Es herrscht in dieser kleinen Versammlung eine gewisse altväterische Einfalt, die für mich etwas Rührendes hatte; ich sah auf allen Gesichtern dieselbe Fröhlichkeit und vielleicht mehr Ungezwungenheit, als wenn Männer dabei gewesen wären. Die Herzlichkeit, welche zwischen den Dienerinnen und der Herrin herrschte, auf Vertrauen und Anhänglichkeit gegründet, konnte nur dazu dienen, die Achtung vor der letzteren und ihr Ansehen zu befestigen, und die Dienste, die geleistet und angenommen wurden, schienen nur Beweise von gegenseitiger Freundschaft zu sein. Alles, bis auf die Wahl der Speisen, machte diesen Schmaus anziehend. An Milchwerk und Zucker findet das andere Geschlecht besonderen Geschmack, und hat daran gleichsam ein Symbol der Unschuld und süßen Sanftmuth [Das Wortspiel, das in douceur liegt, „Süßigkeit" und „Sanftmuth" ist im Deutschen nicht wiederzugeben. D. Uebers.], die seine schönsten Zierden sind. Die Männer haben dagegen im Allgemeinen eine Neigung zu dem Pikanten und zu geistigen Getränken, Nahrungsmitteln, die auch zu dem thätigen und rührigen Leben, welches die Natur von ihnen fordert, besser passen. Wenn diese Verschiedenheit des Geschmackes aufgehoben und umgetauscht wird, so ist dies fast ein unfehlbares Zeichen von regelloser Mischung der Geschlechter. In der That habe ich bemerkt, daß in Frankreich, wo die Frauen beständig mit den Männern zusammenleben, jene die Liebe zur Milch gänzlich und diese die Liebe zum Wein bedeutend verloren haben, während in England, wo die beiden Geschlechter weniger vermengt leben, der jedem von beiden eigenthümliche Geschmack sich besser erhalten hat. Im Allgemeinen ließe sich, dünkt mich, oft ein Anzeichen von dem Charakter des Menschen in seiner Vorliebe für dieses oder jenes Nahrungsmittel finden. Die Italiener, welche viel Gemüse essen, sind weichlich und weibisch. Ihr Engländer, die ihr große Fleischesser seid, habt in eurem zähen Wesen eine gewisse Derbheit, die sogar an's Rohe streifen kann. Der Schweizer, der von Natur kalt, ruhig und einfach, aber im Zorne auffahrend und heftig ist, liebt beiderlei Nahrungsmittel und trinkt Milch und Wein. Der Franzose, geschmeidig und veränderlich, ißt alles Mögliche und schmiegt sich in alle Charaktere. Julie selbst könnte mir als Beispiel dienen; denn obgleich sie bei ihren Mahlzeiten gern hat, was dem Gaumen schmeichelt, mag sie doch weder Fleisch, noch Ragouts, noch Salziges, und reinen Wein hat sie nie getrunken; ausgezeichnetes Gemüse, Eier, Milchwerk, Obst ist ihre gewöhnliche Nahrung, und ohne den Fisch, den sie auch sehr gern ißt, würde sie eine wahre Pythagoräerin sein.
Es ist nichts, die Frauen im Zaume zu halten, wenn man nicht auch die Männer im Zaume hält, und dieser Zweig der Hausordnung, der nicht minder wichtig ist als der andere, macht noch mehr Schwierigkeit; denn der Angriff ist in der Regel lebhafter, als die Abwehr: es ist so von dem Erhalter der Natur geordnet. Im Staate werden die Bürger durch Sitten, Grundsätze, Tugend gezügelt; wie soll man aber Bediente, Miethlinge anders, als durch Zwang und Gewalt zügeln? Die ganze Kunst des Herrn besteht nun darin, dem Zwange ein Mäntelchen von eigener Lust und eigenem Vortheil überzuhängen, dergestalt, daß die Leute Alles selbst zu wollen glauben, was man sie zu thun nöthigt. Die Sonntagserholung, das Recht, das man ihnen nicht nehmen kann, zu gehen, wohin es ihnen gut dünkt, wenn ihre Beschäftigungen sie nicht mehr im Hause festhalten, zerstört oft an einem einzigen Tage alle gute Frucht des Beispiels und der Belehrungen von sechs anderen. Der Besuch der Schenken, der Verkehr und die Grundsätze ihrer Kameraden, der Umgang mit liederlichen Frauenzimmern bewirkt bald, daß sie für ihre Herren und für sich selbst verloren sind, und sich durch tausend Fehler unfähig zum Dienste, und der Freiheit unwerth machen.
Diesem Uebelstande hilft man hier dadurch ab, daß man sie durch dasselbe, was sie sonst zum Ausgehen treibt, an's Haus fesselt. Was wollen sie auswärts? In der Schenke trinken und spielen. Nun wohl, sie trinken und spielen zu Hause. Es ist nur der Unterschied, daß der Wein ihnen nichts kostet, daß sie sich nicht betrinken, und daß sie beim Spiele Gewinn haben, ohne daß Jemand verliert. Dies wird so gemacht.
