Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
Скачать книгу
und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Nun, Gott ist kein Gott der Todten, sondern der Lebendigen.“ Denn Alle leben ihm. Von diesen sagt der Apostel: 26 „Deßhalb schämt sich Gott nicht, ihr Gott genannt zu werden; denn er hat ihnen eine Stadt bereitet.“ Denn daß die Seelen nach der Trennung von diesem Leibe nicht unthätig sind und nicht ohne Gefühl, das zeigt auch die Parabel des Evangeliums, welche von dem armen Lazarus und dem in Purpur gekleideten Reichen erzählt wird: 27 Der Eine von ihnen erhält zum Lohne den seligsten Platz, d. i. die Ruhe im Schooße Abrahams, der Andere wird durch die unerträgliche Gluth des ewigen Feuers verzehrt. Wenn wir nun auch auf Das merken wollen, was zu dem Räuber gesagt wird: „Heute wirst Du bei mir im Paradiese sein,“ was drückt es offenbar Anderes aus, als daß in den Seelen nicht nur die frühern Erkenntnisse bleiben, sondern daß sie auch eines Looses genießen, das der Beschaffenheit ihrer Verdienste und Handlungen entspricht. Denn das hätte Gott Jenem keineswegs versprochen, wenn er gewußt hätte, daß seine Seele nach der Trennung vom Fleische entweder des Gefühles beraubt oder in das Nichts aufgelöst werden müßte; denn nicht sein Fleisch, sondern seine Seele sollte mit Christo eingehen in’s Paradies. — Vermeiden, ja mit allem Abscheu verwerfen muß man jene ganz verkehrte Unterscheidung der Häretiker, welche nicht glauben, daß Christus an demselben Tage, an welchem er in die Unterwelt stieg, auch im Paradiese sein konnte, und nun so trennen: Wahrlich sage ich dir heute, — und indem sie hier die Trennung hereinsetzen, fahren sie fort: Du wirst bei mir im Paradiese sein, — so daß also dieß Versprechen nicht als ein sogleich nach Ablauf dieses Lebens erfülltes anzusehen wäre, sondern als ein erst nach Eintritt seiner Auferstehung sich erfüllendes. Sie sehen nicht ein, was der Herr schon vor dem Tage seiner Auferstehung zu den Juden gesagt hatte, die da glaubten, er werde wie sie von menschlichen Bedrängnissen und leiblicher Schwäche festgehalten: „Niemand,“ sagt er, „steigt in den Himmel, ausser wer vom Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Dadurch wird klar bewiesen, daß die Seelen der Verstorbenen nicht nur ihrer Sinneskräfte nicht beraubt werden, sondern auch nicht jener Affekte ermangeln, wie Hoffnung und Trauer, Freude und Furcht, und daß sie schon anfangen Etwas von dem vorauszukosten, was ihnen in jenem allgemeinen Gerichte aufbewahrt wird; daß sie ferner nicht nach der Meinung einiger Ungläubigen, wenn es mit dem irdischen Aufenthalte aus ist, in Nichts sich auflösen, sondern lebendiger fortbestehen und im Lobe Gottes eifriger verharren. Und in der That — damit wir nun die Schriftzeugnisse bei Seite lassen und über die Natur der Seele selbst nach unserer geringen Fassungskraft ein wenig disputiren — geht es denn nicht, ich will nicht sagen über alle Einfältigkeit, sondern über allen Wahnsinn der Thorheit, auch nur leichthin zu vermuthen, daß jener kostbarere Theil des Menschen, in welchem nach dem hl. Apostel das Ebenbild und Gleichniß Gottes sich findet, nach Ablegung dieser körperlichen Bürde, in der er jetzt verborgen ist, seine Fassungskraft verliere, da er doch alle Kraft der Vernunft in sich enthält und auch die stumme und sinnlose Materie des Fleisches durch Theilnahme an sich sinnbegabt macht? Folgt ja doch in allweg und ist in der Ordnung der Vernunft enthalten, daß der Christ, befreit von dieser leiblichen Masse, von der er nun abgestumpft wird, seine Erkenntniskräfte besser entfalten und sie viel eher reiner und feiner erhalte, als daß er sie verliere. So sehr nun erkennt der hl. Apostel die Wahrheit dessen, was wir sagen, daß er sogar wünscht, von diesem Fleische zu scheiden, damit er durch die Trennung von demselben inniger mit Gott sich zu vereinigen vermöge, und so sagt er: „Ich habe Sehnsucht, aufgelöst zu werden und bei Christo zu sein 28 — denn es ist viel besser — weil, so lange 29 wir im Fleische sind, wir in der Fremde sind weg vom Herrn; — und deßhalb sind wir voll kühnen und guten Willens, eher vom Leibe zu scheiden und bei Gott heimisch zu sein. Deßhalb auch bestreben wir uns, sei es ferne oder nahe, ihm zu gefallen.“ So nennt er also das Weilen der Seele, welche in diesem Fleische ist, ein Fernsein vom Herrn und eine Trennung von Christus; dagegen hält er mit vollem Glauben und Vertrauen ihre Lösung von diesem Leibe und ihr Scheiden für die Heimkehr zu Christus. Und noch klarer sagt derselbe Apostel wieder über diesen lebensvollsten Zustand der Seelen: 30 „Ihr seid hinzugetreten zu Sion, der Bergeshöhe und Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, zu der Versammlung vieler tausend Engel und zu der Kirche der Erstgeborenen, die aufgezeichnet sind im Himmel, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten.“ Von diesen Geistern sagt er an einer andern Stelle: 31 „Wir hatten die Väter unseres Fleisches als Gelehrtere 32 und wir verehrten sie; werden wir uns nun nicht viel mehr dem Vater der Geister unterwerfen und so leben?“

