Wenn man so seine eigenen Bedienten heranzieht und bildet, so hat man sich nicht den so gewöhnlichen und so wenig vernünftigen Einwurf zu machen: Ich werde sie nur für Andere bilden. Bildet sie, wie es sich gehört, könnte man antworten, und sie werden nie in einen anderen Dienst treten. Wenn ihr bei ihrer Bildung nur an euch denkt, so ist es ihnen nicht übel zu nehmen, wenn sie nur an sich denken und euch, sobald sie ausgebildet sind, verlassen; aber beschäftiget euch ein wenig mehr mit ihnen, und sie werden euch treu bleiben. Nur die gute Absicht verpflichtet den Anderen; wer Gutes von mir hat, das ich nur meinetwegen thun will, ist mir keine Erkenntlichkeit schuldig.
Um dem nämlichen Uebelstande auf doppelte Art zu begegnen, wenden Herr und Frau von Wolmar noch ein anderes Mittel an, das mir sehr zweckmäßig scheint. Als sie ihre Einrichtung anfingen, überlegten sie, wie viele Bedienten sie ihrem Stande und Vermögen gemäß halten könnten, und fanden, daß die Zahl sich auf 15 oder 16 belaufen würde; um nun besser bedient zu sein, verringerten sie diese Zahl auf deren Hälfte; sie haben so weniger Unkosten und werden bei Weitem pünktlicher bedient. Um sich darin noch mehr zu verbessern, machten sie, daß es der Leute eigenes Interesse wurde, lange in ihrem Dienste zu bleiben. Nämlich ein Diener, der bei ihnen antritt, erhält das gewöhnliche Lohn; aber dieses Lohn wächst jedes Jahr um ein Zwanzigstel; nach Ablauf von zwanzig Jahren würde es also etwas mehr als verdoppelt sein, und die Unterhaltung der Bedienten würde sich ungefähr im richtigen Verhältniß mit den Mitteln der Herrschaft befinden. Aber man braucht kein großer Rechner zu sein, um zu begreifen, daß die Kostspieligkeit dieser Lohnerhöhung mehr scheinbar als wirklich ist, daß wenig doppelte Löhne zu bezahlen sein werden und daß, wären sie auch Allen zu bezahlen, der Vortheil, zwanzig Jahre lang gut bedient worden zu sein, für den Zuwachs der Ausgabe reichlich entschädigen würde. Sie fühlen wohl, Milord, daß dies ein sicheres Mittel ist, um den Eifer der Bedienten beständig rege zu erhalten, und daß ihre Anhänglichkeit nothwendig mit der Anhänglichkeit der Herrschaft zu ihnen wachsen muß. Eine Einrichtung dieser Art ist nicht nur der Klugheit, sondern auch der Billigkeit gemäß. Wäre es recht, einem neu Angestellten, der noch keine Liebe zur Herrschaft hat, und vielleicht ein Taugenichts ist, bei seinem Eintritte dasselbe Lohn zu geben, welches ein alter Diener erhält, dessen Eifer und Treue durch langen Dienst erprobt ist, und der sich überdies der Zeit nähert, wo er aus Altersschwäche nicht mehr im Stande sein wird, seinen Unterhalt zu erwerben? Uebrigens ist dieser letztere Grund hier nicht anzuwenden: Sie können wohl denken, daß eine so menschenfreundliche Herrschaft Pflichten, welche viele unmitleidige Herrschaften aus Prahlerei erfüllen, nicht verabsäumt, und nicht diejenigen unter ihren Leuten hülflos läßt, denen Krankheit oder Alter den Dienst unmöglich machen.
