Kranichtod - Ein Fall für Julia Wagner: Band 5. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643107
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bemerkte Edda.

      „Die ganze verdammte Geschichte ist heikel, Edda, und ich wusste mir nicht anders zu helfen.“

      „Und nachdem du die Kassette versteckt hast, hast du dich entschlossen, zurück nach Norwegen zu kommen?“

      „Nein. Zuvor habe ich versucht Julia zu finden, aber leider hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo sie stecken könnte. Ich vermutete zwar, dass sie auf dem Weg nach Hannover war, vielleicht war sie sogar schon dort, aber da auch sie es mit den Kranichen zu tun hat, checkt sie natürlich nicht mit ihrem richtigen Namen in irgendwelchen Hotels ein. Sie wird alles tun, um nicht von ihnen gefunden zu werden. Und so hatte auch ich keine Chance, sie zu finden. Dann hast du angerufen und gesagt, dass Jo einen Herzinfarkt hatte …“

      Das Heulen des Windes verwandelte sich nun in ein lautes Dröhnen. Wieder flackerte die Birne an der Decke.

      „Wer weiß noch davon?“, fragte Edda.

      „Niemand.“

      „Okay.“ Edda wandte sich wieder dem Rechner zu.

      „Was hast du vor?“, fragte Susanne.

      „Julia suchen.“

      „Und wie willst du das machen? Ich hab dir doch gerade erklärt …“

      „Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen werde, aber ich bin verdammt gut am PC, und wenn es nur die geringste Chance gibt, dann werde ich sie finden. Du hast gesagt, sie ist entweder schon in Hannover oder zumindest auf dem Weg dorthin, also werde ich … Hey, was ist denn jetzt los?“ Edda blinzelte irritiert. „Der Rechner bekommt plötzlich keine Signale mehr vom Router. Und der Ersatzrouter funktioniert offenbar auch nicht.“

      „Wie können denn zwei Router gleichzeitig ausfallen?“, fragte Susanne.

      „Das weiß ich auch nicht.“ Edda tat alles, um den Rechner wieder zum Leben zu erwecken, doch vergebens. Der Bildschirm war und blieb schwarz. „Das gibt‘s doch gar nicht.“

      „Kann es am Wetter liegen?“, fragte Susanne.

      „Kann es. Aber dass gleich beide Router ausfallen …“ Eddas Ehrgeiz war geweckt. „Ich werde den Fehler finden und dann kümmern wir uns um Julia.“

      Susanne nickte, doch gleichzeitig spürte sie plötzlich eine undefinierbare Angst in sich.

      Was, wenn es bis dahin schon zu spät war?

      Was, wenn …?

      6. KAPITEL

      „Ich werde verrückt und ich kann nichts dagegen tun.“

      Hannover

      Eva blieb in der Tür stehen, während Julia zum zweiten Mal an diesem Abend das Haus am Waldrand betrat. „Mach bitte das Deckenlicht an“, sagte sie, als sie vor dem Gemälde stand.

      „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tun sollte“, gab Eva unsicher zurück.

      „Bitte, mach das Licht an.“

      Widerwillig drückte Eva auf den Schalter und sofort erhellte sich der Raum.

      Julia hielt den Blick fest auf das Gemälde gerichtet, tat alles, um nur nicht den Toten an der Wand anzusehen. Sie hängte das Gemälde ab, hob es gegen das Licht und starrte so lange darauf, bis die Farben vor ihren Augen verschwammen.

      Nichts Außergewöhnliches zu erkennen.

      „Und?“, fragte Eva.

      „Nichts.“

      „Na dann … Wir haben es versucht. Jetzt sollten wir wieder gehen.“

      Julia trat mit dem Gemälde unter die Deckenlampe und hob es an, sodass das Licht genau durch das Papier schien. Sie kniff die Augen zusammen und sagte: „Da!“

      Eva verließ ihren Posten bei der Tür und eilte zu ihr hin. „Wirklich?“

      „Ja, sieh es dir an.“

      Auch Eva kniff die Augen zusammen und betrachtete das Gemälde im Licht. „Tatsächlich“, murmelte sie.

