Die Bedienten ahmen ihrer Herrschaft nach und indem sie plump nachahmen, lassen sie in ihrem Betragen die Fehler schärfer hervortreten, welche bei jenen der Firniß der Bildung mehr versteckt. In Paris schloß ich auf die Sitten der Damen, die ich kannte, aus dem Tone und Benehmen ihrer Kammerfrauen, und diese Regel hat mich niemals betrogen.
Abgesehen davon, daß die Kammerfrau, wenn sie einmal die Geheimnisse ihrer Herrschaft weiß, ihre Verschwiegenheit dieser theuer verkauft, handelt sie so, wie die andere denkt, und macht deren Maximen offenbar, indem sie sie ungeschickt in Ausübung bringt. In jeder Hinsicht ist das Beispiel der Herrschaft mächtiger, als ihr gebietendes Ansehen, und es wäre nicht natürlich, daß ihre Dienerschaft braver sein wollte, als sie. Mag man doch, so viel man will, schreien, fluchen, mißhandeln, reines Haus machen — mit dem Allen schafft man keine gute Bedienung. Wenn der und der, welcher nichts danach fragt, ob er von seinen Leuten verachtet und gehaßt ist, sich dessenungeachtet gut bedient glaubt, so ist die Sache die, daß er mit dem, was er sieht, und mit einem Scheine von Pünktlichkeit zufrieden ist, ohne tausenderlei Schaden in Rechnung zu bringen, den man ihm immerfort heimlich zufügt, und dessen Quelle er nie entdeckt. Welcher Mensch aber wäre so ehrlos, daß er es ertragen könnte, sich von seiner ganzen Umgebung verachtet zu wissen? Welche Frau wäre so verloren, daß sie nicht noch Gefühl für Schande hätte? Wie viel Damen in Paris und London dünken sich sehr geehrt, ach, und wie würden sie in Thränen zerfließen, wenn sie hörten, was man über sie in ihrem Vorzimmer sagt! Zum Glück für ihre Ruhe dünken sie sich sicher, indem sie diese hundertäugigen Wächter für Tölpel halten und sich schmeicheln, daß dieselben nichts von dem Allen sähen, was sie sich gar nicht vor ihnen zu verstecken bemühen. Diese ihrerseits, in ihrem widerspenstigen Gehorsam, verbergen Jenen ebenso wenig, wie sehr sie sie verachten. Herrschaft und Dienerschaft fühlen beiderseits, daß es nicht der Mühe werth ist, sich einander Achtung abzunöthigen.
Das Urtheil der Bedienten scheint mir der sicherste und empfindlichste Probstein für die Tugend ihrer Herrschaft, und ich erinnere mich, Milord, daß ich mir von der Ihrigen in Wallis eine gute Meinung bildete, ehe ich Sie noch kannte, blos deshalb, weil ich sah, daß Sie ziemlich kurz mit ihren Leuten waren, und daß diese Ihnen dennoch anhingen und in Ihrer Abwesenheit unter einander mit so vieler Achtung von Ihnen sprachen, als ob sie von Ihnen hätten gehört werden können. Man hat gesagt, daß Niemand vor seinem Kammerdiener ein großer Mann sei; möglich! aber dem gerechten Manne ist die Achtung seines Bedienten gewiß; Beweis genug, daß das Großsein nur eitler Flimmer, und daß nichts wahren inneren Werth hat, als die Tugend. Vorzüglich erkennt man die Gewalt ihrer Herrschaft hier in diesem Hause an dem Beifalle der Dienerschaft, der ein um so sichereres Merkmal ist, als er nicht in eitelen Lobsprüchen besteht, sondern in dem natürlichen Ausdrucke dessen, was die Leute wirklich fühlen. Da sie hier nie etwas erfahren, das ihnen den Glauben beibringen könnte, nicht alle Herrschaften glichen der ihrigen, so loben sie an dieser nicht als Tugend, was sie für etwas Gewöhnliches halten; aber sie loben in ihrer Einfalt Gott, daß er Reiche auf Erden eingesetzt hat zum Wohle Derer, die ihnen dienen und zum Heile der Armen.
Das Dienen ist dem Menschen so wenig natürlich, daß es nicht ganz ohne alle Unzufriedenheit bestehen kann. Indessen man hat Achtung vor dem Herrn, und sagt nichts über ihn. Wenn sich einmal ein Bißchen Murren über die Herrin mit einstiehlt, so hat dieses mehr Werth als Lobeserhebungen. Keiner beschwert sich, daß sie es an Wohlwollen für ihn fehlen lasse, sondern nur, daß sie dessen so viel für Andere habe. Keiner mag es leiden, wenn sie eine Vergleichung anstellt zwischen seinem Eifer und dem seiner Kameraden, und Jeder möchte immer der Erste sein in der Gunst, wie er in der Anhänglichkeit der Erste zu sein glaubt; dies ist ihr einziger Grund zu Klagen und ihre größte Ungerechtigkeit.
