Kranichtod - Ein Fall für Julia Wagner: Band 5. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643107
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du mal darüber nachgedacht, warum Mok ausgerechnet ihm von Sofie Dale, den Kranichen und dem Zaren erzählte?“

      „Natürlich hab ich darüber nachgedacht. Und eine Antwort darauf hab ich nicht.“

      „Mok sagte, er ginge seinem Ende entgegen, richtig? Das könnte doch bedeuten, dass er ahnte, dass er nicht mehr lange am Leben sein würde. Dass er ahnte, dass die Kraniche ihn schon bald erwischen würden.“

      „Und da ging er noch schnell in die Kneipe und schnappte sich den Nächstbesten, um ihm die Geschichte vom Zaren zu erzählen? Also, ich weiß nicht …“ Edda schüttelte den Kopf. „Klingt ziemlich weit hergeholt, wenn du mich fragst.“

      „Aber nicht unmöglich.“

      „Nein. Nicht unmöglich.“

      Zwei Sekunden, drei, herrschte vollkommene Stille im Raum.

      Dann sagte Susanne: „Und was machen wir jetzt?“

      Edda drehte sich zu ihr um. „Ich weiß nicht. Was schlägst du vor? Sollen wir uns bis an die Zähne bewaffnen und gegen die Kraniche in den Krieg ziehen?“

      „Ein paar einfache Fragen stellen würde für den Anfang schon reichen. Ein paar Nachforschungen über Sofie Dales Verschwinden anstellen.“

      Wieder vergingen ein paar Sekunden.

      Dann nickte Edda und ging zur Tür.

      „Wo willst du hin?“, fragte Susanne.

      „Ich setze mich an den Computer und beschaffe mir alle nötigen Informationen über Sofie Dale.“

      Sofort war Susanne auf den Beinen. „Ich komme mit.“

      3. KAPITEL

      Keine gewöhnliche Leiche

      Hannover

      19:25 Uhr

      Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich Frieda Behnkes Augen an die Düsternis gewöhnt hatten. Sie hatte nur eine leichte Strickjacke übergezogen, was sie jetzt bereute. Frierend und bibbernd eilte sie auf das Nachbarhaus zu. Den selbst gebackenen Christstollen hielt sie fest in den Händen.

      Beim Nachbarhaus angekommen, drückte sie auf den Klingelknopf und wartete.

      Niemand öffnete.

      Frieda klingelte erneut, und wieder tat sich nichts im Inneren des Hauses. Da aber das Licht im Wohnzimmer brannte, musste jemand da sein.

      „Hallo?“, rief Frieda, laut genug, um im Inneren gehört zu werden.

      Als sie daraufhin wieder keine Antwort bekam, überlegte sie kurz, dann ließ sie von der Haustür ab und ging zum Wohnzimmerfester. Auf einer vereisten Stelle rutschte sie aus und knickte sich den Knöchel um. Der Schmerz fuhr ihr bis in die Hüfte. Sie drohte zu fallen, konnte sich aber mit einer Hand am Fensterbrett festhalten.

      Noch einmal sagte sie laut: „Hallo? Frau Strickner? Ich bin es, Frieda Behnke. Ihre Nachbarin.“

      Wieder keine Antwort.

      Frieda hob den Kopf und blickte durch die Scheibe ins Wohnzimmer. Zuerst sah sie nur eine Hand. Bleich und krallenartig. Dann sah sie den Rest und stieß einen Schrei aus. Sie wich zurück und drohte erneut zu fallen. Sie suchte nach ihrem Gleichgewicht, fand es, rannte zurück zu ihrem eigenen Haus und rief dort so schnell sie konnte die Polizei.

      Eine halbe Stunde später stand Hauptkommissar Michael Tech ganz still da, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben, während um ihn herum das Klicken von Kameras zu hören war, das Klingeln eines Handys und gedämpfte Gespräche. Dazu Männer in weißen Overalls, die sich systematisch durchs ganze Haus arbeiteten. Irgendwo fluchte jemand leise.

      Tech hatte Halsschmerzen und seine Augen tränten unablässig. Er sollte eigentlich zu Hause im Bett liegen. Schon seit Tagen quälte er sich mit einer Grippe herum, die er nicht auskurieren konnte, weil immer irgendetwas dazwischenkam. Weil die Arbeit nicht abreißen wollte, nicht einmal an Weihnachten.

      Und jetzt das.

