Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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viel Uebeles zufügen, als sie können, nur eine gerechte Repressalie üben, daß, da die Herren Räuber unrechtmäßigen Gutes, Lügner und Gauner sind, es keine Sünde wäre, sie so zu behandeln, wie sie den Fürsten oder das Volk oder Privatpersonen behandeln, und ihnen das Böse, welches sie mit offenbarer Gewalt thun, mit List zu vergelten, so würde Der, welcher so spräche, von Niemanden begriffen werden; es wird auch hier nicht für nöthig gehalten, solchen Erzählungen entgegenzuwirken oder zuvorzukommen; mögen das Jene thun, die zu denselben gerechten Anlaß geben, und sich dadurch in die Nothwendigkeit versetzen, sie zu bekämpfen.

      Ueble Laune und Trotz kommt hier bei den Gehorchenden niemals vor, weil die Gebietenden von hochfahrendem und launischem Wesen frei sind, weil man nicht verlangt, was nicht vernünftig und nützlich wäre, und weil man Achtung genug hat vor der Würde des Menschen, wenn er auch dienstbar ist, um ihn nur zu solchen Dingen zu gebrauchen, die ihn nicht herabwürdigen. Uebrigens gilt hier nichts für erniedrigend, als das Laster, und Alles, was recht und nützlich ist, für schicklich und ehrenvoll.

      Wenn man Intriguen außer dem Hause nicht duldet, so ist auch Niemand in Versuchung, welche anzuzetteln. Die Leute hier wissen zu gut, daß ihr Glück am besten gesichert ist, wenn der Wohlstand ihres Herrn nicht leidet, und daß es ihnen an Nichts fehlen wird, solange das Haus in guten Umständen bleibt. Sie sorgen also, indem sie dem Hause dienen, für ihr Erbe und vermehren dieses, indem sie sich ihren Dienst angenehm machen; es ist dies ihr eigenes größtes Interesse. Das Wort Interesse ist aber hier nicht an seiner Stelle, denn ich habe nie eine innere Einrichtung gesehen, bei welcher das Interesse so klüglich wahrgenommen und doch von so geringem Einfluß gewesen wäre, als hier. Alles geschieht aus Anhänglichkeit; man möchte sagen, daß diese käuflichen Seelen sich reinigen, indem sie in diese Wohnstätte der Weisheit und der Einigkeit eintreten. Man möchte sagen, daß ein Theil von dem klaren Verstande des Herrn und von dem gefühlvollen Wesen der Herrin in Jeden ihrer Leute übergegangen ist, so einsichtig, wohlthätig, rechtschaffen und ihrem Stande überlegen findet man sie. Ihr größter Ehrgeiz ist, sich Achtung, Liebe, Wohlwollen zu erwerben, und sie zählen die verbindlichen Worte, die ihnen gesagt werden, wie Andere die Geschenke, welche sie empfangen.

      Dies, Milord, sind meine vornehmsten Beobachtungen über denjenigen Theil der Verwaltung dieses Hauses, welcher sich auf die Dienerschaft und die Lohnarbeiter bezieht. Was die Lebensweise der Herrschaft und die Behandlung der Kinder betrifft, so verdient jeder dieser Gegenstände einen besonderen Brief. Sie wissen, in welcher Absicht ich diese Mittheilungen begonnen habe; aber Alles zusammen giebt in der That ein so entzückendes Gemälde, daß man kein anderes Interesse nöthig hat, um es gern zu betrachten, als die Freude, welche man daran findet.

      Elfter Brief.

       Saint-Preux an Milord Eduard.

       Inhaltsverzeichnis

      Ja, Milord. es ist Wort für Wort wahr, man sieht nichts in diesem Hause, worin nicht das Angenehme mit dem Nützlichen gepaart wäre; die nützlichen Beschäftigungen beschränken sich aber nicht auf die einträglichen Arbeiten allein, sie umfassen auch alle die unschuldigen und einfachen Vergnügungen, welche die Liebe zur Zurückgezogenheit, zur Arbeit, zur Mäßigkeit nähren, die Seele gesund erhalten und das Herz frei von dem Wirrwarr der Leidenschaften. Während träge Unthätigkeit nur Mißmuth und Langeweile gebiert, ist der Reiz einer süßen Muße die Frucht eines arbeitsamen Lebens. Man arbeitet nur, um zu genießen; diese Abwechselung von Mühe und Genuß ist unser wahrer Beruf. Die Ruhe, welche zur Erholung von gethaner Arbeit und zur Stärkung für neue Arbeit dient, ist dem Menschen nicht weniger nothwendig, als die Arbeit selbst.

      Nachdem ich von der Wachsamkeit und Thätigkeit der achtungswürdigsten Familienmutter die Wirkungen in der Ordnung ihres Hauses gesehen hatte, sah ich gleiche Wirkung von ihren Erholungen an einem einsamen Orte, den sie zu ihrem Lieblingsspaziergange gemacht hat und den sie ihr „Elysium" nennt.

      Ich hatte schon mehrere Tage von diesem Elysium reden hören und zwar in einer gewissen geheimnißvollen Weise. Endlich gestern Nachmittag, da es der außerordentlichen Hitze wegen außerhalb des Hauses und innen gleich unerträglich war, machte Herr v. Wolmar seiner Frau den Vorschlag, sich diesen Nachmittag einmal Urlaub zu nehmen, und anstatt wie gewöhnlich bis zum Abende in der Kinderstube zu bleiben, mit uns in den Baumgarten zu gehen und der Kühle zu genießen; sie willigte ein, und wir gingen miteinander hin.

