11. Von der Ewigkeit der Liebe.
Und was wundert ihr euch, wenn jene oben zusammengefaßten Verrichtungen aufhören, da ja der hl. Apostel noch höhere Gaben des hl. Geistes als vorübergehende bezeichnet, während er die Liebe allein als ohne Ende während darstellt, indem er sagt: 14 „Gilt es Weissagungen, sie werden abgethan; gilt es Sprachen, sie werden aufhören; gilt es Wissenschaft, sie wird zerfallen;“ von dieser aber sagt er: „Die Liebe wird nie vergehen.“ Alle Gaben nemlich werden je nach Brauch und Bedarf auf einige Zeit verliehen und nach vollendeter Benützung ohne Zweifel vergehen; die Liebe aber wird zu keiner Zeit aufgehoben, da sie nicht nur in der gegenwärtigen Welt nützlich in uns wirkt, sondern auch in der zukünftigen, wenn die Bürde der körperlichen Noth abgelegt ist, viel wirksamer und herrlicher fortdauern wird. Keinem Mangel und Verderben je preisgegeben wird sie in ewiger Unzerstörbarkeit Gott nur feuriger und inniger anhängen.
12. Frage über die Beharrlichkeit der geistigen Beschauung.
Germanus: Wer nun kann, mit dem gebrechlichen Fleische umkleidet, dieser Beschauung immer so ergeben sein, daß er nie denkt an die Ankunft eines Bruders, an den Besuch eines Kranken, an die Handarbeit oder doch an die Menschenliebe, die man Pilgern oder Ankömmlingen erweisen muß? Wer endlich sollte nicht gestört werden durch die Verpflegung des eigenen Körpers oder durch Sorge? Ferner wünschen wir belehrt zu werden, wie oder in wem der Geist es vermöchte, jenem unsichtbaren und unbegreiflichen Gotte untrennbar anzuhangen?
13. Antwort über die Richtung des Herzens auf Gott und über das Reich Gottes und das des Teufels.
Moyses: Freilich, Gott beständig anhangen und seiner Beschauung sich unaufhörlich hinzugeben, wie ihr sagt, das ist für den Menschen, so lange er mit diesem gebrechlichen Fleische bekleidet ist, unmöglich. Aber es ist uns nothwendig zu wissen, wohin wir die Meinung unseres Geistes fest gerichtet halten müssen, und zu welchem Ziele wir den Blick unserer Seele immer zurückrufen müssen. Kann Dieß der Geist erreichen, so freue er sich und fühle es schmerzlich und mit Seufzen, wenn er davon getrennt ist; er merke es, daß er ebenso oft von dem höchsten Gute weggekommen ist, als er sich getrennt von jenem Anblick betroffen hat, und halte für Unzucht selbst jede nur augenblickliche Entfernung von der Betrachtung Christi. Wenn von ihm unser Blick auch nur ein wenig abgewichen ist, so wollen wir die Augen des Herzens wieder zu ihm wenden und gleichsam in geradester Linie den Blick des Geistes zurückrufen. Denn Alles liegt in der Zurückgezogenheit der Seele. Wenn der Teufel aus ihr getrieben ist und die Laster nicht mehr in ihr herrschen, so wird in sicherer Folge das Reich Gottes in uns gegründet, wie der Evangelist sagt: Das Reich Gottes wird nicht kommen in auffallender Weise, und man wird nicht sagen: „Sieh’ hier, oder siehe dort ist es; denn wahrlich ich sage euch, das Reich Gottes ist in euch.“ 15 In uns kann aber nichts Anderes sein als die Kenntniß oder Unkenntniß der Wahrheit und die Vertrautheit entweder mit den Lastern oder mit den Tugenden, wodurch wir entweder dem Teufel oder Christo ein Reich im Herzen bereiten. Die Beschaffenheit dieses Reiches beschreibt auch der Apostel, indem er sagt: 16 „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken. sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im hl. Geist.“ Wenn also das Reich Gottes in uns ist, und wenn es Gerechtigkeit und Friede und Freude ist, dann ist ja der, welcher sich in diesen aufhält, ohne Zweifel im Reiche Gottes; und im Gegentheil sind Jene, welche in Ungerechtigkeit, in Zwietracht und in der Traurigkeit, die den Tod wirkt, leben, im Reiche des Teufels, in der Hölle und im Tode. Denn durch diese Anzeichen wird das Reich Gottes und des Teufels unterschieden. Und in der That, wenn wir mit hohem Geistesblick den Zustand betrachten, in welchem die himmlischen, überirdischen Kräfte leben, die wahrhaft im Reiche Gottes sind, welcher andere Zustand ist dafür zu halten, als der einer immerwährenden, beständigen Freude? Denn was ist der wahren Seligkeit so eigen und so entsprechend als eine beständige Ruhe und immerwährende Freude? Und damit du um so sicherer belehrt werdest, nicht bloß durch mein Urtheil, sondern durch die Autorität des Herrn selbst, daß das Gesagte so sei, so höre ihn, wie er die Beschaffenheit und den Zustand jenes Reiches ganz klar beschreibt: 17 „Siehe,“ sagt er, „ich schaffe neue Himmel und eine neue Erde. und nicht mehr wird das Frühere im Gedächtnisse sein und nicht kommen in’s Herz; sondern ihr werdet euch freuen und jubeln in dem, was ich schaffe, ewiglich.