Er saß in seiner Kabine. Der Funk gab den New Yorker Börsenbericht durch. Er hörte. Da kam es … Die Aktien der New Canal Company … um zehn Punkte gestiegen. Der dritte Tag war es, daß sie sprunghaft in die Höhe gingen. Vor drei Tagen hatte es die amerikanische Presse ihren Lesern mitgeteilt, daß Mr. Rouse, von seiner Krankheit völlig genesen, nach den Staaten zurückkehrte und die Leitung der New Canal Company wieder in die eigene Hand nehmen würde.
Er lachte. Zehn Punkte! Gut! Noch weiter drei Tage so! Dann würde er die Gegenminen springen lassen.
Dann wieder, durch seine Agenten, verstreut in den Großstädten der Welt, kaufen lassen …
Die Enge der Kabine bedrückte ihn. Seine Hände umklammerten die Armlehnen. Die hohe, magere Gestalt zitterte wie im Fieberschauer.
Geld! Macht! Die einzige Leidenschaft, die er kannte – mit furchtbarer Gewalt hatte sie ihn ergriffen, jede Faser seines Leibes sich Untertan gemacht. Der Körper des Mannes bebte unter dieser Leidenschaft wie der Sklave unter der Peitsche des Herrn.
Im Scheinwerferraum des Leuchtturms saßen die beiden Freunde.
Uhlenkort, reisefertig, stand auf.
»So wäre alles für deine Fahrt geordnet. Wäre meine Anwesenheit nicht dringend erforderlich, würde ich dir mein Flugzeug hier lassen. So jedoch geht es nicht. Ich werde es aber sofort nach meiner Ankunft wieder hier herschicken. Du kennst ja die Maschine. Du wirst alle Bequemlichkeiten während der Fahrt haben. Meine einzige Sorge, Johannes, ich spreche sie immer wieder aus, ist, daß der schroffe Klimawechsel deiner Gesundheit schaden könnte. Von Nordpolbreite in Äquatornähe. Ich fürchte für dich. Die einzige Beruhigung ist, daß Tredrup, der Treue, mit dir fahren wird. Er wird für dich sorgen, er wird über dich wachen. Wo er nur bleibt? Er weiß doch, daß ich fahren muß.
Das Flugzeug steht schon auf der Klippe startbereit.«
Er blickte auf die Uhr.
»Ich muß gehen. Zuviel ist für mich zu tun. Die Last ist aber leichter geworden.«
Er reckte seine Gestalt hoch auf.
»Nun, ich sehe, daß der Tag nicht fern ist, der die Schicksalswende bringt. Die Organisation der europäischen Staaten … wie stehe ich jetzt ihr gegenüber? Schicksalswende … auch für Christie Harlessen, für mich.«
Die letzten Worte, unhörbar waren sie gesprochen. Einen Augenblick blickte er ernst zu Boden. Harlessen – Uhlenkort! Im Geist wiederholte er die Worte. Und dann, als schüttle er alle trüben Gedanken ab, wandte er sich dem Freunde zu, drückte ihm die Hand.
»Leb wohl, ich gehe mit geringerer Sorge, weil du auch da mir Trost gegeben.«
Die Tür zum Raum wurde von außen hastig aufgerissen. Schwer atmend, wie erschöpft vom schnellen Lauf, stand Tredrup vor ihnen.
»Uhlenkort! Du bist noch hier … Gott sei Dank!«
»Was ist, Tredrup? Was ist?«
Statt einer Antwort zog Tredrup einen kleinen Zettel aus der Tasche.
»Hier! Hier!« Er schrie es fast. »Christie!«
»Was? Was ist mit Christie?«
Uhlenkort umklammerte dessen Hand, entriß ihm den Zettel. Sein Gesicht war tief erblaßt.
Ein paar Mal schöpfte Tredrup nach Atem. Dann kam es heraugesprudelt, das Unverhoffte, Wunderbare, was ein glücklicher Zufall ihm durch des Äthers Wellen zugetragen hatte.
»Zufall! Glücklicher Zufall, Uhlenkort!«
Er lachte. Eine gewisse Verlegenheit mischte sich darein.
»Du weißt«, es kam etwas stotternd, »ich fuhr mit meiner Belegschaft nach Stettin, wollte sie eigentlich weiter zum Ural bringen. Trennte mich schwer von den Leuten. Ihr Schicksal lag mir sehr am Herzen. Ich wollte wissen, wie ihre Reise verlaufen, wie sie sich an der neuen Arbeitsstelle zurechtfinden würden. Und … hm! Da tat ich etwas … Es war vielleicht, nein, sicherlich nicht ganz richtig … ich gab ihnen die Uhlenkort-Welle. Heute sollten sie mir Nachricht geben. So war’s verabredet. Ein einmaliger Mißbrauch, Uhlenkort! Du wirst verzeihen!