      „Das ist es, Eva! Das ist es!“

      „Ja, ich sehe es.“

      Auf der Oberfläche des Gemäldes waren mehrere Striche zu sehen. Zuerst ein langer, fast gerader Strich, dann eine weniger exakte Linie. Dann folgte ein dritter Strich, dann ein vierter. Im richtigen Winkel war das gesamte Bild mit Strichen und ungeraden Linien und Formen bedeckt.

      „Oh Mann!“, stieß Eva aus. „Das ist tatsächlich eine Karte!“

      „Ja, und zwar eine sehr detaillierte Karte“, sagte Julia. „Eine penibel von Hand angefertigte Skizze. Schau, es gibt Landmarken und Entfernungsangaben. Die Linien und Bögen schaffen geometrische Formen. Und hier in der Mitte befindet sich ein rotes X.“ Mit der Fingerspitze deutete Julia darauf. „Hier befindet sich das Ziel. Wenn wir Glück haben …“

      „Warte.“ Eva griff nach ihrem Handy und gab einen Suchbegriff ein. Dann deutete sie mit dem Finger zuerst auf die Karte, dann auf das Display. „Das ist Hannover“, sagte sie und verglich die gezeichnete Karte mit der auf ihrem Handy. „Wir sind hier, siehst du?“ Sie hielt Julia das Display vor die Nase und als diese nickte, deutete sie auf die gezeichnete Karte. „Das X befindet sich nicht weit von uns. Im Gegenteil, es ist ganz in der Nähe.“

      „Hier ist noch etwas.“ Julia deutete auf eine Stelle neben dem X. „Buchstaben. Aber ich kann sie nicht entziffern, sie sind zu schwach.“ Sie beugte sich über die Karte, konzentrierte sich, gab sich alle erdenkliche Mühe. „Es ist ein Wort. Könnte cimiterium heißen.

      „Latein?“ sagte Eva. „Dann könnte es ‚Gottesacker‘ bedeuten.

      „Friedhof?“

      „Möglich.“ Eva blickte wieder auf das Display ihres Handys. „Nur einen Kilometer von hier befindet sich ein Friedhof.“

      „Na, dann los“, sagte Julia. „Fotografieren wir die Karte mit dem Handy und dann machen wir uns auf den Weg.“

      Und wieder kamen sie nur im Schneckentempo voran. Aber jetzt hatten sie zu dem heftigen Schneetreiben auch noch mit einer Steigung zu kämpfen. So dauerte es viel länger als angenommen, bis Julia endlich erleichtert verkündete: „Wir sind da!“

      „Wirk…lich?“, keuchte Eva. „Das wurde aber auch … Zeit!“

      Sie stapften auf den Eingang des Friedhofs zu, und natürlich war die Pforte verschlossen.

      „Dann müssen wir eben klettern. Komm.“ Aufmunternd nickte Julia Eva zu. Die zögerte und murmelte etwas, was nicht zu verstehen war, machte sich dann aber ebenfalls daran, über die Mauer des Friedhofs zu klettern.

      Wenig später befanden sie sich auf der anderen Seite, sahen sich um und stellten fest, dass der Friedhof nicht besonders groß war. Dafür aber offenbar sehr alt. Es gab hier keine aufrecht stehenden modernen Grabsteine, sondern in den Boden eingelassene Granitplatten, die vollständig eingeschneit waren.

      „In welche Richtung müssen wir?“, fragte Julia.

      Eva nieste, zog ihr Handy aus der Jackentasche und blickte auf das Display. „Das X befindet sich etwa dreihundert Meter nördlich von hier.“

      „Okay. Los.“ Julia ging voraus, einmal quer über den Friedhof, bis sie sich ganz am hinteren Ende befanden. Hier waren die Grabsteine groß und alt und mit unzähligen Namen mit Titeln versehen. „Hier?“

      Eva blickte erneut auf das Display, nickte und sah sich um. „Allerdings sehe ich hier nichts, was uns weiterhelfen könnte.“

      „Ich auch nicht.“ Julia kniff die Augen zusammen, hatte aber große Schwierigkeiten, durch das dichte Schneetreiben etwas zu erkennen.

      „Und jetzt?“, fragte Eva.

      „Ich weiß es nicht.“