Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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einige Gartenblumen herausfand, die mit den übrigen wild zu wachsen schienen. Ich kam von Zeit zu Zeit an dunkele, den Sonnenstrahlen undurchdringliche Dickichte, wie in dem dichtesten Walde; diese Massen waren aus den biegsamsten Baumarten dadurch gebildet, daß man die Zweige niedergezogen hatte, um in der Erde zu wurzeln, so daß hier künstlich nachgeahmt war, was die Manglen in Amerika von Natur thun. An den offneren Stellen sah ich hier und dort ohne Ordnung und Symmetrie Rosen, Himbeeren, Stachelbeeren, Gebüsche von spanischem Flieder, Haseln, Hollunder, wildem Jasmin, Pfriemenkraut, Trifolium, welches die Erde schmückte, indem es ihr das Ansehen eines Brachfeldes gab. Ich kam durch gewundene unregelmäßige Gänge, mit blühenden Büschen eingefaßt und mit tausend Gehängen von Epheu, Hopfen, wildem Wein, Zaunrübe, Winde, Waldrebe und anderen Pflanzen dieser Art gedeckt, unter welche sich herablassend Geisblatt und Jasmin mischten. Diese Guirlanden schienen nachlässig von Baum zu Baum geworfen, wie ich es manchmal in Wäldern bemerkt hatte, und bildeten über uns eine Art Draperie, die uns vor der Sonne schützte, während wir unter unsern Füßen ein weiches, bequemes und trockenes Gehen hatten auf einem feinen Moose, ohne Sand, ohne Gras und ohne knotiges Wurzelwerk. Jetzt erst bemerkte ich, daß die dichten, grünen Laubgewölbe, die mir von fern so imponirt hatten, nur aus solchen Schling- und Kletterpflanzen bestanden, die an den Bäumen hinaufgezogen, ihre Wipfel mit dem dichtesten Laube umhüllten und dem Fuße derselben Schatten und Frische gaben. Ich bemerkte auch, daß man vermittelst eines ziemlich einfachen Kunstgriffes mehreren dieser Pflanzen Gelegenheit verschafft hatte, sich auf kürzerem Wege weiter auszubreiten, indem man sie auf den Stämmen der Bäume hatte wurzeln lassen. Sie begreifen wohl, daß die Früchte sich bei allen diesen Mitzehrern nicht zum besten befinden; aber an diesem Orte allein hat man das Nützliche dem Angenehmen aufgeopfert, und auf dem ganzen übrigen Grundstück ist für die Bäume und Gewächse so gesorgt, daß die Obsternte, auch ohne diesen Baumgarten, doch noch immer reicher ist als früher. Wenn Sie daran denken, wie erfreut man zu sein pflegt, wenn man in einem Walde manchmal eine wilde Frucht findet, an der man sich auch wohl erfrischen kann, so werden Sie begreifen, was für Vergnügen es macht, in dieser künstlichen Wüstenei eßbare, reife Früchte zu finden, wenn auch etwas vereinzelt und verkümmert; wobei man doch auch wieder das Vergnügen hat, zu wählen und sich das Beste herauszusuchen.

      An allen den kleinen Wegen entlang, und zum Theil quer über sie hin, rann ein klares Wässerchen, welches bald zwischen dem Grase und den Blumen in fast unmerklichen Strahlen, bald in größeren Bächen über einen reinen, buntgesprenkelten Kiessand floß, der den Glanz des Wassers noch erhöhte. Man sah Quellen, die aus der Erde hervorsprudelten, manchmal auch liefen Kanäle, in denen das Wasser still und glatt die Gegenstände wiederspiegelte. Alles Uebrige begreife ich jetzt, sagte ich zu Julie, aber dieses Wasser, das ich überall sehe .... Kommt dort her, versetzte sie, indem sie nach der Seite wies, wo die Terrasse ihres Gartens lag. Es ist die nämliche Leitung, welche in dem Parterre mit großen Kosten einen Springbrunnen speist, dem Niemand Aufmerksamkeit schenkt. Herr von Wolmar will ihn nicht zerstören aus Achtung für meinen Vater, dessen Werk er ist; aber mit welchem Vergnügen sehen wir alle Tage hier im Baumgarten dieses Wasser rinnen, das wir im Garten keines Blickes würdigen. Der Springbrunnen spielt für die Fremden, der Bach fließt hier für uns. Ich habe freilich auch noch das Wasser hinzugenommen, das aus dem öffentlichen Brunnen über die Landstraße in den See abfloß, die Straße zum Nachtheil der Fußgänger verschlammend, und ohne Nutzen für irgend Jemanden. Es machte eine Biegung am Fuße des Baumgartens, zwischen zwei Reihen Weiden; diese habe ich mit in die Einhegung gezogen, und leite das Wasser auch noch auf anderen Wegen herein.

      Ich sah nunmehr, daß es nur darauf angekommen war, diese kleinen Bäche durch geschickte Theilung und Wiedervereinigung sparsam zu führen, und mit dem Gefälle so haushälterisch als möglich umzugehen, um einen möglichst ausgedehnten Lauf, und das Gemurmel einiger kleinen Wasserfälle zu gewinnen. Eine Lage von Thon, mit einem Zoll Kies aus dem See belegt und mit kleinen Muscheln untermischt, bildete das Bett der Bäche. Dieselben Bäche, stellenweise unter langen Bohlen mit Erde und Rasen bedeckt hinfließend, bildeten bei ihrem Austritt künstliche Quellen. Einige Strahlen wurden durch Röhren über holprige Stellen gehoben und sprudelten im Niederfallen. Endlich erzeugt der auf diese Weise befeuchtete und erfrischte Boden unaufhörlich neue Blumen, und erhält das Gras immer grün und schön.

