Er schwang das schimmernde Gerüst über sich, verschwand zwischen ragenden Schwingen. Da stand einer im Wagen auf, zeigte mit dem Arm nach ihm. Das glitzernde Flimmern des seidigen Gewebes hatte ihn verraten. Ihre Hände griffen nach den Waffen, legten auf ihn an. Er schwang das Flimmernde über sich. Schüsse krachten. Er hörte das Pfeifen der Kugeln um sich. Da war der Schwingenflieger fertig. Hinein in den Wind! In den Geschoßhagel! Seine Arme schlugen das Gestänge nach unten. Mit einem Riesensatz war er an der Hügelkante … noch einen Schritt weiter, er hob den Fuß, da hatte ihn schon der Sturm gefaßt.
Die Kugeln! Aus vier Maschinenpistolen pfiffen sie um ihn herum.
»Nur keine Stange! Keinen Arm!« murmelte er. Da war er schon über ihren Köpfen. In rasender Fahrt riß ihn der Wind in die Höhe, nach Süden zu. Sie folgten ihm mit ihren Waffen, schossen wild …
Da war er schon außer Schußweite. Tief unten, kaum noch erkennbar, die Landschaft.
»Jetzt wird’s Zeit«, murmelte Tredrup. Mit immer größerer Geschwindigkeit riß ihn der Sturm dem Brande zu. Von Sekunde zu Sekunde wuchs die Gefahr, die Gefahr, in den Sturmwirbel des Flammenmeeres hineingerissen zu werden.
Gewiß! Die Höhenkurve wurde immer steiler, sein Flug ging immer höher … Aber auch immer näher trieb es ihn an die sengende Glut, die in unendliche Höhen hinaufwallte.
Er warf den Schwingenflieger zur Seite. Fast brach ihm der Sturm Gestänge und Arme. Er biß die Zähne aufeinander, trat mit dem Fuß das Tiefensteuer … würde es gehorchen? Würde der Apparat ihm folgen?
Ja! Es schien zu gelingen … langsam neigte sich der Kopf des Schwingenfliegers, zuckte, ruckte, neigte sich tiefer und immer tiefer.
»Gott sei Dank!« stießen seine Lippen heraus. Fixe, gute Arbeit … und jetzt, den guten, treuen Apparat unter sich, nahm er den Kampf mit Sturm und Feuer auf. Kein treibendes Blatt mehr, das, hilflos gaukelnd, im Sturm dahin gerissen wurde … eine lebendige Maschine, von Menschengeist, von Menschenarmen geführt, nach Menschenwillen gelenkt …
Der Kampf begann. Wie ein Schiff im Taifun mit allen Kräften allmählich aus den Wirbeln, die todbringend zum Zentrum ziehen, zu kommen sucht, so drückte er den Schwingenflieger mit übermenschlicher Kraft auf seitlichen Kurs, daß er kreisend um das höllische Flammenmeer herumfuhr. Immer wieder ging sein Blick zur Erde. Da war er an der südlichen Peripherie des Brandmeeres. Weiter ein rasendes Kreisen in wilden Spiralen. Der Kampf mit der anziehenden Kraft der Wirbel trieb ihn im Kreise … aber auch immer höher! Seine Brust atmete schwer. War es die Riesenanstrengung, mit der seine Arme die Steuerflächen bedienten, war es die dünner werdende Luft in dieser Höhe?
Wie hoch hatten ihn die Strudel gerissen? Acht Kilometer, die Höchst-Grenze menschlichen Lebens … er fühlte, wie das Blut seine Adern zu sprengen drohte. Dazu die strahlende Glut! Die Gestänge in seinen Händen wurden heißer und heißer. Die Zunge klebte ihm am Gaumen.
Auf seinem Rücken bewahrte er eine Flasche Wasser. Tantalusqualen!
Er konnte es nicht wagen, danach zu greifen … die Steuerung loszulassen. Seine Kräfte wurden matter. Er schloß die Augen, als wolle er das Unvermeidliche über sich ergehen lassen, den Kampf aufgeben.
»Die Strafe des Schicksals folgt der Tat«, murmelten seine trockenen Lippen …
Ein riesiges, glühendes Wellblechdach, das in tollen Wirbeln sich überschlagend seine Bahn kreuzte, riß ihn aus seiner Betäubung. Das hatte den Weg gefunden aus dem glühenden Zentrum in die Abdrift des Orkans. Mit einer letzten, übermenschlichen Anstrengung drehte er das Tiefensteuer immer weiter herum, riß er das Seitensteuer. Der letzte Versuch …
Da vor ihm flatternd das wirbelnde Blech. Ihm nach! Er starrte hinüber. Da verschwand es aus seiner Sicht. Nein! Nein! Da war es wieder!
