Bewundere meine Mäßigung; ich habe dir noch kein Wort von dem Geschenke gesagt, das ich dir schicke, und das dir bald ein zweites verheißt: aber du hast es erhalten, ehe du meinen Brief geöffnet hattest, und du, die du weißt, wie vernarrt ich in das Ding bin, und wie viel Ursache ich habe, so vernarrt zu sein, du, deren Habgier sich so viel Noth um dieses Geschenk machte, wirst gestehen müssen, daß ich mehr halte, als ich versprochen habe. Ach, die arme Kleine! In dem Augenblicke, in welchem du dieses liesest, ist sie schon in deinen Armen; sie ist glücklicher als ihre Mutter; aber in zwei Monaten werde ich glücklicher sein als sie, denn ich werde mein Glück mehr empfinden. Ach Himmel! liebe Cousine, hast du mich nicht schon ganz? Wo du bist, wo meine Tochter ist, was fehlte da noch von mir? Da hast du es, das liebenswürdige Kind, nimm es hin als dein eigenes; ich trete es dir ab, ich schenke es dir, ich lege in deine Hände mein mütterliches Ansehen; mache wieder gut, was ich versehen, nimm das Amt über dich, das ich deiner Meinung nach so schlecht verwalte; sei von heute an die Mutter Der, die künftig deine Schwiegertochter werden soll, und mache, um sie mir noch lieber zu machen, wenn es angeht, eine zweite Julie aus ihr. Sie gleicht dir schon von Gesicht; nach ihrem Wesen läßt sich voraussagen, daß sie ernsthaft und auch so eine Predigerin werden wird. Wenn du den Eigensinn erst ausgetilgt hast, den ich, wie man mich beschuldigt, genährt haben soll, so wirst du sehen, daß meine Tochter sich ganz das Ansehen geben wird, als wäre sie Cousinchen; aber, glücklicher, wird sie weniger Thränen zu vergießen und weniger Schlachten zu liefern haben. Wenn der Himmel den besten der Väter erhalten hätte, wie weit würde er davon entfernt gewesen sein, ihren Neigungen Zwang anzuthun! Und wie weit werden wir selbst davon entfernt sein! Wie entzückt es mich im Voraus, mir zu denken, wie die Kinder auf unsere Pläne eingehen! Weißt du wohl, daß sie schon gar nicht mehr ohne ihr kleines Männel leben kann, und daß dies zum Theil die Ursache ist, warum ich sie dir schicke? Ich hatte gestern ein Gespräch mit ihr, worüber unser Freund vor Lachen ersticken wollte. Erstlich, es ist ihr gar nicht Leid, mich zu verlassen, mich, die ich den ganzen Tag ihre ganz ergebene Magd bin und keinem ihrer Wünsche widerstehen kann; und du, vor der sie sich fürchtet, die du ihr zwanzig Mal des Tages Nein sagst, du bist das liebe Mamachen, zu dem man mit Freuden läuft, und von dem man die Neins lieber hat, als alle meine Bonbons. Als ich ihr ankündigte, daß ich sie zu dir schicken würde, war sie so außer sich, wie du dir denken kannst; aber um ihr einen Schreck zu machen, setzte ich hinzu, du würdest mir an ihrer Stelle das kleine Männel schicken, und das paßte nun gar nicht in ihren Kram. Sie fragte mich ganz bestürzt, was ich denn damit machen wollte; ich sagte, ich wollte es für mich behalten; sie machte eine Schippe. Jettchen, willst du es mir nicht lassen, dein kleines Männel? Nein, sagte sie trocken. Nein? Aber wenn ich es nun dir nicht lassen will, wer soll unseren Handel schlichten? Mama, das soll Mamachen thun. Ei, so werde ich also Recht erhalten, den du weißt, Mamachen will immer, was ich will. Oh, Mamachen will immer, was sich gehört. Was, Mamsell, ist das nicht ein und dasselbe? Der Schlaukopf fing an zu lächeln. Nun, fuhr ich fort, und warum sollte sie mir das kleine Männel nicht geben? Weil es für Sie nicht paßt. Und warum paßt es nicht für mich? Wieder Lächeln, so schelmisch wie zuvor. Sage es nur; findest du mich zu alt für Männel? Nein, Mama, aber Männel ist zu jung für Sie .... Cousine, ein Kind von sieben Jahren! ....
