Seit die Besitzer dieses Hauses ihre Wohnung in demselben aufgeschlagen haben, ist Alles, was darin nur auf Zierde angelegt war, nützlichen Zwecken dienstbar gemacht worden; es ist nicht mehr ein Haus zum Besehen, sondern zum Bewohnen. Sie haben lange Zimmerreihen abgesperrt, um unbequem angebrachte Thüren zu verlegen; sie haben zu große Räume getheilt, um wohnlichere Gemächer zu gewinnen; altmodische und prächtige Meubles haben sie mit einfacheren und bequemeren vertauscht. Alles ist hier anmuthig und freundlich, Alles athmet Fülle und Sauberkeit, nirgends spürt man Ueberfluß und Pracht; es ist kein Zimmer da, wo man nicht merkte, daß man auf dem Lande ist, und wo man nicht doch alle Bequemlichkeiten der Stadt fände. Außen sind die vorgenommenen Veränderungen ebenso zu spüren: der Hof ist durch Wegnahme von Remisen vergrößert worden. An die Stelle eines alten verfallenen Billards ist eine schöne Kelter getreten, und wo schreiende Pfauen wohnten, die man abgeschafft hat, sieht man eine Milchkammer. Der Küchengarten war zu klein für den Hausbedarf; es ist daher aus dem Blumenparterre ein zweiter gemacht worden, der aber so nett und sinnig angelegt ist, daß das umgeschaffene Parterre besser in's Auge fällt, als in seiner früheren Gestalt. Anstatt der traurigen Eiben, welche die Mauern bedeckten, sind schöne Spaliere angebracht worden. Wo die unnütze Roßkastanie stand, fangen junge, schwarze Maulbeerbäume an, den Hof zu beschatten, und statt der alten Linden, welche den Zugang zum Hause einfaßten, sind zwei Reihen Nußbäume bis zur Landstraße gepflanzt. Ueberall ist das Nützliche an die Stelle des Angenehmen gesetzt worden, und die Annehmlichkeit hat fast immer dabei gewonnen. Ich wenigstens finde, daß das Geräusch des Hofes, das Geschrei der Hähne, das Brüllen des Rindviehes, das Anspannen der Wagen, die Mahlzeiten im Freien, das Heimkommen der Arbeiter und das ganze wirthschaftliche Treiben diesem Hause einen ländlicheren, lebendigeren, heitereren, frischeren Anstrich giebt, etwas Fröhliches und Behagliches, das es zuvor in seiner düstern Würde nicht hatte.
Sie haben ihr Land nicht verpachtet, sondern bewirthschaften es selbst, und durch dieses Wirthschaften gewinnen sie den größten Theil ihrer Beschäftigungen, Einkünfte und Vergnügungen. Die Baronie Étange hat nur Wiesen, Felder und Waldungen; der Ertrag von Clarens aber besteht in Wein von nicht geringem Belange, und da der Unterschied der Culturmethode hierbei von merklicherem Einfluß ist, als bei dem Getreidebau, so ist es zugleich ein ökonomischer Grund, welcher die Familie bewogen hat, dem Aufenthalte in Clarens den Vorzug zu geben. Indessen gehen sie fast jedes Jahr zur Ernte auf ihr Ackergut und Herr v. Wolmar allein ist ziemlich oft dort. Sie haben den Grundsatz, dem Boden den größtmöglichen Ertrag abzugewinnen, nicht um größeren Gewinnes halber, sondern um mehr Leuten Nahrung zu geben. Herr v. Wolmar ist der Meinung, daß das Land desto mehr ausgiebt, je mehr Arme zu seiner Bebauung thätig sind; besser bestellt, trägt es mehr; dieses Mehr der Production macht wieder eine noch bessere Bestellung möglich; je mehr Menschen und Vieh man darauf verwendet, desto mehr Ueberschuß giebt es zu deren Erhaltung. Man weiß gar nicht, sagt er, wo diese immerwährende wechselseitige Steigerung des Ertrages und der Bearbeitung ihre Grenzen findet. Ein vernachlässigter Boden verliert dagegen seine Fruchtbarkeit; je weniger Menschen ein Land erzeugt, desto weniger Lebensmittel bringt es hervor; der Mangel an Bewohnern ist Schuld daran, daß die wenigen, welche da sind, sich nicht ernähren können, und in jeder Gegend, welche sich entvölkert, muß man früher oder später Hungers sterben.
Da sie also viel Land haben und es mit vieler Sorgfalt bestellen, so brauchen sie, außer den Hofknechten, eine Menge von Tagelöhnern, und dies verschafft ihnen das Vergnügen, daß sie, ohne daß es ihnen lästig fiele, vielen Leuten zu leben geben können. Bei der Wahl ihrer Tagelöhner ziehen sie stets den Einheimischen und Den aus der Nachbarschaft dem Fremden und Unbekannten vor. Wenn man auf diese Weise Einiges dadurch verliert, daß man nicht immer die Kräftigsten nimmt, so gewinnt man auf der andern Seite durch die Zuneigung, deren man sich bei Denen, die man als Ortskinder vorzieht, versehen kann, und durch den Vortheil, daß man sie stets um sich hat, und, obgleich man sie nur einen Theil des Jahres bezahlt, doch jederzeit sicher haben kann.
