Der Isthmus riß, riß immer weiter auseinander. Wie schwingende Federn vibrierten die beiden auseinander gerissenen Enden, zitterten unter dem Kampf der unterirdischen Mächte.
Riesengewalten zerrten und rüttelten an dem gemarterten Leibe des Isthmus. Er bebte und spie Feuer von Nicaragua bis Columbia. Und immer neue Massen schleuderte die unterirdische Gewalt zum Himmel empor.
Wie wilde See wellte das Land. Berge fielen um. Wälder stürzten wie Kornhalme unter der Sense des Schnitters. Flußtäler verschwanden, ihr Wasser hierhin und dorthin ergießend. Riesenspalten rissen auf.
Menschen zu Tausenden verwundet, erschlagen … die Überlebenden in sinnloser Flucht umherirrend. Immer breiter wurde die Feuer speiende Spalte. Schon längst kein Kanal mehr. Eine breite, mächtige Bahn jetzt, in der das Seewasser kochte und immer wieder mit Feuer vermischt zum Himmel empor geworfen wurde. Bis endlich die Nacht wich, bis die dunklen Wolken sich verteilten, bis es lichter wurde. Und dann war es ihm, als ob sein Auge über Welten und Meere ging. Der Golfstrom! Da kam er her aus den Breiten des Südens. Er sah ihn an der brasilianischen Küste entlang gleiten, sah ihn hineinfließen in den Golf von Mexiko, den Golf, der ihm den Namen gab, sah ihn sich scharf nach Osten zurückwenden … nein, jetzt brach er sich, bog ab … nein, er folgte der alten Westrichtung, die jetzt kein Hindernis mehr sperrte.
Die Wasser des Stromes stockten, stauten sich, wie sich besinnend, und fuhren durch die offene Sperre in das ihnen bereitete neue Bett.
Er sah sie den Weg nach Westen nehmen, Wärme und Leben in das stille Weltmeer tragen. Seine Sinne wollten schwinden. Sein Auge ging nach Norden. Hinauf zu den lachenden Fluren Schottlands, zu den grünen Wäldern Norwegens und nach Spitzbergen. Er sah sie erstarren, veröden in Frost und Eis. Zusammensinken in Trümmer … menschenleer. Stätten des Todes, des Grauens. Hamburg, die Heimat!
Ein Schrei … sein Herz stieß ihn aus.
Und dann waren es wieder die kühlen, linden Hände, die ihn umfingen, über seine heiße Stirn gingen, ihn befreiten von den Schreckensbildern. Er wachte auf. Seine Hände hielten die des anderen umklammert, zogen sich hoch an ihnen. Seine Augen sahen dessen Augen.
»Johannes! Du! Was war das? War’s Traum, war’s …«
Er fühlte, wie der sich neben ihn setzte, wie dessen Hand seine umfasste.
»Es war Wirklichkeit, was du sahest. Es war das, was kommen wird, kommen muß. Die nächsten Stunden, Tage, sie werden es bringen, wenn … wenn …«
Als ob eine fremde Hand ihm den Mund verschlossen, brach er jäh ab.
Seine Hand suchte Uhlenkorts Hand.
Langsam sprach er weiter.
»Du sahst es und glaubst doch an mich. An meine Mission, die ein Schicksal mir gab. Ein Schicksal, das es auch wollte, daß deine Augen mehr sahen. Das dir einen Teil der Last, einen kleinen Teil der Last auflud.«
»Johannes! Was wird geschehen? Was wird folgen? Wie wird sich das Schicksal der Millionen gestalten, die das Unheil trifft? Schrecken …
Verzweiflung … Untergang für viele Tausende … Ist es unvermeidlich?«
»Das Schicksal will es. Das Schicksal, dasselbe Schicksal, das Rettung bringt für …«
Die Massen, die sich auf Straßen und Plätzen der amerikanischen Städte vor den Lautsprechern und Fernsehgeräten drängten, begannen sich zu zerstreuen. Noch spiegelte sich in Worten und Gebärden die Erregung der letzten Stunden wider.
Der ungeheure Knall der Explosionen, der, tausend Membranen zerbrechend, den Jubel von Millionen hervorrief. Die Schreckensnachricht: Alles auf einmal in die Luft geflogen! Und dann zuletzt: Alles in Ordnung! Die Ozeane vereint. Die ersten Schiffe auf der Fahrt durch den neuen Kanal.
Immer weitere Nachrichten waren in den nächsten Stunden gefolgt.
Aber sie vermochten nichts Besonderes mehr zu bringen. Das Straßenbild gewann das alte Aussehen. Da, um die vierte Stunde! Im Nu stauten sich die Mengen.
