Bob wartete, bis Ned eine gute Portion Schinken und Kohl verzehrt hatte, dann sagte er: »Captain Nolan, einiges in diesem Brief, den wir verbrannt haben, ist mir ein Rätsel. »Die verfügbaren Waffen verteilen‹. Was bedeutet das wohl?«
Ned kaute und schluckte, dann antwortete er mit einer Gegenfrage:
»Was für Waffen haben Sie jetzt?«
»Vielleicht ein Dutzend Schrot- und Vogelflinten. Kein einziges Gewehr. Ich selber habe einen Revolver, und Vincent Tully hat eine elegante Pistole, die er seinem Vater abgeschmeichelt hat. Hugh hat gar nichts.«
»Und wie viele Männer?«
»Zwischen sechzig und siebzig. Einige sind im Laufe der letzten zwölf Monate abgesprungen, andere haben ihre Stelle eingenommen. Es gleicht sich aus.«
»Abgesprungen?« fragte Ned sofort. »Sie haben den Eid abgelegt und sind dann abgesprungen?« Er wollte noch mehr sagen, fragte dann aber statt dessen: »Wie haben Sie mit ihnen exerziert?«
»Mit Piken«, antwortete Bob. »Wir haben Piken hergestellt. Wir sehen aus wie eine Bande von Croppies.«
Das stimmte. Die Geschichte schien die Iren zu einer Ewigkeit von Piken verurteilt zu haben. In manchen Nächten, wenn ich Knockmany Hill den Rücken zukehrte und sie vor dem Horizont sah, hinter ihnen nichts als dornenbesetzte Zweige, dann hatte ich das Gefühl, in den tiefen Brunnen der Geschichte gefallen und auf die Truppen irgendeines Hungerleiders von Clanhäuptling in der Desmond-Rebellion gestoßen zu sein, oder auf die Landbevölkerung, die 1798 in ihr Verderben auf Vinegar Hill marschierte. Owen MacCarthy, der Dichter aus Macroom, beschreibt in einem Gedicht die Piken, die die Männer seiner Zeit trugen, als einen Wald im blattlosen Winter. Und bei uns war es noch immer so, unverändert.
»Haben irgendwelche von ihnen bei der Armee gedient?« fragte Ned.
»Kein einziger. Einer, er ist älter als die anderen, war in seiner Jugend bei der Polizei, ehe sie ihn wegen allgemeiner Unfähigkeit hinausgeworfen haben. Und daran haben sie verdammt recht getan.«
Ned nickte ausdruckslos und schnitt sich eine weitere Scheibe Schinken ab.
»Ich habe mit Piken mit ihnen exerziert«, fuhr Bob fort. »Und mit dem Versprechen, daß die Organisation uns zum festgesetzten Tag Waffen besorgen würde. Aber ich habe keine zu sehen bekommen, ebensowenig wie O’Connor in Cahirciveen oder Timoney in Killarney oder der Mann oben in Millstreet.«
»Dann haben Sie Ihren Leuten gesagt, was ich Ihnen auch sagen werde. Daß die Organisation Pläne hat, vor dem Aufstand allgemein Waffen zu verteilen.«
»Ihre Organisation läßt sich aber durchaus Zeit dabei.«
»Es ist genauso gut Ihre Organisation wie meine. Ich weiß ein bißchen darüber, was sie vorhaben. Das habe ich in Manchester aufgeschnappt.«
»Wissen Sie, Captain Nolan«, sagte Bob, »wie die Dinge in den beiden letzten Jahren überall im Land in Orten wie Kilpeder ausgesehen haben? Vor zwei Jahren sind Hugh und Vincent und ich nach Cork gegangen und haben den Eid abgelegt. Dann sind wir zurückgekommen und haben ihn den Jungs abgehommen. 65 sollte es losgehen. Das Land wußte es, und Dublin Castle und die Engländer wußten es auch. James Stephens hätte es fast noch von Dublins Dächern herunter verkündet, ehe sie ihn gefaßt und ins Gefängnis von Richmond geworfen haben. Und dann hieß es 66, und O’Mahoney rief es in New York aus. Und jetzt 67. Wissen Sie, was es heißt, sechzig oder siebzig Bauernburschen zusammenzuhalten, sie mit in Metall gesteckten Eschenstäben exerzieren zu lassen, zwei Jahre lang, auf Befehl einer Organisation, die sich nicht entscheiden kann?«
»Captain Nolan«, antwortete Ned. »Die Organisation hat mich zwar zum Captain ernannt, aber dieses Wort klingt seltsam für mich. In den drei Jahren bei der Nordstaatenarmee war ich Corporal, bis kurz vorm Ende, in Virginia, als ich zum Sergeant befördert wurde. Bei den anderen Fenier-Soldaten, die aus Amerika herübergekommen sind, sieht es ähnlich aus.«
Bob warf mir einen verärgerten Blick zu, dann wandte er sich wieder an Ned.