      Je weiter ich diesen angenehmen Ort durchstreifte, desto mehr nahm das köstliche Behagen zu, welches ich bei meinem Eintritte empfunden hatte; indessen hielt mich die Neugier in Athem. Ich war begieriger, die Gegenstände anzuschauen, als zu untersuchen, welchen Eindruck sie machten, und ich gab mich gern dem Reize des Betrachtens hin, ohne mir mit Nachdenken Mühe zu machen. Aber Frau von Wolmar riß mich aus meinen Träumen, indem sie mich unter den Arm nahm, und zu mir sagte: Alles, was Sie sehen, ist nur seelenloses Pflanzenleben, und wie man es auch anstelle, läßt dieses immer ein Gefühl von Einsamkeit zurück, das etwas Beklemmendes hat. Sehen Sie dagegen die beseelte, fühlende Natur; in ihr werden Sie jeden Augenblick einen neuen Reiz empfinden. Sie wollen mich vorbereiten, sagte ich zu ihr. Ich höre ein lustiges verworrenes Gezwitscher, und sehe doch ziemlich wenig Vögel; ich merke, daß Sie eine Voliere haben. In der That! sagte sie; gehen wir näher! Ich wollte meine Meinung über Volieren noch nicht sagen, aber der Gedanke daran hatte etwas Unbehagliches für mich, und schien mir auch zu allem Uebrigen nicht zustimmen.

      Wir stiegen auf vielfach geschlungenen Wegen in den tiefsten Theil des Baumgartens hinab, wo ich das ganze Wasser, in einen hübschen Bach vereinigt, sanft zwischen zwei Reihen alter verkröpfter Weiden fließen sah. Ihre gehöhlten und halb kahlen Häupter bildeten eine Art Vasen, aus denen, durch Anwendung des zuvor angeführten Kunstgriffes, Massen von Geisblatt hervorquollen, wovon ein Theil sich um die Aeste der Bäume schlang, und der andere anmuthig an dem Bache niederfiel. Fast am Ende des Einschlusses befand sich ein kleines, mit Gräsern, Rohr und Binsen eingefaßtes Bassin, welches die Tränke der Voliere abgab, und die letzte Station dieses so kostbaren und so wohlgehegten Wassers war.

      Jenseits des Bassins befand sich ein Erdwall, der sich in der äußersten Ecke des Einschlusses zu einem Hügel erhob, worauf eine Menge Bäumchen aller Art standen, die kleinsten zu oberst und die größeren immer tiefer, so daß die Wipfel eine fast wagerechte Fläche bildeten, oder wenigstens für die Folge andeuteten. Ganz vorn standen ein Dutzend noch junge Bäume, aber von solchen Arten, die sehr groß werden, wie Buche, Ulme, Esche, Acazie. Das Buschwerk dieses Hügels diente der Menge von Vögeln zur Zuflucht, deren Gesang ich von fern gehört hatte, und im Schatten dieses Laubwerks, wie unter einem großen Sonnenschirme, sah man sie flattern, hüpfen, singen, sich schnäbeln, sich beißen, als ob sie uns nicht bemerkt hätten. Sie flohen bei unserer Annäherung so wenig, daß ich, meinem vorgefaßten Gedanken nach, zuerst glaubte, sie wären durch ein Gitterwerk zusammengehalten; als wir aber den Rand des Bassins erreicht hatten, sah ich mehrere von ihnen herabkommen, und sich uns in einer Art kleiner Allee nähern, welche den Erdwall in der Mitte theilte, und die Voliere mit dem Bassin verband. Herr von Wolmar ging um das Bassin herum, streute in die Allee ein paar Händevoll gemischter Sämereien, die er bei sich in der Tasche trug, und als er sich zurückgezogen hatte, eilten die Vögel herbei, und fingen an zu picken, wie Hühner, mit einer solchen Dreistigkeit, daß ich wohl sah, wie gewöhnt sie an diese Fütterung waren. Das ist allerliebst, rief ich aus. Das Wort Voliere hatte mich von Ihnen Wunder genommen, aber jetzt verstehe ich es; ich sehe, daß Sie Gäste haben wollen, nicht Gefangene. Was nennen Sie Gäste? antwortete Julie; wir sind die ihrigen; sie sind hier die Herren, und wir zahlen ihnen Tribut dafür, daß sie uns manchmal dulden. Sehr gut, antwortete ich; aber wie sind diese Herren in Besitz dieses Ortes gelangt? Wie hat man es angefangen, so viele freiwillige Bewohner zusammenzubringen? Ich habe noch nie von einem Versuche dieser Art gehört, und würde nicht geglaubt haben, daß er gelingen könnte, wenn ich nicht den Beweis vor Augen hätte. Geduld und Zeit, sagte Herr von Wolmar, haben dieses Wunder zu stande gebracht. Diese sind Mittel, auf welche die Reichen bei ihren Vergnügungen nicht fallen. In ihrem Jagen nach Genüssen kennen sie keine anderen Mittel als Gewalt und Geld; sie haben Vögel in Käfigen, und Freunde für so und so viel monatlich. Wenn die Bedienten je an diesen Ort kämen, so würden Sie bald die Vögel verschwinden sehen, und wenn sie jetzt in großer Anzahl vorhanden sind, so kommt das daher, weil immer welche dagewesen. Man zieht sie an keinen Ort, wo es keine gegeben hat; aber wo welche sind, ist es leicht mehrere herbeizulocken, wenn man allen ihren Bedürfnissen zuvorkommt, sie niemals scheu macht, sie