Was war es, was die Lautsprecher schrieen?
»Vulkanausbruch bei Colon! Colon zerstört! Kanal gesperrt!
Ungeheure Todesopfer!«
Mit bleichen Gesichtern, stumm hörte die Menge die Nachrichten, die sich überstürzten, immer neue, größere Schrecken meldeten. Die Menschenmasse wuchs von Minute zu Minute. Gesperrt war jeder Verkehr. Neue Nachrichten:
»Riesenvulkan bei Culebra … Der ganze Kanal ein Feuer speiender Schlund … Panama verschlungen … Der ganze Isthmus in Bewegung geraten … zerstört …«
Die Fernsehbilder zeigten Verwüstungen unfaßbaren Ausmaßes. Dann nur noch abgerissene, verstümmelte Nachrichten. dann Schweigen.
Die Menge stand und wich nicht. Allmählich ein Summen, ein Brausen. Die Lippen gewannen die Sprache zurück. Immer wieder der Name der Kanalgesellschaft und ihres Präsidenten. Ein einziger Schrei der Verwünschungen zuletzt.
Und Fragen dann … Der Golfstrom? Europa? Was?
Wie in den Staaten geschah es auf der ganzen Erde. Hunderte von Millionen hörten es, das Ungeheure, hörten und entsetzten sich.
J. H … Der magische Mann, die mystische Gestalt … jetzt war sie überall.
In einem stillen Seitental der Sierra Nevada lag der fürstliche Sommersitz Rouses. In einem kühlen Nordzimmer, geschützt vor den glühenden Strahlen der kalifornischen Sonne, lag Juanita auf einem Ruhebett. Das Antlitz noch bleicher als sonst. Die umschatteten Augen halbgeschlossen. Die schmalen weißen Hände ruhelos auf der Seidendecke, die ihre Gestalt einhüllte.
Ein leichtes Hüsteln kam ab und zu von ihren Lippen. Die Ärzte hatten sie hierher geschickt, obwohl Rouse widerstrebte. Die Krankheit, von der sie sprachen, war ihm nichts als eine vorübergehende Unpäßlichkeit, verursacht durch die anstrengenden Reisen der letzten Wochen. Juanita wußte es besser. In Kapstadt, da geschah es zum ersten Male, als sie nach jene Zusammentreffen mit Tredrup allein in ihrem Zimmer war.
Ein ungekanntes Schwächegefühl hatte sie taumeln lassen. Ein heftiger Schmerz hatte ihre Brust zusammengekrampft. Stundenlang hatte sie gelegen, bis der Anfall überwunden war.
Am nächsten Morgen war sie abgereist. Die frische Seeluft über dem Atlantik hatte ihr die alte Spannkraft wiedergegeben … scheinbar … es war wiedergekommen … stärker. Bis sie nach der Rückkunft von Montegna in ihrem Heim zusammenbrach. Und nun war sie hier, nur mit Widerstreben von Guy Rouse freigegeben.
Wie lange würde sie hier bleiben können? Wie lange würde er sie hier lassen? Nur zu deutlich hatte er ihr gezeigt, wie schwer er sie entbehrte.
Er? Sein Herz? Nein! Sein Geist, dessen Werkzeug sie war …
Willenlos?!
Was war es, was sie an ihn fesselte? Liebe? Hass? Der Rausch, in den er sie damals versetzte, war nur allzu rasch verflogen. Bald mußte sie fühlen, daß er gesättigt war, daß seine Augen nach anderer Schönheit suchten. Ihr Stolz hatte sich aufgebäumt. Fliehen? Wohin? Montegna war ihr verschlossen. Er erriet ihre Gedanken, wie er es auch verstand, in den verborgensten Falten ihrer Seele zu lesen. Und er wollte sie nicht verlieren. Nur zu gut hatte er erkannt, wie nützlich, wie wertvoll dies an Körper und Geist gleich hervorragende Geschöpf ihm bei seinen Plänen war. Als er sah, daß das glänzende Leben allein sie nicht an seiner Seite halten konnte, änderte er sein Verhalten.
Sein faszinierendes Wesen, dem alles unterlag, was mit ihm in Berührung kam, zwang auch sie. Vergeblich rang sie immer wieder dagegen. Sie blieb bei ihm … blieb, schwankend zwischen Neigung und Hass. Wie oft hatte sie in Stunden, wo sie fern von ihm war, geglaubt, sich von ihm lösen zu können. Immer wieder hatte diese rätselhafte Macht, die von ihm ausging, sie besiegt.
Jahre des Kämpfens waren es, bis sie resignierte, bis sie aufgab, bis sie sein willenloses Werkzeug war. Selten nur noch ein kurzes Rebellieren, wenn