»Ihr verdammter Rang ist mir egal, mich interessiert die Frage, die ich Ihnen gestellt habe.«
»Ich habe Ihnen diese Frage nach besten Kräften beantwortet. Ich bin nur Corporal, ein Emporkömmling von einem Corporal, und Leuten wie Ihnen und mir wird gesagt, was sie zu tun haben, nicht, warum sie es tun sollen. Sie haben mit Ihren Männern exerziert, und irgendwann, in weniger als zwei Monaten, werden wir sie in den Kampf führen. Sie und ich.«
Mary war aufgestanden, um abzuräumen, jetzt aber stand sie stocksteif da, mit einer Miene, die ich nicht deuten konnte.
»Bewaffnet oder unbewaffnet«, sagte Bob, aber das war eher eine Frage als eine Feststellung.
»Ich habe die Gegend bisher noch kaum gesehen«, sagte Ned. »Das muß bis morgen warten. ›Captain Nolan‹ ist gut und richtig für die Jungs, aber so lange ich mich erinnern kann, habe ich auf den Namen Ned gehört.«
Und er wurde Ned für uns, in diesem Moment und für alle Zeit, die danach kam. Noch in späteren Jahren, als er berüchtigt geworden war und wir seinen Namen in Verbindung mit Rossa, Lomasney oder den Dynamitmännern in den Zeitungen fanden, kam immer ein kurzer Moment, in dem »Edward Nolan« wie ein fremder Name im Abschnitt stand. Er verbrachte vielleicht einen Monat bei uns, aber wir sollten für immer mit ihm verbunden sein.
Tee und Nachtisch folgten, und auf eine schweigende Abmachung zwischen den beiden sprachen wir über allgemeines. Mein Schulhaus, erzählte ich ihm, war nicht dasselbe, in dem sein Vater unterrichtet hatte, aber die alte Schule war noch vorhanden, hinter der Biegung in der Gasse, die noch immer Schoolhouse Lane genannt wurde, und sie wurde von Dennis Tully als Warenhaus benutzt.
»Vom Vater eures Freundes«, sagte Ned.
»Er ist mehr als nur das«, erwiderte ich. »Er ist ein wohlhabender Kaufmann. Dennis Tullys Glück versetzt die Welt in Erstaunen.«
Bob registrierte einen spöttischen Unterton in meinen Worten und sagte scharf: »Er ist gut zu mir gewesen. Großzügig.«
»Du verdienst deinen Lebensunterhalt, Bob«, erwiderte ich, »und noch ein bißchen darüber hinaus.«
»Aber er ist kein Freund von uns«, meinte Ned.
»Du hast Hugh gehört«, sagte Bob. »Ein wohlhabender Kaufmann. Und ein frommer Mann, er und Pater Cremin stehen sich sehr nahe. Und Cremin hat die Organisation vom Altar herab angeklagt und Gottes Fluch auf sie herabberufen. Nirgendwo in Irland leisten die Priester den Feniern so wütenden Widerstand wie in Munster.«
»Mich wundert«, sagte Ned, in seltsam mildem Tonfall, »daß solche Schurken es wagen, sich selber als Iren zu bezeichnen.«
»Sie sind durchaus Iren«, widersprach ich. »Viel zu sehr.« Unausgesprochen blieb mein Gedanke, daß sie vielleicht irischer waren als die Burschen aus New York, die herübergekommen waren, um uns zu führen, mit ihren viereckigen Stiefeln und ihren prahlerischen Reden über bislang unsichtbare Gewehre. Nicht nur Ned, sondern sie alle, denn die Atmosphäre dieses seltsamsten aller Aufstände war so wunderlich, daß die Luft Irlands von Gerede über die »amerikanischen Offiziere«, wie sie genannt wurden, nur so schwirrte. In den letzten Jahrhunderten sind wir zu einer Herde von Schafen geworden, unterworfen dem Befehl von Spaniern und Niederländern und Franzosen und Amerikanern.
»Wie ist den Jungs denn bei all dem zumute?« fragte Ned. »Es kann doch nicht angenehm sein, wenn du vom Altar herunter mit Gottes Fluch belegt wirst. Dürfen sie zur Kommunion gehen?«
»Natürlich dürfen sie nicht, aber sie tun es trotzdem,