Und …« – er schlug klatschend die Hände zusammen – »es war gut so!
Tredrup und Tredrups Nase, das Glück wollte ihnen wohl. Ich sitze in der Stadt in meinem alten Quartier. Den Empfänger eingeschaltet, höre, was die vom Ural mir erzählen. Nichts sonderlich Gutes.
Das veränderte Klima, sie kamen gerade in die heiße Jahreszeit hinein, das Heimweh. Ich war nicht sonderlich erbaut von dem Gehörten, saß und saß, dachte nach. Die Zeit verging. ›Uhlenkort … Harlessen!‹
klang’s ein paar Mal im Hörer. Ich wollte ihn eben abnehmen. Es betraf mich ja nicht. Da! ›Walter … Christie … !‹
Ganz leise klang’s im Hörer. Ich preßte die Muschel fest ans Ohr. Was war das? Christie? … Harlessen … Uhlenkort. Ich schloß die Augen, schärfte mein Gehör zum Äußersten. Ein Hilferuf? Christie Harlessen?
Nichts anderes konnte es sein. Ich saß, verschlang die Worte, horchte, was weiter kommen würde. Saß, wartete … nichts zu hören, nichts weiter. Ich sagte mir: Das kann nicht sein. Sie muß, sie wird weitersprechen. Und dann klang’s wieder an mein Ohr. Leise, unendlich leise: › … Insel … ‹ das einzige, was ich verstand. Doch sie hatte die ersten Worte wiederholt, sie würde auch die wiederholen. Ich horchte weiter. Andere, neue Worte drangen zu mir: ›Kanal … südwärts … ‹
Dann blieb es unverständlich. Ich riß den Zettel aus meiner Tasche, schrieb mit, wie ich’s verstand … wartete weiter, vielleicht würden die Laute deutlicher. Plötzlich war alles verstummt. Das hier«, er deutete auf den Zettel in Uhlenkorts Hand, »ist, was ich hörte … wie ich es der Reihe nach zusammenstellte: Walter … Hier Christie … Uhlenkort – Harlessen … Insel … Kanal … West zu Südwest …«
Er wandte die Augen zu dem Jugendfreund. Dieser stand abgewandt am Tisch. Uhlenkorts Blicke hafteten an dessen Gestalt, als erwarte er, daß der sich umdrehen und … Nein … der konnte nicht … wollte nicht …
»Vielleicht hätte man es in Hamburg oder in anderen deiner Kontore besser verstanden!« brach Tredrup das Schweigen.
Uhlenkort schaute auf, schlug sich mit der Hand an die Stirn.
»Gewiß! Natürlich! Wie konnte ich das außer acht lassen. Werde sofort anfragen und Befehl geben, daß die Stationen Tag und Nacht besetzt bleiben. Und wenn man den Ruf auch dort nicht besser versteht … sie wird ihn wiederholen … morgen … in den nächsten Tagen.
Einmal wird es, muß es gelingen, ihn unverstümmelt zu hören.«
Er reichte Tredrup die Hand.
»Klaus, ich danke dir.«
»Dank’s Tredrups neugieriger Nase!« erwiderte der lachend. »Ja, ja!
Tredrups neugieriger Nase. Du bist nicht der erste und einzige in der Welt, der diese Eigenschaft konstatiert. Aber …«
Er zuckte die Achseln. »Wieder einmal ist der Beweis erbracht, daß manchmal dabei etwas herauskommt.«
Er schielte leicht zu der Gestalt des anderen.
»… manchmal freilich auch nicht.« Er schüttelte sich wie ein Hund, der im Wasser war.
»Glück auf, Walter Uhlenkort!«
Er ging mit ihm zur Tür, reichte ihm zum Abschied die Hand.
»Tredrups Nase«, er warf einen scheuen Blick zu dem Raum zurück, flüsternd kamen die Worte aus seinem Mund. »Tredrups Nase verspürt guten Wind, Uhlenkort. Mir träumte gestern, es wäre nicht das letzte Mal, daß ich hier oben in Spitzbergen war.«
»Klaus Tredrup, hast du die nächtliche Fahrt ganz vergessen, jene Fahrt nach Süden?