenden Gewissen, als glaubte ich, es sei Alles nur deßwegen vorgebracht worden, weil der Herr dem Greise die Geheimnisse meines Herzens geoffenbart hätte, und wurde zuerst zu heimlichen Seufzern bewegt, dann mit der Zunahme der Herzenszerknirschung in offenes Schluchzen und Thränen ausbrechend holte ich den Zwieback, den ich nach meiner lasterhaften Gewohnheit zum heimlichen Essen weggenommen hatte, von der Brust, dieser Mitwisserin und Bewahrerin meines Diebstahls, hervor und bekannte, ihn offen hinlegend, zur Erde niedergeworfen und mit der Bitte um Verzeihung, wie ich täglich heimlich gegessen hätte. Mit reichlich vergossenen Thränen bat ich, daß sie mir vom Herrn die Lösung dieser so harten Gefangenschaft erflehen möchten. Dann sprach der Greis: „Habe Muth, o Knabe, es befreit dich von diesen Banden, auch wenn ich schweige, dein Bekenntniß. Denn über deinen siegreichen Gegner hast du heute triumphirt und ihn stärker durch dein Bekenntniß hinausgestoßen, als du selbst von ihm durch dein Schweigen unterjocht warst. Bisher hast du ihn in dir herrschen lassen, ohne ihn durch eigenen oder fremden Tadel zu beschämen nach jenem Ausspruche Salomons: „Weil nicht schnell Widerspruch geschieht denen, die Böses thun, deßhalb ist das Herz der Menschenkinder voll zu üblen Thaten.“ 67 Und deßhalb wird dich nach dieser Eröffnung der so nichtswürdige Geist nicht mehr beunruhigen können, noch wird die scheußliche Schlange fortan ein Versteck in dir behaupten können, nachdem sie aus der Finsterniß deines Herzens durch dein heilsames Bekenntniß an’s Licht gezogen wurde.“
Noch hatte der Greis diese Worte nicht vollendet, siehe, da kam eine brennende Fackel aus meinem Busen hervor und erfüllte die Zelle so mit Schwefelgeruch, daß die Heftigkeit des Gestankes uns kaum in ihr bleiben ließ. Der Greis nahm die Ermahnung wieder auf und sagte: „Siehe, der Herr hat dir die Wahrheit meiner Worte sichtbar bewiesen, damit du mit eigenen Augen sehest, wie der Anstifter deiner Leidenschaft durch das heilsame Bekenntniß aus deinem Herzen gejagt sei, und damit du durch die sichtbare Austreibung des Feindes erkennest, daß er nach seiner Entdeckung durchaus keinen Platz mehr in dir haben werde.“ Und so ist also, sagte er, nach dem Ausspruche des Greises durch die Kraft meines Bekenntnisses die Herrschaft jener