Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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Wood und unserer Schlacht gegen Englands Macht. Aber wußte ganz Irland auch, daß Bob Delaney, der Vizekommandeur von Clonbrony, seine letzten Jahre hier verbrachte, ein gebrochener Mann, ohne Freunde, außer mir und einem Stallburschen und einigen Farmern, die sich daran erinnerten, was er in den alten Tagen für sie getan hatte, und die ihm das Aufsetzen ihres Testamentes anvertrauten?«

      Bei dieser Erinnerung wurde MacMahons Lächeln zu einem tiefen Lachen, und einen Moment lang glaubte Prentiss, dieses Lachen gälte ihm, wie er aufmerksam dasaß, verwirrt nicht von MacMahons Worten, sondern von seinem Tonfall.

      Aus einem Eckschrank nahm MacMahon eine Flasche und Kristallgläser und sprach weiter, während er Prentiss den Rücken kehrte.

      »Am Ende trank Bob etwas mehr, als gut für ihn war, und wer hätte ihm da Vorwürfe machen können, wo er doch jeden Nachmittag in seiner Anwaltspraxis verbrachte, die nur von wenigen besucht wurde, als ob er sich durch einen Eid dazu verpflichtet hätte? Ich weiß genau, daß er dort eine Flasche hatte, er hat sie oft genug hervorgeholt, wenn ich aus der Schule herüberkam, um ihn zum Tee einzuladen. Mehr, als gut für ihn war, aber nie zuviel. Seine Hand war immer ruhig, und er kleidete sich immer noch so wie in den Tagen seines großen Aufstiegs, einen gutgeschnittenen Anzug und glattgebügelte, saubere Wäsche. Aber ich bin sicher, daß er allein getrunken hat, und das tut niemandem gut. Dort saß er an Winternachmittagen, wenn das Sonnenlicht versickerte, mit allem, was ihm an Erinnerungen im Kopf herumging.«

      MacMahon verließ das Zimmer, um einen Krug mit Wasser zu füllen, und aus der geringen Entfernung konnte Prentiss das Quietschen der Pumpe hören, und MacMahons munteres Lachen, zweifellos, weil er im Stillen Formulierungen einübte. Wo er doch allein lebte, dachte Prentiss, mit seiner Liebe zu den Worten, polierte er seine Geschichten bestimmt, und wenn keine Zuhörer da waren vielleicht, indem er sie laut erzählte. Als MacMahon zurückkehrte, stellte er Gläser und einen Steingutkrug zwischen die Teetassen und schenkte ein sorgfältig abgemessenes Quantum Whiskey ein.

      »Bitte sehr«, sagte er, »und einen Tropfen Wasser, um ihn zu taufen. Jedenfalls, auf dem Höhepunkt der Diskussion über das 67er Denkmal erschien er bei Conefry, was er nur selten tat. Damals war Conefry ein bitterer Anti-Parnellit, obwohl er in letzter Zeit davon abgekommen ist. Leben und leben lassen – die Bibel des Gastwirtes. ›Ich habe mir meine Gedanken gemacht‹, sagte er, ›über die derzeit brennende Frage.‹ Dann ging er ins Séparée und bestellte sich einen großen Brandy. ›Und diese Frage scheint mir leicht zu klären. Wir brauchen schlichte Formen, schlicht und keusch, was die große Stärke von Mr. Brackens Kunst ist.‹ Was nicht stimmte; er war berüchtigt für seine Schnörkel und seine verschlungenen Kleeblätter. ›Und darauf kommt eine Statue von Vincent Tully. Unter allen Männern von Clonbrony war Vincent der mit dem richtigen Aussehen, er sah aus wie ein Held.‹ Was, nebenbei gesagt, alles andere als die Wahrheit war. Der arme Vincent war der angenehmste Gesellschafter, den es je gegeben hat, und die Damen fanden ihn unwiderstehlich, aber wie ein Held sah er nicht aus. ›Und Tully und Sohn können die Kosten übernehmern, fügte Bob hinzu.«

      MacMahon prostete Prentiss zu, allerdings geistesabwesend, auf seine Erzählung konzentriert.

      »Bob hatte eine scharfe Zunge, vor allem in diesen letzten Jahren. Ich kann mir das Schweigen, das er im Séparée hinterließ, gut vorstellen, und danach kam er in die Chapel Street, um mir davon zu erzählen. Wir beide wußten, wessen Name niemals auf dem Denkmal erscheinen würde. Am Ende ist es nie errichtet worden. Das ist besser so. Das Lied ist sein Denkmal.«

      Der vom Wasser weicher gemachte Whiskey prickelte auf Prentiss’ Zunge, er hatte den Geschmack des milden Morgens. Die Anekdote, vermutete er, hatte ihre Pointe, aber bis auf weiteres konnte er sie nicht entdecken. Er sah MacMahon als Genießer solcher Geschichten, abgerundet und aphoristisch.

