»Wieso kannte er dich?« fragte ich.
»Die Organisation ist Hauptgesprächsthema in New York. Es ist ein billiges Opfer, einen Revolver zu vergeben, den du nicht mehr brauchst. Das Witzige ist, daß ich noch nie von Joe MacGuiness gehört hatte, aber er kann durchaus losgefahren und jetzt irgendwo hier sein. Des einen Freud…«
Er wog den Revolver noch einmal in der Hand, dann legte er ihn vorsichtig auf den Tisch, neben die Kerze, deren Flamme sich im Metall spiegelte.
»Es ist nicht das weichste Bett auf der Welt«, sagte ich.
»Es fühlt sich hervorragend an«, antwortete er. Er drückte mit der Handfläche auf die Strohmatratze.
Als ich alles für die Nacht bereitet hatte, war Mary schon im Bett, ihre Haare waren gelöst und ihre Hände auf der Bettdecke gefaltet. Ich legte den Revolver, den Ned mir gegeben hatte, auf die Kommode.
»Ein Geschenk von Ned«, sagte ich.
Sie betrachtete ihn wortlos. Ich bezweifle, daß sie jemals mit einem solchen Gegenstand in einem Zimmer gewesen war.
»Das sehe ich«, sagte sie mit kleiner Stimme.
»Na ja«, sagte ich. »Was soll ich machen? Das bereiten wir doch schon seit zwei Jahren vor.«
»Das weiß ich«, erwiderte sie, ihre Augen wichen jedoch nicht von dem Revolver.
»Am festgesetzten Tag«, sagte ich, »gibt es vielleicht wenig Grund, ihn zu benützen. Zwischen uns und der Kontrolle über Kilpeder steht doch nur die Polizei, und Sergeant Honan und seine Burschen sind vernünftige Männer.«
»Du weißt sehr gut, daß das nicht stimmt, Hugh.«
»Nun«, wiederholte ich, »was soll ich machen?«, mit einem Hauch von Gereiztheit in meiner Stimme.
Statt zu antworten wandte sie mir ihr Gesicht zu. »Er ist ein beängstigender Mann«, sagte sie. »Er ist nicht wie irgend jemand von uns, oder? Auch nicht wie Sergeant Honan.«
»Er ist ein sympathischer Bursche«, sagte ich, »ich konnte ihn sofort leiden, und Bob auch.«
»Das ist er wirklich«, erwiderte Mary. »Nicht Ned jagt mir Angst ein, sondern das, was er nach Kilpeder gebracht hat.« Und mehr sagte sie nicht.
Und sie brauchte auch nicht mehr zu sagen. Ich wußte, was sie meinte, und ich empfand genauso. Wir hatten exerziert und geübt, und Bob hatte mir die Verwendung seines eigenen Revolvers erklärt, der zwar ein englisches Fabrikat war, aber zweifellos genauso funktionierte wie der auf der Kommode. Aber die Waffen, die Ned uns gebracht hatte, waren Botschafter und Waffen zugleich.
Ich ging ans Fenster, und Mary sprach zu meinem Rücken.
»Es steht jetzt unmittelbar bevor, nicht wahr?«
»Unmittelbar oder gar nicht«, antwortete ich. Auch 65 hatte es unmittelbar bevorgestanden, aber das Jahr war gekommen und gegangen. »Aber wenn es kommt, dann ist es eine Frage von Wochen.« Ich muß mich wohlinformiert über diese Frage angehört haben, aber in Wirklichkeit wußten wir nichts, und ich bezweifle, daß die Männer in Cork City viel mehr wußten. Es war unwirklich, eine Art Phantasie, anders als Neds Revolver. Sogar die kronentreuen Zeitungen wußten mehr. Von ihnen hatten wir erfahren, daß Stephens und O’Mahoney beiseitegestoßen worden waren, von zum Handeln entschlossenen Männern. Von Männern, die für uns weder Namen noch Gesichter hatten, obwohl wir später natürlich die Namen von Kelly, McCafferty und all den anderen kannten. Doch bis zum Ende waren uns die Namen fremd, sogar als wir in Cork vor Gericht standen und hörten, daß wir auf ihren Befehl hin gegen Königin Victoria, ihr Königreich und ihre Person, bewaffnet rebelliert hatten.
Vage hörte ich – oder vielleicht spürte ich es nur – das Geräusch von Marys Bürste, die sie durch ihre dichten braunen Haare zog, ein vertrautes Geräusch.
