Bob schüttelte den Kopf. »Darauf würde ich mich nicht verlassen, Mr. Nolan. In den letzten Monaten haben die Polizei und die Gerichte großes Interesse an Besuchern aus den Staaten gezeigt. Dieser Bursche unten in Cahirciveen hat sich auch als zurückgekehrter Einheimischer ausgegeben. John O’Connor.«
»Sie sind hier in Kilpeder sehr großzügig, was das Nennen von Namen betrifft«, sagte Ned. »Das ist mir bereits aufgefallen.«
Bob lachte ihm ins Gesicht. »Die Polizei in Cahirciveen weiß wesentlich mehr über John O’Connor als ich. Er steht jetzt in Iveragh unter Aufsicht, damit er nicht verhaftet werden muß. Aber sein Zirkel ist intakt. Bisher ist kein Kriegsrecht verhängt worden, aber das ist nur eine Frage von Wochen.«
»Wenn es noch Wochen dauerte, dann würden die Briten uns damit ein schönes Geschenk machen. Ehe es so weit ist, haben die Bastarde dringendere Probleme als schnödes Kriegsrecht.« Er schien Marys Anwesenheit ganz vergessen zu haben, denn er war ein Mann, der in der Anwesenheit von Frauen seine Zunge hütete.
Ich sah sie lächelnd an, aber sie bemerkte das nicht. Ihre beiden Hände lagen dicht nebeneinander auf der Sessellehne, und sie beobachtete die beiden, die sich da gegenüberstanden, Ned, den wir noch nicht kannten, und Bob mit dem lebhaften, wachsamen Selbstvertrauen, das ihn bis weit über die Lebensmitte hinweg begleiten sollte und fast ein Teil seiner Haltung geworden war, wie bei einem Boxer, die Schultern so breit wie möglich, den Kopf nach hinten geworfen.
»Sie bringen also Neuigkeiten, Mr. Nolan«, sagte er, »und die sind uns so willkommen wie Sie selber.« Und als Ned nichts darauf erwiderte, fügte er hinzu, »Neuigkeiten, die lange unterwegs gewesen sind. Verdammt lange.«
Auch darauf kam von Ned keine Erwiderung, statt dessen zog er ein großes, zusammengefaltetes Papier aus der Brusttasche und reichte es Bob. »Sie müssen mein Beglaubigungsschreiben überprüfen«, sagte er. »Sie hätten schon längst danach fragen müssen.«
Bob las, wobei er das Papier dicht an die grüne Lampenglocke auf dem Tisch hielt. »Captain Nolan«, sagte er und reichte es an mich weiter.
»Irish Republican Brotherhood«, stand oben auf dem Blatt, in elegantem Druck, und darunter befand sich eine Harfe mit dem Motto: »Es wird neue Saiten geben«. Die Handschrift war ausgefeilt und lässig, die Schrift eines Buchhalters, und sie wies Captain Edward Nolan an, sich in die Stadt Kilpeder im County Cork zu begeben und dort das Kommando über alle Zirkel zu übernehmen, die derzeit von Robert Delaney befehligt wurden, der von nun an den Posten des Vizekommandeurs einnehmen sollte. Captain Nolan sollte Stärke und Integrität seines Kommandos beibehalten, sollte mit den Männern exerzieren, die verfügbaren Waffen verteilen und die Männer in deren Bedienung unterweisen. Er sollte sofort und gründlich alle weiteren Befehle ausführen, die durch die entsprechenden Kanäle zu ihm gelangten, und nur diese Befehle. Es stand noch viel mehr da, aber ich machte mir nicht die Mühe, es zu lesen – die Schönschrift füllte die Seite fast bis zum Rand, aber vereinzelte Wörter, auf die mein Auge fiel, machten einen ausgesprochen kriegerischen Eindruck.
Gewohnheitsmäßig reichte ich das Papier an Mary weiter, aber Ned verlangte es zurück. »Sie haben keine Fragen zu diesem Papier, Mr. Delaney?« fragte er, und als Bob den Kopf schüttelte, beugte er sich vor und legte es auf die wütenden roten Torfsoden im Kamin. Einen Moment lang hatte es an diesem grellen, gespenstischen Leben teil, dann wurde es zu brüchiger, schwarzer Asche. So kam es zu uns, und so verließ es uns, Harfe und Schönschrift gleichzeitig, abrupte Eindringlinge, ausgesandt von einem fernen, unsichtbaren Generalissimo in Dublin oder sogar, wie die Ereignisse noch zeigen sollten, in Manchester. Die Integrität des Kommandos, bei Gott. An die hundert Landarbeiter, Bauernsöhne, Säufer, mit denen wir in mondhellen Nächten im Ödland hinter Knockmany exerziert hatten, eher, um die Moral aufrechtzuerhalten, als um militärische Fähigkeiten zu vermitteln, wobei die Hälfte von ihnen gekichert hatte und alles offenbar für eine Art nächtlichen Mummenschanz hielt.