Deutlicher, immer deutlicher sah er es jetzt. Er näherte sich ihm … schneller, immer schneller. Er ließ das Tiefensteuer noch einmal hoch und drückte mit scharfem Ruck nach unten. Der Kopf des Fliegers senkte sich, das Gestänge zum Zerspringen gespannt.
Und dann … der Widerstand ließ nach. In sausendem Gleitflug schoß er unter dem Blech hindurch, weg vom Wirbel, weg von den Flammen.
Gerettet! wollte er rufen.
Da, eine Bö hob ihn, warf ihn zurück. Noch einmal das Tiefensteuer!
Der Apparat ächzte, aber er gehorchte. In gleitendem, rasendem Flug schoß er aus dem Zyklon in ruhigeren Äther … schoß weiter, weiter, die Tageshelle hinter sich lassend, in die kühle, rettende Nacht. Eine unendlich wohltuende Müdigkeit überfiel Tredrup. Der Widerstand der Luft wurde so schwach, daß seine ermüdeten Arme sich nur wenig anzustrengen brauchten, um den Albatrosflug des Schwingenfliegers durchzuhalten.
Jetzt endlich konnte er einen Arm frei machen, die Wasserflasche ergreifen, sie an die Lippen führen. Das Wasser war warm! Und doch, wie labte es den vertrockneten Gaumen! In gierigen Zügen sog er die Flasche aus bis zum letzten Tropfen.
Er wandte den Kopf nach Süden. Wohl sah er sie noch, die Riesenfackel, die von der Erde zum Himmel reichte. Aber ihr Licht war schwächer geworden. Die Tageshelle da unten war hier dunkler Nacht gewichen. Er blickte hinauf zum Himmel. Das Meer der Sterne grüßte ihn. Im Augenblick hatte er sich orientiert.
Nach Norden hin! Nach Norden zu den Freunden, zur Heimat!
Wibehafen … das neue Bild! Wie anders war’s noch vor Wochen!
Gewiß! Auch jetzt drängte sich Schiff an Schiff an den Kais. Sie kamen an wie früher, mit Lebensmitteln, mit Ballast. Kehrten zurück mit dem, was die Gruben lieferten. Kohle früher! Jetzt Menschen!
Leer die Riesenschächte! Leer die gewaltigen Fabrikgebäude! Stumm die Maschinen! Alles Lebende auf der Flucht nach Süden. Nichts von den kostspieligen Anlagen, von den Riesenwerften durfte abmontiert, durfte weggeschafft werden.
Menschenleben retten! Die letzten Transporte waren zu machen. Ein paar tausend … Die letzten von den Hunderttausenden, die bis vor kurzem hier gelebt hatten. Die Stadt mit ihren schönen breiten Straßen, den großen, wohlgebauten Häusern bot ein trauriges Bild in ihrer Öde und Verlassenheit.
Das Flugzeug, das, von Süden her kommend, auf dem Flugplatz landete, fand keine Helfer. Die Riesenhalle leer, verlassen.
Uhlenkort sprang hinaus und nahm den Weg zum alten Leuchtturm.
Die Augen geradeaus gerichtet … nicht links, nicht rechts schauend, als könne er den trostlosen Anblick nicht ertragen, ging er seinen Weg. Und wieder war es ihm wie so oft. Als er nun am Fuße des Turmes stand und die Hand an die kalten grauen Quadern legte, ging ein Strom von Zuversicht, von Hoffnung durch sein Herz, verscheuchte alles, was es bedrückte.
Und dann stand er dem Freunde gegenüber, oben in der Laterne des Turmes. Der begrüßte ihn kurz, wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
War es die Nähe des Mannes, war es die Ruhe im Gemach? Uhlenkort ließ sich in einen Sessel nieder. Seine Hand strich über die Stirn, verscheuchte alle Sorgen und Qualen der Tage und Nächte. Er zog eine amerikanische Zeitung aus seiner Tasche und begann zu lesen. Hier ein ausführlicher authentischer Bericht über das Unglück am Augustus-Schacht in Mineapolis. Tredrup … sein Werk! Wo war er jetzt? Hatte er sich gerettet? Die Zeitung schilderte die Vorgänge der Katastrophe in den grellsten Farben. Uhlenkort las, zuckte die Achseln.
Wie verblaßte das alles gegenüber dem, was über Europa gekommen war. Noch einmal überlegte er im Geiste die Tat Tredrups, ihre Notwendigkeit. Ein Herostrat … das Wort stand in den Spalten der Zeitung immer wieder. War es das? War das richtig? Nein! Nein! Schrie es in ihm auf. Es mußte geschehen in berechtigter Notwehr. Und als wollte er sich frei machen von alledem, schlug er die Seite um, las weiter. Flüchtig gingen seine Augen über die gesperrt gedruckten Überschriften. Da!
»Ein freches Piratenstück im Golf von Mexiko!«
Er las …
Der Überfall war anscheinend schon vor Tagen