»Dauerhaft, nicht abwaschbar, nur chemische Reinigung, Herr Tredrup, wird Ihren alten Adam wieder erstehen lassen«, hatte er grinsend gesagt, als er den letzten Pinselstrich tat.
»Gebe Garantie, Sie können unbesorgt sein.«
Seit acht Tagen war Tredrup hier. Die weite Reise von Norden hierher war noch weiter geworden durch den Umweg, den er über Swakopmund hatte nehmen müssen. In den Uhlenkortschen Minen mußte – das war nicht ganz leicht – der passende Mann gefunden werden, der bereit war, seine Papiere abzugeben. Das Signalement mußte genau stimmen. Die geheime Polizei des Kaisers hatte ihre Fühler über den ganzen Kontinent ausgestreckt. Schachtarbeiter zu werden: nur zehnmal Gesiebten gelang es.
Tredrup saß, die Rechte mechanisch um den Schalterhebel geklammert, mit der Linken den Hörer am Ohr. Jede Minute konnte die Arbeit beginnen. Er kannte die umständlichen Vorsichtsmaßregeln, mit denen die Sprengstofftransporte nach unten gingen. Er wartete. Sein Ohr hörte das Rollen der Loren, die Kisten um Kisten des Sprengstoffs heranbrachten, abluden, weiterfuhren. In der einen Schicht wird es kaum zu schaffen sein, hatte der andere gesagt. Im Geist überschlug er die Zahl und das Gewicht der Kisten. Ungeheuerlich, was da nach unten ging. Und die Zahlen türmten sich vor ihm auf, immer größer, größer werdend, zu einem Turm. Vor drei Tagen war er im Ingenieurbüro gewesen. Er hatte warten müssen. Eine Tafel an der Wand hatte seine Neugierde erregt. Ein geologisches Profil des Schachtes in großem Maßstabe. Sein Blick ging zu den Stellen am Fuß des Schachtes. Zur Sprengkammer.
Er überlegte lange, zuckte die Achseln. Zu oft hatte er schon daran gedacht. Sein Auge lief die Profilkarte empor. Sein Hirn aufs äußerste gespannt … Da! Achthundert Meter unter Tage die Riesenwasserader!
Es war vor seiner Zeit, als man sie beim Schachtbau anbohrte, nach langen Kämpfen überwand. Wie magnetisiert hafteten seine Augen an der Stelle. An ihr vorüber lief eine Förderung … Förderung Nummer sieben. Wie ein Blitz durchzuckte es ihn. Fast wäre er zurückgetaumelt.
Hier war die Stelle, wo der Riesenbau am leichtesten verwundbar war.
Seine Gedanken waren weitergegangen, setzten Glied an Glied, bis die Kette fertig war. Achtzehn Förderschalen im Ring des Schachtes. Schale sieben, die den Transport besorgte. Sieben die Zahl … Glückszahl. Auf der Fahrt von Spitzbergen anfangend bis hier zum Schacht hatte er alle Möglichkeiten, wie er es tun könnte, tausendfach erwogen, die unmöglichsten Pläne gewälzt.
Was hatte er damals instinktiv gerufen: Unmöglich! Unmöglich! In immer größerer Deutlichkeit war es ihm zu Bewußtsein gekommen.
Und doch! Er hatte sein Wort verpfändet. Ich tu’s! Die Tat Klaus Tredrups! Unlösbar würden die Worte miteinander verbunden bleiben.
Herostrat? Ein Name, aus dunkelster Jugenderinnerung aufgestiegen.
Nein, weg damit!
Das, was ihm Uhlenkort sagte vom Kampf der Rassen, war in seiner Seele haften geblieben, sich entzündend zu einem Feuer, das weiter und weiter wuchs.
Das Telefon rasselte. »Förderschale auf! Transport beginnt!«
Kiste auf Kiste lagerte in der Schale. Hinunter, herauf. Stundenlang das gleiche Spiel.
Die Maschine arbeitete unaufhörlich wie das Hirn Tredrups.
Heute!
Der Gedanke beherrschte ihn, verließ ihn nicht. Heute mußte es geschehen. Sein Geist arbeitete fieberhaft, überschlug die Menge der Ladung, das Fassungsvermögen der Schalen, die Zahl der Kisten. Gab es keine Verzögerung, mußte er gegen Ende der Schicht fertig sein. Die letzte Ladung! Dann oder nie!
Er arbeitete am Hebel, vermied den geringsten Zeitverlust … geizte mit der Sekunde. Die Schale flog nach oben und nach unten. Er sah nach der Uhr. Die Schicht war wie im Fluge vergangen. Zwanzig Minuten noch, dann kam die Ablösung. Das Telefon schrillte:
»Letzte Fahrt!«
Das Schrillen riß an seinen Nerven.