      »Aber Nolan«, sagte er hartnäckig. »Sie hatten doch Achtung vor ihm, wie er damals war. Sie alle sind ihm gefolgt.«

      »Wir hatten Vertrauen zu ihm«, erwiderte MacMahon. »Und war das nicht auch richtig von uns? Er hat uns zum festgesetzten Tag und zur festgesetzten Stunde angeführt, als in fünfzig Städten überall in Irland die Führer zögerten. Aber im ganzen Monat, den er bei uns war, unter meinem Dach schlief und mit uns aß, hatte ich nie das Gefühl, ihn zu kennen. Bob war sein engster Freund, und das war seltsam. Vorher, jahrelang, waren Bob und Vincent und ich befreundet gewesen. Aber nun gab es ihn und Bob. Ich habe nie zwei Männer gesehen, die so begeistert voneinander waren.«

      »Sie waren entschlossene Männer«, sagte Prentiss. »Wenn wir von ihrem späteren Leben ausgehen.«

      MacMahon hielt sein Glas mit beiden Händen. Er blickte in seinen Whiskey, dann hob er die Augen zu Prentiss und lächelte.

      »Das waren sie, Mr. Prentiss. Von großer Charakterstärke.«

      Sie sprachen, bis Mittag längst vorbei war und MacMahon Prentiss mit einer Grimasse versprach, jeden Tag zu Hause zu sein und sich über ein Gespräch zu freuen. Inzwischen hatte jeder drei Glas Whiskey getrunken, und Prentiss hatte ein viertes abgelehnt. Er fühlte sich in der Sommersonne etwas leicht im Kopf, MacMahon war jedoch noch so gelassen wie beim ersten Whiskey, ein kühler, offener Mann mit guten Manieren, wie es Prentiss erschien, den guten Manieren eines Provinzlers, der sich in seiner Provinz wohl fühlt. Sonnenlicht vergoldete jetzt die Bücher, fiel auf Steifleinen und Leder, auf sonnenverblichene Buchstaben. Ein Dozent, der einem bevorzugten Studenten guten Nachmittag wünscht, so begleitete MacMahon ihn ans Gartentor.

      »Ich lebe nun schon seit fünf Jahren hier«, sagte er, »und nicht ein Mal bin ich dessen müde gewesen.«

      »Hier gibt es sicher nicht viele Nachbarn«, meinte Prentiss.

      »Stimmt«, antwortete MacMahon. »Aber weiter unten an der Straße wohnt eine Familie namens Nagle. Ihr Haus ist hinter der Kurve versteckt, aber ich kann in weniger als einer Stunde hingehen. Ich habe den Vater und danach die Jungen unterrichtet.«

      »Sie müssen halb Kilpeder Buchstaben und Zahlen beigebracht haben«, sagte Prentiss. »Das muß doch eine große Befriedigung für Sie sein.«

      »Das letzte Glied einer Kette«, erwiderte MacMahon. »Hier hat es immer einen Schulmeister gegeben. Früher waren es Hekkenschulmeister, ein oder zwei davon waren Dichter. Vor der großen Hungersnot war diese Gegend hier, bis zur Grenze, rein gälischsprachig, und man kann es immer noch hören. Bei all Ihrem Interesse für Kanonen und Trommeln, Trommeln und Kanonen, Mr. Prentiss, wissen Sie, daß dieser Teil von Munster einst für seine Dichtkunst berühmt war?«

      »Nein«, antwortete Prentiss, etwas müde vielleicht, denn nachdem MacMahon ihn kurz angeblickt hatte, sagte er freundlich: »So war es. Kommen Sie, von hier oben hat man einen schönen Blick.«

      Gemeinsam überquerten sie die Straße und gelangten durch das Gatter im niedrigen Zaun aufs freie Feld. Bei seiner Ankunft war Prentiss nicht aufgefallen, daß er auf höher gelegenes Gelände zuhielt, aber nun sah er, daß sie auf einer Anhöhe standen, die gute Sicht über ansteigende Felder bis zu den Vorhügeln bot. Dahinter glitzerten die Berge in der Mittagssonne, Sonnenlicht brach sich auf Felsen.

      »Da hinten«, sagte MacMahon, und Prentiss wandte seinen Kopf den anderen, entfernteren Bergen zu, den Derrynasaggarts.

      »Ein dicht bevölkertes Land«, erklärte MacMahon. »Vor Ihrer Zeit, vor meiner. Vor der Hungersnot. West Cork hat in jenen Jahren schwer gelitten, aber das wissen Sie natürlich. Skibbereen, Schull, Crosshaven, die Städte an der Küste; es war eine grauenhafte Zeit für sie. Hier war es nicht ganz so schlimm, aber es war doch schlimm genug. Es ist seltsam mit der Hungersnot, nie wird direkt darüber gesprochen. Und das war fast von Anfang an so. Nur wenige Jahre danach, als ich ein Kind war, sprach die Landbevölkerung nur von den »bösen Zeiten«, dann wurde rasch das Thema gewechselt. Aber die Hungersnot ist durch diese Täler, die wir jetzt sehen, und über diese Berge gezogen. Und sie hat die Hälfte der Menschen mitgenommen, in die Hungergräber oder über den Atlantik.«

      Prentiss sah Felder, von Steinen eingerahmt, das intensive Grün des Sommers, Vieh, Hütten. Ein Mann ging langsam über eine entfernte Boreend, blieb stehen.

      »Es hat mir große Freude gemacht«,