Die Einfälle der heiligen Klara. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711461365
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daß zum Fall Zimová noch etwas gesagt werden mußte, und zwar von ihm selbst. Frau Plavcová entschuldigte sich bei den anderen durch ein Lächeln.

      – Ich möchte wenigstens einmal den Anfang eines Films sehen!

      Der Direktor erblickte das Mädchen auf dem Gang, und plötzlich sah er auch das Ende der Sache vor sich. Er ging hinaus, die anderen folgten in seinem Sog.

      – Klára ... Ich kann’s noch immer nicht glauben, aber es ist nun mal so, daß ich keine Beweise habe. Morgen meldest du der Klasse, daß die Turnstunde ausfällt, weil ihr eine neue Arbeit schreibt.

      Dann gewann der Zweifel die Oberhand, und er fügte ironisch hinzu:

      – Und sollte dir wieder etwas einfallen, dann sag’s ruhig weiter. Wenn sie dich dann ums Schulhaus jagen, werde ich mit Vergnügen zuschauen!

      – Unserer Věra sagst du aber nichts,

      sagte Hauptmann Urban, schon im Gehen salutierend,

      – ich werde dafür sorgen, daß sie’s büf ...

      Er sprach nicht zu Ende. Den Blick auf die anderen gerichtet, hatte er unachtsam die erste Stufe betreten, glitt aus und rutschte krachend bis zum Treppenabsatz.

      Die Männer eilten ihm trampelnd nach. Der Direktor rief:

      – Karel! Ist dir etwas ...

      – Nein ...

      Immer noch platt auf allen vieren wie ein Frosch, starrte der Polizeibeamte das Mädchen an, das oben stehen geblieben war. In seinen Augen spiegelte sich nicht Schmerz, sondern Staunen.

      IV

      Was sich tut, wenn sich nichts tut. – Die Ähnlichkeit zwischen einer Geschichte und Quark. – Warum man ausgerechnet die eigene Frau geheiratet hat. – Haben sie ihn schon erwischt? – Ablehnung von Hellseherei hemmt die Entfaltung des Denkens. – Kann man vor Wut sein Englisch vergessen? – Dieser Mensch kommt mir nicht ins Haus! – Der Einfluß eines schamlosen Nachthemds auf eine Mathematikarbeit. – Schlimmstenfalls fragst du die Klára ...

      Es ist Mode geworden, den Helden einer Geschichte nur dann Aufmerksamkeit zu widmen, wenn sich in der Geschichte gerade etwas tut. Zumal die dramatischen Künste frönen dieser Unart, der dann auch die Prosa verfällt; weder auf der Bühne noch auf der Leinwand geschieht es jemals, daß die Helden stundenlang auf dem Klo Zeitung lesen, ganze Abende stumpfsinnig auf den Fernsehschirm starren oder einfach im Bett liegen, ohne wer weiß was zu tun. Auch in der Prosa gibt es kaum noch einen Autor, der sich zu schreiben traut, daß sich sogar auf dem Höhepunkt einer Krise mitunter nichts Erwähnenswertes tut: Da denkt er sich lieber aus, daß irgend jemand sich irgend etwas Bedeutungsvolles denkt.

      Wenn die eben erst gemolkene Milch stockt, dann tut sich auch nichts. An der weißen Oberfläche hat sich eine Schicht abgesetzt, so trügerisch unbewegt wie ein Theatervorhang, hinter dem die Dekoration gewechselt und die Handlung ein Stück vorangetrieben wird. Dann genügt es, den Topf ein wenig anzustoßen, der Vorhang reißt, und auf der Bühne erscheinen Quark und Molke.

      Indes: Hat man uns nicht gerade das vorenthalten, was ein Naturwunder von einem Taschenspielertrick unterscheidet?

      Wenn die eben erst exponierte Handlung reift, dann tut sich oft noch weniger, obwohl sich währenddessen der Lauf der Dinge und deren Kulmination anbahnen. Dann genügt es, in die stehenden Gewässer einen Kiesel des Geschehens zu werfen, und wie vom Blatt, genau nach Lehrbuch, setzen Kollisionen, Krisen, Peripetien und Katastrophen ein.

      Freilich: Hat man uns nicht gerade um das beraubt, was das wirkliche Leben über ein Schattenspiel hinaushebt?