Für alle diese Arbeiter ist ein doppelter Lohnsatz eingeführt, der eine nach Gebühr und Landesbrauch, der ihnen jedenfalls für ihre Arbeit ausgezahlt wird, der andere etwas höher, den man ihnen nur zahlt nach Verhältniß der Zufriedenheit, welche sie sich erworben haben; und es ergiebt sich fast immer, daß das, was sie thun, um sich größere Zufriedenheit zu erwerben, mehr ausmacht, als was sie mehr erhalten! denn Herr v. Wolmar ist streng und genau, und läßt Das, was er als Gunst und Geschenk eingeführt hat, nie in Gewohnheit ausarten. Den Tagelöhnern sind Aufseher gesetzt, welche sie antreiben und unter Augen haben. Als solche dienen die Hofknechte, die selbst arbeiten, und außer dem Lohne, den sie erhalten, bei der Arbeit der Uebrigen mit einem kleinen Procent von allem unter ihrer Mühwaltung sich ergebenden Gewinne betheiligt sind. Außerdem besucht Herr v. Wolmar selbst die Leute fast täglich, oft mehrmals des Tages, und seine Frau nimmt gern an diesen Gängen Theil. Endlich giebt Julie in den Zeiten, wo viel Arbeit ist, alle Wochen demjenigen Arbeiter, gleichviel ob Tagelöhner oder Knecht, welcher nach Ausspruch des Herrn während der acht Tage am fleißigsten gewesen ist, eine besondere Vergütung von zwanzig Batzen. Alle diese Mittel, Wetteifer zu wecken, welche kostspielig scheinen, machen, klug und gerecht angewendet, unvermerkt alle Welt fleißig und bringen zuletzt mehr ein, als sie kosten; aber da man den Nutzen davon erst mit der Zeit und nur durch Ausdauer ernten kann, so verstehen es wenig Leute, oder haben Lust, sie anzuwenden.
Ein noch wirksameres Mittel aber, die Liebe der Leute zu gewinnen, das einzige, bei welchem kein ökonomischer Zweck obwaltet und das mehr der Frau von Wolmar eigenthümlich ist, besteht darin, daß sie selbst ihnen mit Liebe begegnet. Sie glaubt nicht mit Geld die Mühe, welche man sich für sie giebt, gut gemacht zu haben und meint, demjenigen, der ihr Dienste geleistet hat, auch wieder Dienste schuldig zu sein. Arbeiter, Hausleute, Jeder, der ihr gedient hat, wenn auch nur einen einzigen Tag, Alle werden zu ihren Kindern; sie nimmt Theil an ihren Freuden, an ihren Leiden, an ihrem Schicksale; sie erkundigt sich nach ihren Angelegenheiten und nimmt sich derselben an: sie steht ihnen auf tausend Arten bei, giebt ihnen Rathschlage, gleicht ihre Zwistigkeiten aus, und beweist ihnen die Leutseligkeit ihres Charakters nicht durch honigsüße und müßige Worte, sondern durch wirkliche Dienstleistungen und unaufhörliche Gutthaten. Sie ihrerseits lassen bei dem geringsten Wink von ihr Alles stehen und liegen; sie fliegen, wenn sie ruft, ihr bloßer Blick belebt ihren Eifer; in ihrer Gegenwart sind sie zufrieden, in ihrer Abwesenheit sprechen sie von ihr und muntern einander auf, ihr Dienste zu leisten. Ihre Reize, ihre Reden thun viel dabei, mehr ihre Sanftmuth und ihre Tugend. Ach, Milord, was für eine anbetungswürdige und was für eine mächtige Gewalt übt die Schönheit mit Wohlthätigkeit gepaart!
Was die persönliche Bedienung der Herrschaft betrifft, so sind im Hause acht Bediente: drei Frauen und fünf Männer, den Kammerdiener des Barons und die Hofknechte nicht gerechnet. Es ist überhaupt nicht der Fall, daß man mit wenigen Bedienten schlecht bedient sei; aber wenn man den Eifer dieser hier sieht, sollte man denken, daß Jeder, außer seinem eigenen Dienst, sich mit denen der sieben anderen beauftragt glaubt, und wenn man sieht, wie Alles in einander greift, daß nur ein Einziger thätig sei. Man sieht sie niemals träg und geschäftlos in einem Vorzimmer spielen oder auf dem Hofe umherstehen, sondern immer bei irgend einer nützlichen Arbeit; sie helfen auf dem Hofe, im Speisekeller, in der Küche; der Gärtner hat keine andern Gehülfen als sie, und das Erfreulichste ist, daß man sie das Alles munter und mit Lust thun sieht.
Man fängt mit ihnen früh an, um sie so zu ziehen, wie man sie haben will. Es herrscht hier nicht der Grundsatz, den ich in Paris und London allgemein verbreitet fand, Bediente zu nehmen, die schon gelernt, d. h. zu Spitzbuben völlig ausgebildet sind, solche, die von Condition in Condition laufen, die in jedem Hause, wo sie kurze Zeit bleiben, die Fehler der Bedienten und der Herrschaft zugleich sich aneignen und sich ein Gewerbe daraus machen, aller Welt zu dienen, ohne je für Jemand Anhänglichkeit zu gewinnen. Natürlich kann bei dergleichen Leuten weder Ehrlichkeit noch Treue, noch Eifer herrschen; dieses Gesindel in allen reichen Häusern richtet den Herrn zu Grunde und verdirbt die Kinder. Hier im Hause ist die Wahl der Bedienten eine wichtige Angelegenheit: man betrachtet sie nicht wie Miethlinge, von denen man