»Keine Fragen zu dem Papier«, sagte Bob, »und es war auch kaum nötig. Wir brauchen dringend einen Soldaten für die Aufgabe, die vor uns liegt, keinen Ladengehilfen wie mich. Ich habe sehr viele Fragen an Sie, aber die beziehen sich nicht auf das Papier.«
Mit der unüberlegten Vertrautheit eines Freundes der Familie griff er zum Whiskeykrug und füllte unsere drei Gläser aufs neue. Seine Erleichterung war wirklich echt, wie ich nur zu gut wußte. Er kommandierte schon damals gern nach eigenem Gutdünken Männer und Dinge herum, angefangen von den Waren auf Tullys Regalen, aber die Aufgabe, die vor uns lag, hatte uns beide, und auch Vincent, überfordert. Wir hatten in einem Buchladen bei den Kais in Cork die Übersetzung eines Waffenhandbuches gefunden, das ein Franzose verfaßt hatte, der behauptete, in Napoleons Grande Armée gedient zu haben, und nachts saß Bob damit fluchend auf seinem Zimmer. Und dazu hatte er auch allen Grund, denn was auf dem weiten Weideland bei Leipzig oder Austerlitz sicher sehr nützlich war, half uns in den Wiesen hinter Knockmany nur sehr wenig. Im Laden hatte es auch die einfacheren englischen Handbücher gegeben, aber Bob wollte mit dem Feind nichts zu tun haben. »Aber alles in allem«, hatte ich einmal ihm gegenüber bemerkt, »scheint Wellington doch gewußt zu haben, was er tat.«
»Wellington war Ire«, sagte Bob.
Die Reinheit unseres Patriotismus, ganz zu schweigen von unserem Fanatismus! Und doch sehe ich es jetzt, im warmen bernsteinfarbenen Licht der Erinnerung, als Unschuld, weil es ein Teil unserer Jugend war. Und Patriotismus und Fanatismus waren durchsetzt von Inkonsequenzen, die wir zu übersehen vorzogen. Schließlich ritt Bob doch immer wieder auf der titanischen Energie der englischen Fabrikanten herum, im Gegensatz zu unseren eigenen schlaffen Handwerkern und Kaufleuten, um sie dann im nächsten Atemzug als seelenlose Materialisten zu brandmarken, mit Höllenfeuersätzen, die er bei Thomas Carlyle gefunden hatte, der nun wiederum ein treuer Gefolgsmann von Königin und Empire gewesen war. Und was mich betraf, galt nicht meine eigene besondere Liebe den Dichtern Englands, Wordsworth und Keats und Tennyson? Und vielleicht sah der Generalissimo in Manchester sich als zweiten Marlborough.
»Ich bin drei Jahre lang Soldat gewesen«, sagte Ned abwertend, um den Ton zwischen uns aufzulockern. »Und das ist wirklich alles, was ich vorweisen kann.« Er hob feierlich sein Glas, erst zu Mary gewandt, dann zu uns beiden anderen. »Nein, das stimmt nicht. Ich habe zwei Jahre bei der Fährgesellschaft gearbeitet, bei der mein Vater angestellt war. Ich habe die Boote vertäut, die nach Weehawken hinüberfuhren.«
Wo immer das liegen mochte. Zweifellos auf der Seite von New Jersey, vor den weiten Wäldern und Prairien, in denen die Roten ohne Sattel herumritten wie die Akrobaten. Aber lockere Unterhaltung fiel ihm nicht leicht; es war allein die Höflichkeit, die ihn zur Geselligkeit zwang. Es war Mary, wie immer, die an diesem Abend das Zimmer lichter machte.
»Wir können jetzt essen«, sagte sie, »und ich hoffe, es ist nur die erste von vielen Mahlzeiten mit uns, Mr. Nolan.«
Ich bin fast sicher, daß es kalten Schinken und Kohl und eine Schüssel gekochte Kartoffeln gab. Ein warmes Zimmer, die Küche mit den warmen verführerischen Kochdüften, die Anrichte, in der Marys bestes Porzellan in drei Fächern lehnte, blau und weiß vor dem polierten gelben Kiefernholz. An der Wand, auf die ich blickte, als ich mich Nolan gegenübersetzte, hing die Anbetung der Heiligen Drei Könige, die wir für zwei Pfund in Milistreet gekauft hatten, als Dr. Sugdens Habe versteigert worden war. Durch Glas vor Rauch und Dampf der Küche geschützt, näherten sich die Könige voller Ehrfurcht und Verwirrung, beladen mit Geschenken, reich und exotisch gekleidet.
Ned war ein herzhafter Esser, aber während er sich mit Messer und Gabel ans Werk machte, wanderten seine Augen rastlos im kleinen Zimmer hin und her, ehe sie endlich am Herd zur Ruhe kamen. Im Wohnzimmer war es genauso gewesen, und, glaube ich, aus demselben Grund. Wenn es keine Heiligenlästerung wäre, dann würde ich eine Verwandtschaft zwischen Ned und den Heiligen Drei Königen andeuten. In all den Jahren seiner Kindheit und Jugend in den Straßen von New York und in seinen Jahren bei der Nordstaatenarmee war Irland eine weit entfernte, unbekannte Heimat gewesen, über der ein Leitstern flammte.
Später, als er mich kennengelernt hatte und mir vertraute, bestätigte vieles, was er sagte, diesen Eindruck. Als er als kleiner Junge Irland mit seinem Vater verlassen hatte, hatte er hinter sich