      Er betrachtete die Leiche, die noch nicht von der Stelle bewegt worden war. Sie würde noch eine ganze Weile so liegen bleiben, bis sie von allen Seiten fotografiert worden war und bis der Arzt sie untersucht hatte.

      Tech wandte den Blick ab und betrachtete das Bücherregal, das gesprenkelt war mit einer dunklen Substanz. Es sah aus wie Kaffee. Dafür sprachen auch die Überreste von etwas, das aussah wie eine zerschmetterte Kaffeetasse. Die Scherben lagen überall auf dem Boden herum.

      „Guten Abend“, sagte Doktor Eduard Gläser, der gerade das Wohnzimmer betreten hatte. „Tut mir leid, aber es war mir bei dem schlechten Wetter leider nicht möglich, schneller hier zu sein, Herr Kommissar. Entschuldigen Sie. Herr Hauptkommissar muss ich ja nun sagen.“

      Tech zog es vor, nicht darauf zu antworten. Er ahnte, dass dies ein schicksalhafter Moment war. Dass hiermit seine Stunde gekommen war, doch er wollte nicht darüber nachdenken, noch nicht, denn er wusste, wenn er es tat, dann würde die Last auf seinen Schultern unerträglich werden.

      Gläser ging auf die Leiche zu und blieb neben ihr stehen. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“

      „Ich auch nicht“, sagte Tech.

      „Wer sollte denn so etwas tun? Wer sollte ausgerechnet sie umbringen?“

      „Wir werden es herausfinden.“

      Der Arzt kniete neben der Leiche nieder und kratzte sich am Kopf. Er war aufgewühlter, als er zugeben wollte. Seine Wangen zeigten eine intensive Röte. „Verdammt schade.“

      Das war es wirklich. Denn die Tote auf dem Boden war nicht irgendeine Frau. Hier war keine gewöhnliche Bürgerin umgebracht worden. Hierbei handelte es sich um Frau Doktor Hannelore Strickner. Sie lag auf dem Rücken, ihre Augen starrten an die Decke, ihr blondiertes Haar lag um ihren Kopf herum gefächert und der Boden um diesen Kopf herum war voller Blut.

      Gläser riss sich zusammen und begann mit seiner Arbeit. „Erschossen“, sagte er. „Eine Kugel in den Hinterkopf. Blitzsauberer Schuss. Hat keine zwei Sekunden in Anspruch genommen. Das lässt mich nicht an einen Kontrollverlust aus unerwiderter Liebe denken. Sieht eher nach einer kaltblütigen Exekution aus.“

      „Also ein Profi“, sagte Tech.

      „Würde ich denken, ja. Ein Jäger könnte das hier aber durchaus auch bewerkstelligen.“ Gläser widmete sich wieder der Leiche. „Die Kugel sitzt noch im Schädel. Ich kann kein Austrittsloch entdecken.“

      „Aus welcher Entfernung wurde geschossen, was meinen Sie?

      „Nach den Rückständen an der Einschussstelle zu schließen: einen Meter, höchstens.“

      „Und wann?“

      „Das dürfte noch nicht so lange her sein. Etwa drei bis vier Stunden.“

      „Also zwischen 17: 00 Uhr und 18:00Uhr.“

      „Ja.“

      Tech nickte, sah sich noch einmal im Raum um und hegte nicht den leisesten Zweifel daran, dass ihn das hier für die nächste Zeit rund um die Uhr auf Trab halten würde. Er durfte nicht vergessen, morgen früh seine Mutter anzurufen, um ihr mitzuteilen, dass er zum Weihnachtsfest vermutlich nicht kommen würde. Das würde wieder Diskussionen geben …

      „Der Blutmenge um den Kopf herum nach zu urteilen, scheint sie genau an dieser Stelle hier umgebracht worden zu sein“, durchbrach Gläsers Stimme seine Gedanken.

      Tech konzentrierte sich wieder auf ihn. „Vermutlich stand sie hier und hielt eine Tasse Kaffee in den Händen, als sie erschossen wurde.“ Ein Foto, das auf einem Regal stand, stach ihm ins Auge. Es zeigte Frau Doktor Strickner mit einem Mann, der ein etwas vorstehendes Auge und dünnes dunkelblondes Haar hatte. Die beiden hatten die Arme umeinander gelegt. „Wer ist das?“, fragte er.

      Gläser hob den Kopf und folgte