       15. Von der Betrachtung Gottes.

      Die Betrachtung Gottes wird in vielfacher Weise geübt; denn Gott wird nicht allein in der Bewunderung seiner unbegreiflichen Wesenheit erkannt, — was ja noch verborgen ist und nur aus der Verheissung gehofft wird, — sondern man sieht ihn auch in der Größe seiner Geschöpfe oder in der Betrachtung seiner Gerechtigkeit oder in der Hilfe seines täglichen Wirkens. So, wenn wir mit ganz reinem Geiste durchgehen, was er mit seinen Heiligen die einzelnen Geschlechter hindurch gethan; wenn wir mit zitternden Herzen bewundern seine Macht, mit der er Alles leitet, ordnet und regiert, und die Unermeßlichkeit seines Wissens und das Auge, welchem die Geheimnisse der Herzen sich nicht verbergen können; wenn wir den Sand des Meeres und die Zahl der Wellen, die er gezählt und erkannt hat, zagend bedenken; wenn wir staunend betrachten, wie die Tropfen des Regens, die Stunden und Tage der Jahrhunderte, wie alles Vergangene und Zukünftige seinem Wissen gegenwärtig ist; wenn wir seine unaussprechliche Milde betrachten, mit der er unzählbare Schandthaten, die jeden Augenblick vor seinem Angesichte begangen werden, mit unermüdeter Langmuth erträgt: wenn wir die Berufung erwägen, mit der er uns ohne vorausgegangene Verdienste durch die Gnade seines Erbarmens aufnahm; wenn wir endlich mit einem gewissen Entzücken der Bewunderung sehen, wie viele Gelegenheiten des Heiles er denen verliehen hat, die er als Kinder annehmen wollte: da er uns so geboren werden ließ, daß selbst von der Wiege an uns die Gnade und die Kenntniß seines Gesetzes überliefert wurde; da er, das Widerstrebende in uns selbst besiegend, nur für die Zustimmung des guten Willens uns mit ewiger Seligkeit und immerwährendem Lohne beschenkt; da er zuletzt den Rathschluß seiner Menschwerdung zu unserm Heile annahm und die Wunder seiner Heilsgeheimnisse bei allen Völkern verbreitete. Es gibt aber auch zahllose andere Betrachtungen dieser Art, die nach Beschaffenheit des Lebens und der Reinheit des Herzens in unserm Geiste entstehen, und durch welche Gott entweder mit reinem Blicke geschaut oder vor Augen behalten wird. Diese wird freilich Keiner immerwährend festhalten, in welchem noch Etwas von den fleischlichen Affekten lebt, denn der Herr sagt: „Du wirst mein Angesicht nicht sehen können; denn nicht wird mich ein Mensch sehen und leben,“ nemlich dieser Welt und den irdischen Leidenschaften.

       16. Frage über die Beweglichkeit der Gedanken.

      Germanus: Wie kommt es nun, daß auch ohne unsern Willen, ja sogar ohne unser Wissen so überflüssige Gedanken sein und heimlich sich anhängen, so daß es eine unmäßige Schwierigkeit ist, sie zu vertreiben, ja sie auch nur zu bemerken und zu entlarven? Kann also der Geist einmal von diesen frei erfunden und niemals mehr von derartigen Bethörungen angegriffen werden?

       17. Antwort, was der Geist vermöge über den Zustand der Gedanken, und was er nicht vermöge.

      Moyses: Daß der Geist nicht von Gedanken gestört werde, ist unmöglich; sie aber anzunehmen oder zu verwerfen, steht in der Macht eines Jeden, der sich eifrig bemüht. Wie also ihr Entstehen nicht ganz von uns abhängt, so steht es doch bei uns, sie zu billigen oder zu erwählen. Es ist also wegen unserer Behauptung, daß es für den Geist unmöglich sei, von Gedanken nicht angegriffen zu werden, nicht gleich Alles entweder dem Andrang oder jenen Geistern zuzuschreiben, welche dieselben uns einzugeben suchen, sonst würde das freie Wahlvermögen im Menschen nicht bleiben, und die thätige Sorge für unsere Besserung wäre nicht in unserer Gewalt; aber ich sage, es steht zum großen Theile bei uns, daß die Beschaffenheit der Gedanken verbessert werde, und daß entweder die heiligen und geistigen in unsern Herzen wachsen oder die irdischen und fleischlichen. Daher wird die häufige Lesung und die beständige Erwägung der hl. Schriften angewendet, damit uns dadurch Gelegenheit geboten sei, das Gedächtniß mit geistigem Inhalt zu erfüllen. Daher das häufige Absingen der Psalmen, damit uns dadurch eine beständige Zerknirschung nahe gelegt werde; daher der Fleiß,