Ellen. Carolin Schairer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Schairer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783897419964
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angemessen: Es war nicht kalt, doch es wehte ein leichter Wind, der das Tragen einer dünnen Jacke oder eines langärmeligen Shirts erforderlich machte – zumindest für Menschen mit normal entwickeltem Temperaturempfinden. Kathrin Hanelka, Jasna Milic und Max, der Praktikant, trugen Pullis oder Jacken, Lilli Muster hatte sogar vorgeschlagen, ins Innere des Lokals zu wechseln. Brauer, der Personalchef und Harald Lindtmann, der Geschäftsführer, wollten lieber im Garten des Restaurants Platz nehmen, und alle hatten sich gefügt. Schließlich waren es die beiden, die zu diesem Essen einluden. Es sollte ein Dankeschön für das gesamte Team sein, das im Fall »Fenolane« so gute Arbeit geleistet hatte.

      Nina, die sonst immer fror, hatte sich ihrer Jacke an diesem Abend bereits entledigt und litt trotz ihres gerafften, schulterfreien Oberteils unter dem Gefühl, jeden Moment zu verglühen. Selbst der eiskalte Begrüßungscocktail konnte an ihrem Zustand nichts ändern.

      Ellen McGill saß ihr schräg gegenüber, und der Auslöser für Ninas innere Hitzen war ein einziger Blick gewesen, der sie getroffen hatte, als sie sich eben zwischen Lilli und Jasna niederließ. Es war jener grüne, leidenschaftliche Raubkatzenblick, dem sie vor rund drei Wochen zum ersten Mal begegnet war.

      Während Nina Mühe hatte, sich auf die Speisekarte zu konzentrieren, weil sie sich ihres Oberteils, dessen dünner Stoff ihren schwarzen BH kaum verdeckte, nur allzu bewusst war, schien Ellen McGill entspannt in das Gespräch mit Lindtmann vertieft.

      Die Erinnerung an jede Berührung, mit der Ellen sie zu einem willenlosen Geschöpf hatte werden lassen, war präsenter denn je. Und trotz der leichten Scham, die sie auch jetzt noch empfand, wenn sie an das Erlebnis dachte, sehnte sie sich in diesem Moment danach, wieder von Ellen geküsst und berührt zu werden.

      »Und, Nina, schon etwas gewählt?« Jasnas Stimme riss sie aus ihren heimlichen Gedanken.

      »Ich weiß nicht«, sagte Nina verwirrt. Sie hielt die Speisekarte nun schon geschlagene fünf Minuten in den Händen und war genauso schlau wie zuvor. Jasna machte einen belanglosen Scherz darüber, dass sie sich nicht entscheiden konnte, und alle lachten, nur Nina starrte weiter in die Karte, ohne die Buchstaben wahrzunehmen.

      Wenn mich Ellen noch einmal so ansieht, werde ich vergehen, schoss es ihr durch den Kopf. Verstohlen betrachtete sie sie aus dem Augenwinkel und stellte fest, dass Ellen immer noch mit Lindtmann sprach. Seltsamerweise fühlte sie sich davon mehr enttäuscht als erleichtert.

      Der Kellner kam und nahm die Bestellung auf. Nina bestellte das Gericht, auf das ihr Blick gerade gefallen war.

      Mit halbem Ohr verfolgte sie dann das lockere Geplänkel zwischen Lilli und Max. Von der anderen Seite drang Kathrin Hanelkas mühsam beherrschte Stimme zu ihr herüber. Sie erzählte Jasna in allen Details, dass sie sich nun zur Scheidung durchgedrungen hatte und wie sie ihren Mann »nach Strich und Faden fertigmachen« wollte.

      Nina fiel Lillis Kommentar zu Kathrin Hanelka ein. Nach allem, was sie hier unfreiwillig mitanhörte, war sie überzeugt, dass Lilli mit ihrer Beschreibung noch untertrieben hatte.

      »Nina, du bist so still«, stellte Lilli plötzlich fest. »Ist alles okay?«

      Da am unteren Tischende eine Gesprächspause entstanden war, zogen Lillis Worte die Aufmerksamkeit von Brauer und Lindtmann auf sich. Nina merkte, dass die beiden eine Reaktion erwarteten, und fühlte sich unwohl. Sie mochte es nicht, bei Tischrunden im Mittelpunkt zu stehen.

      »Ich bin nur etwas müde«, sagte sie ausweichend.

      »Kein Wunder, nach den letzten bewegten Wochen und Monaten«, meinte Brauer sarkastisch. »In diesem Jahr folgt bei uns ja eine Medienkrise der anderen.«

      »Tja, aber Frau Blume schlägt sich doch recht tapfer«, sagte Lindtmann, und Nina war überrascht, denn bisher hatte sie nicht einmal damit gerechnet, vom Geschäftsführer überhaupt wahrgenommen zu werden. »Was sagen Sie dazu, Ellen? Sind Sie mit der PR-Betreuung zufrieden?«

      Nina wollte entweder sofort versinken oder unsichtbar sein. Sie kam sich vor wie die unfreiwillige Statistin in einem Bühnenstück, das sie nicht kannte. Es wurde über sie geredet, und es wurde über sie hinweggesprochen.