Wahrhaftig, wenn es mir nicht den Kopf verdreht, so könnte das nur der Fall sein, weil er mir schon verdreht ist.
Ich machte mir den Spaß, sie noch weiter zu necken. Jettchen, sagte ich, indem ich einen ernsthaften Ton annahm, ich versichere dich, daß er für dich auch nicht paßt. Warum denn nicht? rief sie ganz bestürzt. Weil er zu flatterig für dich ist. O Mama, blos das? Ich will ihn schon gesetzt machen. Und wenn er nun unglücklicher Weise dich zur Närrin machte? Ach, gute Mama, ich würde so gerne wie Sie werden! Wie ich? Unart! Ja, Mama, Sie sagen den ganzen Tag, Sie lieben mich wie eine Närrin; sehen Sie! ich will Männel wie eine Närrin lieben; das ist die Sache.
Ich weiß, daß du von solchem reizenden Geplapper keine Freundin bist, und du wirst ihm bald Grenzen zu setzen wissen; ich will's eben auch nicht vertheidigen, wiewohl es mich bezaubert, sondern dir nur zeigen, daß deine Tochter schon ihr kleines Männel lieb hat, und daß sie, wenn er zwei Jahr jünger ist als sie, sich des Ansehens nicht unwürdig zeigt, das ihr der Vorzug des Alters giebt. Auch sehe ich, wenn ich dein und mein Beispiel gegen das deiner armen Mutter halte, daß es mit dem Hause, wenn die Frau herrscht, nicht übler steht. Adieu, mein Herz, adieu, liebe Unzertrennliche! denke, daß die Zeit schon kommt, und daß die Weinlese nicht ohne mich gehalten werden wird.
Zehnter Brief.
Saint-Preux an Milord Eduard.
Wie viele Freuden, die ich zu spät kennen lerne, schmecke ich seit drei Wochen! Ach, es ist süß, seine Tage im Schoße einer stillen Freundschaft, geschützt vor den Stürmen der Leidenschaften hinzubringen! Milord, was für ein angenehmes, rührendes Schauspiel gewährt ein einfacher, wohlgeordneter Hausstand, in welchem Ordnung, Friede und Unschuld herrschen, wo man ohne Prunk, ohne Glanz Alles vereinigt sieht, was der wahren Bestimmung des Menschen entspricht! Die ländliche Umgebung, die Zurückgezogenheit, die Ruhe, die Jahreszeit, die weite Wasserfläche, die vor meinen Augen liegt, Alles erinnert mich hier an meine köstliche Insel Tinian. Ich glaube die heißen Wünsche erfüllt zu sehen, welche dort so oft in mir aufstiegen. Ich führe hier ein Leben nach meinem Geschmack, finde einen Umgang nach meinem Herzen. Nichts fehlt an diesem Orte, als zwei Personen, damit mein Glück vollständig sei, und diese, habe ich Hoffnung, bald hier zu sehen.
Einstweilen, bis Sie und Frau v. Orbe kommen, und den süßen und reinen Freuden, die ich hier empfinden lerne, die Krone aufsetzen, will ich Ihnen eine häusliche Einrichtung beschreiben, welche zu erkennen giebt, wie glücklich die Herren des Hauses sind, und welche diejenigen, die es mit ihnen bewohnen, zu Theilnehmern ihres Glückes macht. Bei dem Plane, mit welchem Sie umgehen, hoffe ich, daß meine Betrachtungen für die Folge von Nutzen sein können, und diese Hoffnung macht mir noch mehr Lust, sie anzustellen.
Ich will Ihnen das Haus von