Hinter dem Hause ist ein bedeckter Gang, welcher zum Spielplatze bestimmt ist. Dort versammeln sich die Livree-Bedienten und die Hofknechte im Sommer Sonntags nach der Predigt, um, in mehrere Truppe getheilt, zu spielen, nicht um Geld, das wird hier nicht gelitten, noch um Wein, den erhalten sie, sondern um einen Gewinn, den die Freigebigkeit ihrer Herrschaft aussetzt. Dieser Gewinn besteht jederzeit in irgend einer Geräthschaft oder einem Kleidungsstücke zu ihrem Gebrauche. Die Anzahl der Partien, die gewonnen werden müssen, richtet sich nach dem Werthe des ausgesetzten Gewinnes, so daß, wenn der Gewinn etwas beträchtlicher ist, z. B. ein Paar silberne Schnallen, ein Paar seidene Strümpfe, ein feiner Hut, oder Etwas der Art, gewöhnlich in mehreren Spielen darum gekämpft wird. Man bleibt alsdann nicht bei einer Art Spiel stehen, sondern wechselt ab, damit Der, welcher in dem einen am geschicktesten ist, nicht alle Preise davontrage, und damit Alle durch mannichfaltige Uebungen gewandter und tüchtiger werden. Bald handelt es sich darum, wer im Laufe am ersten ein am andern Ende der Allee aufgerichtetes Ziel erreichen, bald, wer einen Stein am weitesten werfen, bald, wer eine Last am längsten tragen, bald, wer in's Schwarze schießen werde. Meist werden die Spiele durch allerlei kleine Veranstaltungen, welche hinzukommen, verlängert und unterhaltender gemacht. Die Herrschaft beehrt sie oft mit ihrer Gegenwart; manchmal werden auch die Kinder mitgebracht; selbst Fremde finden sich ein, von der Neugier herbeigelockt, und manche würden nur gar zu gern mitspielen, aber es wird Niemand zugelassen, außer mit Erlaubniß der Herrschaft und mit Einwilligung der Spieler, die freilich nicht ihre Rechnung dabei finden würden, diese leicht zu gewähren. Unvermerkt ist aus diesem Brauche eine Art Schauspiel geworden, bei welchem die handelnden Personen, durch die Blicke der Zuschauer angefeuert, den Ruhm des Beifalls dem Vortheile des Gewinnes vorziehen. Indem sie kräftiger und gewandter werden, schätzen sie sich selbst höher, und indem sie sich gewöhnen, ihren Werth mehr nach dem zu messen, was sie vermögen, als nach dem, was sie besitzen, wird ihnen, trotz dem daß sie nur Bediente sind, die Ehre lieber als Geld.
Es würde mich zu weit führen, Ihnen alle Vortheile aufzuzählen, die man hier aus einer, dem Anscheine nach, so kindischen Einrichtung zieht, die gemeinen Geistern sicher verächtlich dünkt, während es doch dem wahren Genie eigen ist, große Wirkungen mit kleinen Mitteln zu erreichen. Herr von Wolmar hat mir gesagt, daß ihm die ganze Sache, die seine Frau zuerst ausgedacht hat, kaum 50 Thaler jährlich koste. Aber, sagte er, wie vielfältig meinen Sie, daß sich mir diese Summe in meiner Wirthschaft und in meinen Geschäften wiedereinbringt, durch die Wachsamkeit und Pünktlichkeit anhänglicher Diener, die all ihr Vergnügen von ihrer Herrschaft haben, durch den Antheil, den sie an der Wohlfahrt eines Hauses nehmen, welches sie als das ihrige betrachten, durch den Vortheil, daß die Kraft und Gewandtheit, welche sie bei ihren Spielen erwerben, ihnen bei ihren Arbeiten zu statten kommt, durch den Vortheil, daß sie immer gesund bleiben, indem sie nicht in die gewöhnlichen Ausschweifungen von ihres Gleichen und die Krankheiten, die deren gewöhnliche Folge sind, verfallen, durch den Vortheil, daß sie zu den Diebereien und Betrügereien nicht versucht sind, welche ein unordentliches Leben unfehlbar nach sich zieht, sondern immer ehrliche Leute bleiben, endlich durch die Annehmlichkeit, mit geringen Kosten im eigenen Hause Erholungen zu haben, die uns selbst Vergnügen machen? Wenn sich unter unsern Leuten Jemand findet, Mannsperson oder Frauenzimmer, der sich in unsere Hausordnung nicht fügt, und ihr die Freiheit vorzieht, unter diesem oder jenem Vorwande hinzulaufen, wo es ihm gut dünkt, so wird ihm die Erlaubniß dazu niemals verweigert; aber wir sehen diesen Hang zur Ungebundenheit als ein sehr verdächtiges Zeichen an, und entledigen uns immer bald Derer, die ihn haben. So dienen uns dieselben Ergötzlichkeiten, die uns unsere Leute brav erhalten, zugleich zum Probemittel bei der Wahl derselben. Milord, ich muß gestehen, daß ich nirgend, außer hier, eine Herrschaft gefunden habe, die so dieselben Leute zugleich zu guten Bedienten, zu guten Bauern, zu guten Vaterlandsvertheidigern und zu braven Menschen