“ Und wieder: 18 „Freude und Frohlocken wird man finden in ihr, Danksagung und die Stimme des Lobes; und es wird sein Mondesfest um Mondesfest und Sabbath auf Sabbath.“ 19 Und wieder: 20 „Freude und Frohlocken werden sie erlangen: fliehen werden Schmerz und Seufzen.“ Und wenn ihr noch Klareres über jenes Leben und die Stadt der Heiligen erkennen wollt, so merket auf Das, was durch die Stimme des Herrn zu Jerusalem selbst gesagt wird: „Und ich werde Setzen,“ sagt er, „als deine Aufsicht den Frieden und als deinen Vorsteher — Gerechtigkeit; nicht wird ferner Ungerechtigkeit in deinem Lande gehört werden, nicht Verödung und Betrübniß in deinen Grenzen; Heil wird stehen auf deinen Mauern und Lobpreis unter deinen Thoren. Nicht wird ferner die Sonne deine Leuchte sein am Tage und nicht der Glanz des Mondes dich erhellen, sondern der Herr wird Dir sein zum ewigen Licht und dein Gott zu deinem Ruhme; nicht wird untergehen fürderhin deine Sonne und dein Mond nicht abnehmen, sondern es wird der Herr dir zum ewigen Lichte sein und ganz zu Ende die Tage deiner Trauer.“ Und deßhalb nennt der hl. Apostel nicht allgemein und schlechthin jede Freude das Reich Gottes, sondern ausdrücklich und genau nur jene, die im hl. Geiste ist. Denn er weiß, daß es auch eine andere tadelnswerthe Freude gibt, von der es heißt: „Diese Welt wird sich freuen“ und: „Weh’ euch Lachenden, weil ihr weinen werdet.“ — Das Himmelreich kann übrigens dreifach aufgefaßt werden: entweder, infoferne die Himmel, d. i. die Heiligen herrschen werden über andere Untergebene nach jener Stelle: „Sei du über fünf Städte und du über zehn!“ Auch gehört hieher, was zu den Jüngern gesagt wurde: „Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und richten die zwölf Stämme Israels;“ oder insoferne die Himmel selbst Anfangs von Christus regiert werden, da nemlich, erst nachdem Alles ihm unterworfen ist, Gott anfangen wird, Alles in Allem zu sein; oder sicher, insofern sie im Himmel mit dem Herrn herrschen werden. 21
14. Über die Einigkeit der Seele.
Obwohl in diesen Körper gebannt, soll doch Jeder wissen, daß er jener Religion, jenem Gefolge werde zugerechnet werden, als dessen Theilnehmer und Verehrer in diesem Leben er sich gezeigt hat, und soll nicht zweifeln, daß er auch in jenem Leben dort Genosse sein werde, wo er sich in diesem als Diener und Mitglied lieber hingeben wollte, nach dem Ausspruche des Herrn, der so sagt: „Wenn Jemand mir dient und mir nachfolgt, so wird, wo ich bin, dort auch mein Diener sein.“ Denn wie das Reich des Teufels angenommen wird dadurch, daß man in den Lastern mit ihm übereinstimmt, so nimmt man das Reich Gottes durch Übung der Tugenden, durch Reinheit des Herzens und geistige Wissenschaft in Besitz. Wo aber das Reich Gottes ist, da hat man ohne Zweifel auch das ewige Leben; und wo das Reich des Teufels ist, da ist ohne Zweifel Tod und Hölle; wer darin ist, kann auch Gott nicht loben nach dem Ausspruch des Propheten, der sagt: 22 „Nicht die Todten werden dich loben, und Alle nicht, die in die Tiefe (ohne Zweifel: der Sünde) steigen; sondern wir, sagt er, die da leben (nicht den Lastern und dieser Welt, sondern Gott), wir preisen den Herrn von nun an bis in Ewigkeit.“ „Denn Niemand ist im Tode, der Gottes gedenket; und in der Tiefe (der Sünde), wer wird den Herrn bekennen?“ 23 Also Niemand. Denn Keiner bekennt den Herrn, wenn er sündigt, auch wenn er sich tausendmal für einen Christen oder Mönch erklärt, seiner gedenkt Gottes, wenn er Das zuläßt, was Gott verabscheut; noch bekennt er sich wahrhaft als einen Diener Desjenigen, dessen Gebote er mit halsstarrigem Leichtsinn verachtet. In diesem Tode ist nach der Erklärung des hl. Apostels jene Wittwe, die in Wohlbehagen lebt, denn er sagt: „Eine Wittwe, die in Genüssen lebt, ist bei lebendigem Leibe todt.“ Es gibt also Viele, die in diesem Leibe lebend todt sind und im Abgrunde liegend Gott nicht loben können. Auf der andern Seite aber gibt es Solche, die, abgestorben dem Leibe nach, Gott im Geiste preisen und loben, nach jener Stelle: „Preiset den Herrn, ihr Geister und Seelen der Gerechten!“
Und wieder: „Jeder Geist lobpreise den Herrn!“ Und in der Apokalypse 24 heißt es, daß die Geister der Getödteten Gott nicht nur loben,