      Dieser Ort, obgleich ganz dicht beim Hause, ist doch durch den bedeckten Gang, welcher zu ihm führt, so versteckt, daß man ihn von keiner Seite sieht. Das dichte Laub, welches ihn umgiebt, verstattet dem Auge keinen Durchgang, und er wird immer sorgfältig verschlossen gehalten. Kaum war ich darin, so sah ich nicht mehr, wo ich hereingekommen war, denn die Thür ist mit Elsen- und Haselstauden maskirt, welche nur zwei schmale Durchgänge auf beiden Seiten offen lassen, und ich war wie aus den Wolken gefallen, da ich keine Thür bemerkte.

      Beim Eintritt in diesen sogenannten Baumgarten ergriff mich ein angenehmes Gefühl von Frische, welches tiefer Schatten, lebhaftes Grün, Blumen auf allen Seiten, Gemurmel von fließendem Wasser und das Gezwitscher von tausend Vögeln meiner Einbildungskraft ebenso sehr, als meinen Sinnen zuführten; aber zugleich glaubte ich den wildesten, einsamsten Ort der Natur zu sehen, und es däuchte mir, als ob ich der erste Sterbliche wäre, der je in diese Einöde gedrungen. Ueberrascht, ergriffen, entzückt von einem so unerwarteten Schauspiel, stand ich einen Augenblick unbeweglich, und rief dann in unwillkürlicher Begeisterung: O Tinian! o Juan-Fernandez [Wüste Inseln in der Südsee, berühmt durch die Reise des Admiral Anson. D. Ueb.]! Julie, das Ende der Welt haben Sie vor Ihrer Thür! Viele Leuten finden es hier, wie sie, sagte sie mit Lächeln, aber zwanzig Schritte mehr führen Sie geschwind wieder nach Clarens zurück; wir wollen sehen, ob der Zauber bei Ihnen länger vorhalten wird. Es ist hier dieselbe Baumpartie, in der Sie ehemals spazieren gingen und sich mit meiner Cousine mit Pfirsichen warfen. Sie wissen, daß der Rasen ziemlich dürr, die Bäume nicht besonders dicht, wenig Schatten und kein Wasser da war. Jetzt ist Alles frisch, grün, bekleidet, geschmückt, blumig, bewässert. Was meinen Sie, daß mich die Instandsetzung gekostet hat? Denn ich muß Ihnen sagen, daß ich hier ganz allein die Aufsicht habe, und daß mich mein Mann machen läßt, was ich will. Wahrhaftig, antwortete ich, es hat Sie nichts gekostet, als Nachlässigkeit. Dieser Ort ist reizend in der That, aber wild und sich selbst überlassen; ich sehe nichts, was von Menschenhand gethan wäre, Sie haben die Thüre zugeschlossen; woher das Wasser gekommen ist, weiß ich nicht, die Natur allein hat das Uebrige gethan, und selbst Sie hätten es nicht so gutmachen können. Es ist wahr, sagte sie, die Natur hat Alles gethan, aber unter meiner Leitung, und es ist nichts da, was ich nicht veranstaltet hätte. Noch einmal, rathen Sie. Für's Erste, sagte ich, begreife ich nicht, wie man mit Arbeit und Geld die Wirkungen der Zeit ersetzen kann. Die Bäume .... Was die Bäume betrifft, sagte Herr von Wolmar, so werden Sie bemerken, daß nicht viel große da sind, und diese waren schon vorher da. Ueberdies hat Julie diese Anlage schon lange vor ihrer Verheiratung und fast unmittelbar nach dem Tode ihrer Mutter begonnen, als sie mit ihrem Vater hierherkam und die Einsamkeit suchte. Nun gut, sagte ich, da alle diese Baumgruppen, diese gewaltigen Blättersmassen, diese üppigen Laubdächer, diese schattigen Gebüsche, in sieben bis acht Jahren entstanden sein sollen, und mit Hülfe der Kunst, so haben Sie meiner Schätzung nach in einem so weiten Bezirke Alles das für 2000 Thlr. ganz wohlfeil. Sie rathen nur 2000 Thlr. zu viel, sagte sie; es hat mich nichts gekostet. Wie, nichts? Nein, nichts; Sie müßten denn ein Dutzend Tage Arbeit von meinem Gärtner jährlich, desgleichen zwei oder drei von meinen Leuten rechnen, und einige von Herrn v. Wolmar selbst, der es nicht verschmäht hat, manchmal mein Gartenbursche zu sein. Dies war mir ein Räthsel; aber Julie, die mich bisjetzt beim Eingange festgehalten hatte, sagte, indem sie mich gehen ließ: Gehen Sie und Sie werden den Schlüssel des Räthsels haben. Gute Nacht, Tinian, gute Nacht, Juan-Fernandez und die ganze Feeerei! In einem Augenblick werden Sie vom Ende der Welt zurück sein.

      Ich fing an, den so umgewandelten Baumgarten mit berauschter Seele zu durchstreifen; wenn ich keine exotischen Gewächse, keine Pflanzen aus den beiden Indien fand, so fand ich die einheimischen so vertheilt und geordnet, daß sie eine angenehmere und freundlichere Wirkung machten. Der grüne, dichte, aber geschorene