      Folgen wir nicht dem Beispiel der Faulpelze, Dummköpfe oder Arschkriecher, die lediglich Feuersbrünste, Morde und Bürgermeisterwahlen in die Gemeindechronik eintragen, so daß nach einem halben Jahrhundert kein Mensch mehr feststellen kann, wer in der Gemeinde die schönsten Beine hatte, was zwar nicht alle, aber auch nicht wenige umwälzende Ereignisse erhellen würde. Lernen wir aus den eigenen Tagebüchern, in denen sich verzweifelt oft der Satz »Heute nichts Besonderes« breitmacht, so daß wir nach Jahren zwar genau wissen, wann uns wer welchen Zahn gezogen hat, aber vergeblich herumrätseln, was uns veranlaßt hat, aus so vielen besseren Möglichkeiten ausgerechnet die eigenen Ansichten, den eigenen Beruf und die eigene Frau auszuwählen.

      Daher: Behalten wir die Akteure auch an dem Abend im Auge, da die eben erst in Gang gebrachte Geschichte wieder zum Stillstand kommt und alle sich noch als unwissende Reisende darin befinden, die weder von Eisenbahn noch Flugzeug transportiert werden, sondern vom Planeten selbst.

      An jenem Abend saß, wie an jedem Abend, die Familie Zima vor dem Fernsehgerät. Auf der Herdplatte erkaltete der Himbeersaft, und die Küche duftete wie ein mittäglicher Garten. Auf dem Bildschirm hatte ein Komiker den unglücklichen Liebhaber abgelöst, und dem Publikum kamen die Tränen jetzt vor Lachen. Auch die Zimas lachten mit.

      Der Vater hatte die großen Hände im Schoß liegen. Klára streichelte die weiße Katze. Die Großmutter strickte und dachte an den Opa: Auf dem Heimweg vom Slawenball waren sie bis zur Torbogeneinfahrt des vornehmen Hauses im Prager Stadtteil Vinohrady gelangt, wo sie in Dienst stand. Der Opa setzte ihr begeistert auseinander, das siegreiche revolutionäre Proletariat werde in Kürze auch ihr Joch beseitigen, und die Oma hoffte erregt, er werde ihr noch vorher einen Kuß geben. Mutter Zimová, die sich endlich vor das Fernsehen hingesetzt hatte, kramte ständig abwechselnd in beiden Schürzentaschen. Nach einer Weile fragte Vater Zima:

      – Was suchst du, Mama?

      – Ach, die Brille ...

      antwortete Mutter Zimová.

      Der Komiker machte den nächsten Witz, und Eltern und Tochter lachten aufs neue los. Dann drehte sich die Mutter zur Tochter um:

      – Dir fällt auch nicht ein, wo sie sein könnte, Klárinka?

      – Im Saft,

      sagte die Tochter.

      – Im Saft?

      wunderte sich die Mutter,

      – was macht die Brille im Saft?

      Sie stand auf, ging zum Herd, rührte mit einer Schöpfkelle im erkalteten Saft und erstöberte etwas. Ein seltsamer Gegenstand kam zum Vorschein; von allen bekannten Gegenständen glich er ausschließlich einer in Himbeersaft gekochten Brille.

      – Sie war drin!

      rief die Mutter und spülte sie unter der Wasserleitung ab.

      – Na also, hurra!

      sagte Vater Zima.

      – Dankeschön, Klárinka!

      sagte die Mutter, als sie, die Brille auf der Nase, wieder vor dem Fernseher Platz nahm.

      – Schon gut, Mama,

      sagte Klára Zimová und stimmte in das Lachen ihrer Eltern über einen weiteren gelungenen Witz ein.

      Die Großmutter küßte den Opa aus eigenem Antrieb und entfloh, schamentbrannt, in die Gegenwart. Forschend betrachtete sie den Bildschirm und erkundigte sich:

      – Haben Sie ihn schon erwischt?

      Die Antwort erfolgte, wie üblich, unisono:

      – Das ist schon was anderes, Oma!

      Am selben Abend, fast gleichzeitig, saßen Tikals im Wohnzimmer. Es geschah selten, daß sie so dasaßen, denn der Vater hatte oft im Krankenhaus Dienst, in letzter Zeit sogar um so öfter, als er die neue Schwester Dušková, ebenso bildhübsch wie unerfahren, vor den Zudringlichkeiten der übrigen Ärzte bewahren mußte; heute hatte Schwester Dušková dienstfrei, und so konnte er sich der Familie widmen. Frau Tikalová räumte den Tisch ab, und Doktor Tikal schlug interessiert eine englische Fachzeitschrift auf. Darin befand sich ein Aufsatz über die nichtoperative Heilung von Meniskusschäden, den er unbedingt lesen mußte.

      – Papa,

      fragte Tikal