»Unwirklich«, sagte sie als Echo meiner Gedanken. »Wenn wir abends darüber gesprochen haben, wir und Bob und Vincent, klang es alles großartig und unklar, wie eine Oper. Und jetzt bedeutet es einen Revolver auf einer Kommode.«
Die Straße unten war pechschwarz, nur die beiden Kirchtürme waren vage wahrzunehmen, als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Damals gab es in Kilpeder keine Straßenlaternen. Die Kneipen waren noch offen, aber sie waren hinter der Biegung oder zu weit entfernt die Straße hinunter, so daß ihr Licht nicht bis zu uns vordrang. Aber man konnte die Existenz der Stadt spüren, Läden und Markthalle, den weiten Marktplatz. Und hinter der Stadt Lord Ardmors Wildpark und die umliegenden Hügel. In der Wache schliefen die Constables oder saßen bei einer letzten Tasse Tee zusammen, und ihre Gewehre, die sogar noch tödlicher waren als Neds Revolver, lehnten an der Wand. In seinem Zimmer über Tullys Laden war Bob aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch wach; viereckiges kahles Zimmer, Bett, Tisch, Bücherregal; vielleicht neben dem Bett eine tropfende Kerze. Im Laden unter ihm waren Waren und Lebensmittel in Fülle aufgehäuft, Tee und Kerzen und Handhaken. In einigen Stunden würde das Morgenlicht, frisch und voller Selbstvertrauen, die Dunkelheit davonspülen, und das Vertraute, das immer den Anschein von Dauerhaftigkeit hat, wieder herstellen. Aber jetzt füllte, für meine Augen und Sinne, Dunkelheit unsere Welt mit Erstaunen und bebenden Möglichkeiten.
3
[Patrick Prentiss]
Und als Patrick Prentiss, ein Jahr später im Winter 1905 in London, in seiner Wohnung in Pump Court die Geschichte des Fenier-Aufstandes schrieb, hatte auch er das Bild des verschlafenen Marktplatzes von Kilpeder im Kopf.
Es war ein fast so kalter Winter wie der, über den er schrieb, mit leichtem Schnee und grauen, bewölkten Nachmittagen, die Dunkelheit kam früh und war fast willkommen, denn in der Dunkelheit wandte die Stadt sich nach innen, hellen Zimmern und knisternden Kohlenfeuern zu. Im Garten hinter dem Hof war die Erde gefroren, und die blattlosen Zweige sahen brüchig aus, als könnten sie jederzeit abknicken.
Er war mit seiner Arbeit inzwischen gut in Gang gekommen, seine Notizbücher waren auf einem langen Tisch neben seinem Schreibtisch aufgestapelt und peinlich genau beschriftet. Zusammenfassungen von Unterhaltungen, geführt in Pensionen in Dublin oder London, in Bars und Restaurants in Boston und New York, mit Männern, für die, wie für Hugh MacMahon, der Aufstand ein strahlender Morgen in einem ereignislosen Leben gewesen war, und anderen, wie Devoy und Rossa in New York, die immer noch Verschwörer waren, für die das Drama noch längst nicht ausgespielt war: Devoy, schmallippig und sardonisch, grauer, kurzgeschorener Bart und Schlitzaugen, und Rossa, darüber im klaren, daß sein Leben zur Legende, zu Liedern geworden war, jedoch alkoholisiert und prahlerisch, Andeutungen von »Aktionen« seiner Kämpfer bis hinein in die 80er und 90er Jahre, ermordete Grundbesitzer, hingerichtete Denunzianten. Während er in durch Wachsamkeit verhärtete oder durch Whiskey verwässerte Augen blickte, hatte Prentiss versucht, einen lange vergangenen Frühling wiederzufinden.
An den meisten Tagen machte er um fünf Uhr einen Spaziergang durch die herabsinkende Dunkelheit, zum geschäftigen Strand, Straßenlaternen sanft wie Perlen, vom Nebel umhüllt, Schaufenster leuchteten; die Menge drängelte sich auf den Bürgersteigen; dichter Verkehr aus Droschken und Straßenbahnen. Oder er ging am Embankment, an der dunklen und öligen Themse entlang, auf Westminster Bridge und die Houses of Parlament zu, zinnenbesetzt und mit hohen schmalen Fenstern, voll vom Überschwang des 19. Jahrhunderts, verwandelt durch Londoner Nebel und Abendlicht. Verglichen mit diesem Anblick und dem Empire, zu dem er gehörte, schrumpfte das Ereignis, über das er schrieb, zur Bedeutungslosigkeit zusammen, besudelt von komischer Tollkühnheit und vom Whiskey angespornten Schwüren. Einst war in einer anderen Winternacht, 1884, ein Veteran des Aufstandes von 1867, William Lomasney – der »Kleine Captain«, der mit zwanzig Männern die Kaserne von Ballyknockane angegriffen und mit Nolan und den anderen in englischen Gefängnissen gelitten hatte –