Ich habe gerade ein recht schlagendes Beispiel von solcher Aufmerksamkeit bei der Hand. Der Baron von Étange wollte seinen Kammerdiener für langjährige Dienste mit einem ehrenvollen Ruheposten belohnen, und bot ihm ein einträgliches und müheloses Amt an, das er durch seinen Einfluß bei Ihren Excellenzen ihm verschaffen konnte. Nun aber hat Julie soeben von diesem alten Diener einen Brief erhalten, der einem Thränen entlocken könnte, worin er sie bittet, zu bewirken, daß ihm die Annahme dieses Postens erlassen werde. „Ich bin alt, schreibt er, ich habe meine ganze Familie verloren; ich habe keine andern Angehörigen, als meine Herrschaft, keine andere Hoffnung mehr, als meine Tage friedlich in dem Hause zu beschließen, in welchem ich sie verlebt habe .... Madame, als ich Sie bei Ihrer Geburt auf meinen Armen trug, hat ich Gott, daß ich einst Ihre Kinder ebenso tragen dürfte! er hat mir diese Gnade geschenkt; versagen Sie mir nun nicht die, sie aufwachsen und gedeihen zu sehen wie Sie .... Ich bin gewohnt, in einem friedlichen Hause zu leben, wo werde ich eines wie das Ihrige finden, um darin mein Alter in Ruhe hinzubringen? Erzeigen Sie mir die Wohlthat, zu meinen Gunsten an den Herrn Baron zu schreiben. Wenn er unzufrieden mit mir ist, so möge er mich wegjagen und mir nicht einen Posten geben; wenn ich ihm aber vierzig Jahre lang treu gedient habe, so möge er mich meine Tage in seinem und Ihrem Dienste beschließen lassen; besser belohnen kann er mich nicht." Es ist keine Frage, ob Julie schrieb. Ich sehe, daß es ihr eben so leid sein würde, diesen braven Menschen zu verlieren, als ihm, sie zu verlassen. Habe ich Unrecht, Milord, Herren, die so geliebt sind, mit Vätern zu vergleichen, und ihre Diener mit ihren Kindern? Sie sehen, daß sie selbst sich nicht anders betrachten.
Es ist in diesem Hause ohne Beispiel, daß ein Bedienter seinen Abschied gefordert hätte; es ist sogar selten, daß einem mit Verabschiedung gedroht werde. Diese Drohung wird um so mehr gefürchtet, je mehr der Dienst angenehm und milde ist; die besten Leute haben immer die größte Furcht davor, und man hat nie nöthig, zur Ausführung der Drohung zu schreiten, außer bei solchen, um die es kein großer Schade ist. Es herrscht auch hierbei eine gewisse Regel, Wenn Herr von Wolmar gesagt hat: „Ich jage dich weg," so kann man die Verwendung der Frau vom Hause ansprechen, erlangt sie manchmal und wird auf ihre Bitte wieder zu Gnaden angenommen; ein Abschied aber, den sie ertheilt, ist unwiderruflich, und es ist keine Gnade mehr zu hoffen. Diese Verfahrungsart ist sehr zweckmäßig, um eben sowohl zu verhindern, daß man sich auf das weiche Herz der Frau zu sehr verlasse, als auch, daß man die Unbeugsamkrit des Mannes übermäßig fürchte. Es bleibt jedoch nicht aus, daß jenes Wort im Munde eines Herrn, der stets gerecht ist und niemals Zorn blicken läßt, ein Schreckenswort ist. Denn abgesehen davon, daß man nicht sicher darauf rechnen kann, Gnade zu erlangen, und daß diese niemals zwei Mal dem Nämlichen gewährt wird, verliert man durch dieses bloße Wort sein Altersrecht und wird, wenn mau im Dienste bleiben darf, als ein neu eingetretener betrachtet. So ist der Unverschämtheit vorgebeugt, die alten Bedienten eigen zu werden pflegt, und sie nehmen sich um so mehr in Acht, je mehr sie zu verlieren haben.
Die weibliche Dienerschaft besteht aus der Kammerfrau, der Wärterin der Kinder und der Köchin. Die letztere ist eine sehr reinliche und der Küche sehr kundige Bäuerin, der Frau von Wolmar selbst das Kochen gelehrt hat; denn in diesem noch unverkünstelten Lande [Unverkünstelt! Es hat sich somit sehr verändert.] lernen die jungen Personen jedes Standes Alles selbst machen, was dereinst in ihrem Hause ihre weiblichen Dienstboten zu thun haben werden, damit sie ihnen im Nothfall selbst Anleitung geben können und sich nicht von ihnen betrügen lassen. Kammerfrau ist nicht mehr Babi; diese ist nach Étange geschickt worden, von wo sie gebürtig ist; man hat ihr die Aufsicht über das Schloß und über Alles, was eingeht, anvertraut, so daß sie die dortige Oekonomie gewissermaßen zu controliren hat. Herr von Wolmar hatte in seine Frau schon lange gedrungen, diese Einrichtung zu treffen, ohne daß er sie dazu bringen konnte, eine alte Dienerin ihrer Mutter von sich zu entfernen, obgleich ihr Babi viel Ursache zu Klagen gegeben hatte. Endlich hat sie, als die Sache das letzte Mal zur Sprache kam, darein gewilligt, und Babi ist nach Étange abgegangen. Sie ist eine verständige und treue Person, aber schwatzhaft und nicht verschwiegen. Ich vermuthe,