Mit der Subordination der Untergebenen geht die Eintracht unter den Gleichgestellten Hand in Hand. Dieser Theil der häuslichen Verwaltungskunst ist nicht der leichteste. Unter der Dienerschaft eines Hauses, selbst wenn sie so wenig zahlreich ist wie die hiesige, entspringen aus Eifersucht und Eigennutz unaufhörliche Reibungen, und die Leute sind fast nie einig, außer zum Schaden der Herrschaft. Wenn sie sich mit einander verstehen, so geschieht dies nur, um in Gemeinschaft zu stehlen; wenn sie treu sind, so macht sich Jeder auf Kosten der Uebrigen geltend; sie müssen entweder Feinde oder Mitschuldige sein, und es läßt sich kaum ein Mittel finden, ihre Spitzbübereien und ihre Zänkereien zugleich zu vermeiden. Die meisten Familienväter kennen nur die Wahl zwischen diesen beiden Uebelständen. Die Einen, indem sie den Vortheil höher anschlagen als eine rechtschaffene Gesinnung ihrer Leute, nähren deren Neigung zu heimlichen Hinterbringungen, und glauben ein Meisterstück von Klugheit auszuführen, wenn sie immer den einen zum Aufpasser und Spion des andern machen. Die Andern, bequemere Leute, wollen sich lieber bestehlen lassen, um nur Ruhe im Hause zu haben; sie machen sich eine Art Ehre daraus, daß sie Winke, die manchmal reiner Eifer einem Diener abnöthigt, jederzeit schlecht aufnehmen. Beide Classen greifen gleichermaßen fehl. Die Ersteren erhalten ihr Haus nicht nur in einer beständigen Spannung und Unruhe, die sich mit einem regelmäßigen Gang und guter Ordnung nicht verträgt, sondern umgeben sich mit einem Haufen von Schurken und Angebern, dir sich an dem Verrathen ihrer Kameraden üben, einst vielleicht ihre Herrschaft zu verrathen. Die Letzteren, indem sie durchaus nicht erfahren wollen, was in ihrem Hause vorgeht, geben ihren Leuten Befugniß, sich gegen sie selbst zu verbinden, machen den Schlechten Muth, schrecken die Guten ab, und unterhalten mit großen Kosten einen Haufen von anmaßenden Schuften und Faulenzern, die, zum Schaden der Herrschaft einverstanden, Alles, was sie für diese thun, wie eine Gnade, und daß sie sie bestehlen, für ein Recht ansehen [Ich habe die innere Einrichtung großer Häuser ziemlich genau kennen gelernt undhabe mich überzeugt, daß es für einen Herrn, der zwanzig Bediente hält, unmöglich ist, je mit Sicherheit zu wissen, ob er einen ehrlichen Menschen darunter hat, und nicht für einen solchen gerade den ärgsten Spitzbuben von allen zu halten. Schon dies allein könnte es mir verleiden. ein Reicher zu sein. Eine der süßesten Freuden des Lebens, die Lust, sich den Menschen mit Achtung und Vertrauen hinzugeben, ist für diese Unglücklichen verloren. Ihr Gold kommt ihnen theuer zu stehen.].
Es ist ein großer Irrthum in der Hauswirthschaft wie in der Staatswirthschaft, Laster durch Laster bekämpfen und unter ihnen eine Art Gleichgewicht herstellen zu wollen, als ob das, was die Ordnung untergräbt, je dazu dienen könnte, sie aufzurichten. Man erreicht durch diese falsche Politik nichts weiter, als daß man zuletzt alle Mißstände beisammen hat. Diejenigen Laster, die man in einem Hause duldet, bleiben nicht die einzigen, welche darin herrschen; läßt man eins aufkeimen, so zieht es tausend andere nach sich. Bald machen sie die Diener, die von ihnen befallen sind, zu verlorenen Menschen, richten den Herrn, der sie zuläßt, zu Grunde, verderben die Kinder, oder geben ihnen Aergerniß, denn deren Aufmerksamkeit entgeht nichts, was im Hause geschieht. Was für ein unwürdiger Vater, der den Gedanken fassen könnte, daß irgend ein Vortheil im Stande wäre, das letztere dieser Uebel aufzuwiegen! Welcher brave Mann möchte Familienhaupt sein, wenn es eine Unmöglichkeit wäre, in seinem Hause Frieden und Ehrlichkeit zugleich aufrecht zu halten, und wenn er den Eifer seiner Bedienten nur auf Kosten ihres gegenseitigen Wohlwollens erkaufen könnte!
Wer nur dieses Haus hier gesehen hätte, würde sich's gar nicht einfallen lassen, daß eine solche Schwierigkeit vorhanden sei, so sehr scheint die Eintracht aller Mitglieder desselben aus der Anhänglichkeit, aus der Liebe zu seinen Häuptern, von selbst zu folgen. Hier findet man das sichtliche Beispiel, daß es nicht möglich ist, den Herrn aufrichtig zu lieben, ohne Alles zu lieben, was ihm angehört, eine Wahrheit, welche der christlichen Liebe zur Grundlage dient. Ist es nicht eine ganz natürliche Sache, daß die Kinder desselben Vaters sich unter einander als Brüder behandeln? In der Kirche wird uns dies alle Tage gesagt, ohne daß man es uns fühlen ließe. Die Bewohner dieses Hauses fühlen es, ohne daß es ihnen gesagt würde.
Die Geneigtheit Aller zu einem verträglichen Leben hat ihre erste Wurzel in der Vorsicht, die schon bei ihrer Wahl angewendet wird. Herr von Wolmar sieht bei der Annahme seiner Leute nicht blos darauf, ob sie fürseine Frau und für ihn passen, sondern auch, ob sie unter sich für einander passen. Und wenn man eine deutlich ausgesprochene Abneigung zwischen zwei übrigens guten Dienern fände, so würde dies hinreichend sein, um einen von beiden augenblicklich