      »Ich bin sehr zufrieden«, sagte Ellen McGill. Nina hatte nichts anderes erwartet. Was konnte Ellen auch antworten außer höflichen Floskeln, wenn das Gespräch über galante Tischkonversation nicht hinausgehen sollte? Immerhin, seit Anfang Mai besuchte Nina zweimal pro Woche nach der Arbeit einen Englischkurs. Brauer hatte sie per Mail darüber informiert, dass sie hierzu im Rahmen einer Personalentwicklungsmaßnahme angemeldet worden war. Gewiss hatte Ellen, die Zeugin von Ninas fremdsprachlicher Niederlage, ihr diesen Kurs organisiert.

      Als das Essen serviert wurde, stocherte Nina nur lustlos darin herum. Das orientalische Lamm mit Datteln und Nüssen duftete verführerisch, doch ihr Magen war wie zugeschnürt. Die nervöse Unruhe, die sie seit Ellens Blick ergriffen hatte, war nicht verflogen. Irgendwann gab sie auf. Sie schob das Gericht von sich und nahm einen kräftigen Schluck Rotwein.

      »Nina, du isst wie ein Spatz«, stellte Lilli fest. »Kein Wunder, dass du so schlank bist.«

      »Normalerweise kann Nina Unmengen verdrücken«, schaltete sich Jasna ein. »Ich muss es wissen, ich gehe täglich mit ihr in die Kantine. Heute dagegen macht sie Ellen Konkurrenz. Aber von Ellen sind wir das ja gewohnt.«

      Ellen McGills Essgewohnheiten waren ein Thema, das regelmäßig für Gesprächsstoff sorgte. Auch Nina hatte schon davon gehört, dass Ellen angeblich nur Salat oder Mini-Portionen von Gemüse oder allenfalls etwas fettarmen Fisch zu sich nahm. Allem Anschein nach entsprach das den Tatsachen. Auch Ellen hatte nach der Hälfte ihrer Zucchini-Tagine aufgegeben und den Teller bereits von sich geschoben.

      »I’m not hungry in the evening«, sagte Ellen, die Jasnas Bemerkung mitbekommen hatte.

      »Und mittags anscheinend auch nicht«, erwiderte Jasna trocken.

      »Ich hoffe nicht, dass Sie uns beide noch verhungern«, meinte Brauer und wischte sich mit der Serviette den Rest einer undefinierbaren Soße aus dem Mundwinkel. »PR und Pharma-Leitung gleichzeitig nachbesetzen, das wäre mein persönlicher Alptraum als Personalchef.«

      »Sie sorgen sich umsonst«, sagte Ellen. Lächelnd setzte sie hinzu: »Frau Blume wird Ihnen sicher noch lange erhalten bleiben.«

      Nina hob den Kopf. Sie spürte deutlich, dass die Stimmung umgeschlagen war, und blickte erstaunt um sich: Jasna, nie um ein Wort verlegen, war von einer Sekunde zur anderen todernst geworden und aß schweigend weiter. Auch Lindtmann konzentrierte sich auf seine Mahlzeit, und Brauer griff zum Weinglas. Nur Max, Lilli und Kathrin Hanelka schienen von dem plötzlichen Stimmungsumschwung nichts bemerkt zu haben.

      Automatisch sah Nina zu Ellen hinüber, die nun ebenfalls zu ihrem Weinglas griff. Ellens Lippen umspielte ein dünnes Lächeln, doch als sich ihre Blicke trafen, sah Nina nur zwei ernst blickende Augen, in denen für Bruchteile von Sekunden eine Traurigkeit lag, die sie erschreckte. Schnell sah Nina zur Seite.

      Sie nahm nur am Rande war, dass Brauer einen belanglosen Scherz machte; dass Lindtmann sich mit den Worten »Der Rest des Abends gehört meinen Mitarbeitern, Sie amüsieren sich ohne mich ganz sicher besser« verabschiedete; dass Max noch Nachtisch bestellte und dass Kathrin Hanelka zum ersten Mal an diesem Abend etwas Positives äußerte, indem sie die Küche des Lokals lobte und darauf hinwies, dass es drinnen auch ein Hammam-Bad gab, das sie »jedem weiterempfehlen« könne. Ninas eigene Gedanken kreisten nur um Ellen McGill. Wie so oft landete sie wieder bei einer einzigen Frage, die sie nicht los lassen wollte, ehe sie die Antwort darauf gefunden hatte: Wer war diese Frau? Sie wusste längst, dass sie sie nicht mehr hasste. Wie konnte sie auch jemanden hassen, der ihr so nahegekommen war und bei ihr derart starke körperliche Empfindungen wachrufen konnte? Ellens Hände unter ihrem Slip – sie dachte daran und spürte, was die Erinnerung bei ihr hervorrief. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen und drückten hart gegen den Stoff ihres BHs.

      Sie sah in Ellens Richtung. Wieder trafen sich ihre Blicke. Die Traurigkeit von vorher war aus Ellens Augen verschwunden. Der Blick, den sie Nina nun schenkte, war fest, intensiv und zog sie ganz in ihren Bann. In Ninas Innerem stieg die Hitze.