Jetzt oder nie galt’s … mit zitternden Händen griff er in seinen Handwerkskasten. Nahm da und da und da Einzelteile heraus, fügte sie aneinander, verband sie und hüllte das Ganze in einen dunklen Lederbeutel, den er sorgfältig unter seinem Rock verbarg.
Die Mittags-Sonne spiegelte sich in den klaren Fluten der Südsee. Bis in die Unendlichkeit streckte sich das leise atmende, tiefblaue Meer.
Weite Wasserwüste, so weit das Auge reichte.
Da und dort verstreut Gruppen von Koralleninseln, kleinere und größere, und auf ihnen hier und da die schlanken Stämme von Kokospalmen, deren Samen die See auf das jungfräuliche Land geworfen.
Eine dieser Inseln war ganz eigenartig gestaltet! Die zackigen Riffe gleich einer Mauer von Zyklopenhänden errichtet. Hoch über alles emporragend in weitem Kreise zog sich ihr Kranz um eine Lagune, auf dem inneren Rand ein Gewirr von Kokospalmen, die höchsten Spitzen der Riffe überragend. Ein leiser Rauch kräuselte durch die breiten Fächerkronen der Palmen.
Menschen … Menschen? Hier auf weltentlegenem Atoll, fern von jedem Verkehr, von jeder menschlichen Siedlung? Wer konnte hier wohnen? Insulaner? Eingeborene?
Die Insel bot kaum Lebensmöglichkeiten trotz ihrer Größe. Tausend Meter im Durchmesser mochte sie haben. Es war die Stunde des höchsten Sonnenstandes. Die sengenden Strahlen brachten die eingeschlossene Luft in den Wänden des Atolls zum Glühen. Kein menschliches Wesen war zu sehen.
Da! Aus der dunklen Höhlung im inneren Felsenriff trat eine weibliche Gestalt. Sie schritt einer Hängematte zu, die zwischen den Stämmen zweier Palmen ausgespannt war. Ihre Rechte griff nach der Schnur, mit der die Matte an dem einen Palmenstamm befestigt war, als wolle sie den Knoten prüfen.
Nur wer direkt daneben gestanden, hätte den haarfeinen blanken Draht bemerken können, der dabei mit scharfem Stift in den saftstrotzenden Palmenstamm gedrückt wurde, zu der Gestalt weiterlief, in den Falten ihres Gewandes verschwand. Das Taschentuch entglitt ihrer Hand, fiel zwischen zwei Wurzelrippen des Baumes zu Boden. Sie bückte sich, es aufzuheben. Ein winziger Kontakt in der Höhlung zwischen den Wurzeln.
Unter dem Taschentuch griffen ihre Finger danach. Ein kurzer Druck, dann richtete sie sich auf. Und dann legte sie sich in die Matte, streckte sich lang aus. Ihre Hände bargen sich in den Falten ihres Gewandes, sie ruhte. Eine Stunde mochte vergangen sein. Sie warf einen Blick auf die kleine Armbanduhr.
»Mittagsstunde … Mitternacht in Hamburg …«, murmelten ihre Lippen. Die Welle frei in dieser Zeit. Und als hätten die Worte ein leises Hüsteln aus ihrer Brust gelöst, fuhr ihre Rechte mit dem Taschentuch zum Munde. »Walter! Hier Christie! Uhlenkort-Harlessen!«
Die Worte … Ihre Lippen flüsterten sie in das Mikrofon im Taschentuch. Immer wieder! Das leichte Gewand über ihrem Busen hob sich unter den Stößen der wogenden Brust. Immer wieder die gleichen Worte, gesendet auf der Uhlenkort-Welle in den Äther.
Dann … wie müde sank die Hand mit dem Taschentuch zurück. In der ganzen Welt verstreut die Uhlenkortschen Kontore … einmal müßte es glücken! Tagelang schon ging das Spiel, das gewagte Spiel … und dann!
Wieder ging das Taschentuch zum Mund, wieder sprach sie in das Mikrofon. Vielleicht, daß heute einer den Ruf vernahm …
»Koralleninsel … Südsee … gefangen … sechstägige Fahrt vom Kanal … West zu Südwest.«
Wieder, immer wieder die Worte. Die Hand mit dem Taschentuch glitt zurück, ruhte auf der Brust, ging wieder zum Munde.
Wieder der Notruf! Wieder, immer wieder! Die Sonne neigte sich nach Westen. Eine leichte Brise bewegte die breiten Palmenwipfel. Die glühende Hitze in dem Trichter über der Lagune wich langsam der Abendkühle. Sie richtete sich auf, ließ den Blick in die Runde gleiten.
Da drüben auf der anderen Seite der Lagune waren Menschen, Männer …
Sie sprang aus der Hängematte. Wieder glitt ihre Hand zu den Knoten, die die Matte