Die Einfälle der heiligen Klara. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711461365
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auf den freien Stuhl, und nachdem Vater Zima sich bedrückt gesetzt hatte, richtete er an ihn – auch im Namen des Präsidenten – streng das Wort.

      – Es ist schön, Genosse Zima, wenn die Eltern ihren Kindern glauben, aber was zuviel ist, ist zuviel! Aufgrund unserer gesamten pädagogischen Praxis können ich und mein Kollege –

      er meinte allerdings Brunát, aber es wirkte, als meinte er den Präsidenten.

      – behaupten: So ein Zufall ist total ausgeschlossen. Wenn wir’s recht bedenken, dann ergibt sich: a) Die ganze Klasse hat nur jene fünf Beispiele ausgerechnet, die Genosse Brunát in seinem Buch angekreuzt hatte, und b) Ihre Tochter gibt zu, daß sie es war, die den Mitschülern diese Beispiele angegeben hat. Ergo: Wie hat sie das herausbekommen? Es ist doch im Interesse ihrer gesamten Weiterentwicklung, daß sie uns das sagt. Das meinen Sie doch auch, hab ich recht?

      Zima hatte die ganze Zeit über schüchtern genickt.

      – Es bleibt also nichts anderes übrig, als daß Sie selbst sie fragen, und zwar mit allem Nachdruck!

      Zima hörte auf zu nicken und sagte verlegen:

      – Aber sie hat’s doch schon gesagt ...

      – Was?

      – Na, daß es ihr eingefallen ist.

      Direktor Plavec brüllte gar nicht pädagogenhaft:

      – Aber das ist doch absoluter Blödsinn!!

      Die Zimová wartete unterdessen auf dem Korridor: Die tiefstehende Sonne drängte sich an die Quadrate der Fensterscheiben; auf dem Fußboden des Korridors zeichneten sich jedoch merkwürdigerweise Rauten ab. Sie versuchte, über sie hinwegzuhüpfen, ließ es aber plötzlich bleiben und trat neugierig ans Geländer. Gleich darauf schlug im Erdgeschoß eine Tür zu, und Schritte wurden laut. Dann erschien in der Treppenbiegung ein schlanker Mann in der Uniform eines Polizeibeamten. Klára lächelte zufrieden und grüßte artig.

      – Guten Tag.

      – Grüß dich, Klárka,

      sagte der Polizeibeamte,

      – ich bitte dich, was geht hier ...

      In Kláras Augen flackerte Angst auf. Sie rief:

      – Vorsicht!

      Er blieb stehen.

      – Wieso?

      – Damit Sie nicht ausrutschen ...

      – Ich? Warum sollte ich ausrutschen?

      Sie zuckte verwirrt die Achseln.

      Welche Verantwortung, wenn man Vater ist! Welche Sorge, wenn man Vater einer Tochter ist! Welche Plage, wenn man Vater einer Tochter ist, an der die Pubertät rüttelt! Der Polizeibeamte hatte auch so eine daheim, und er hätte über ihre Hirngespinste wissenschaftliche Werke verfassen können, wenn er Zeit gehabt hätte. Seiner Věra hätte er schlicht eine gelangt. Klára lächelte er nur mitleidig zu und ging wortlos weiter. Er griff in dem Moment nach der Klinke des Direktorzimmers, als die Tür aufflog und der Mathematiklehrer kläffte:

      – Urbanová!

      Beide erschraken.

      – Puh!

      machte der Polizeibeamte.

      – Pardon ...

      stotterte Brunát,

      – ich rufe eben Ihre ...

      – Mein Mädel,

      erklärte der Polizeibeamte und schloß die Tür hinter sich,

      – kommt verheult angerannt, angeblich ist ein Malheur passiert, da hab ich ihr gleich eine gelangt, als Vorschuß, und nun möchte ich fragen, wie viele ich ihr nachliefern soll. Hat sie ein Ungenügend geschrieben?

      – Nein, im Gegenteil, aber es geht gar nicht um sie,

      sagte der Direktor Plavec und reichte ihm die Hand,

      – sei mir gegrüßt, Karel, das hier ist Herr Zima, Genosse Zima, das ist Hauptmann Urban, falls Sie ihn nicht ...

      – Ich kenne ihn ...

      Nach der Gewohnheit von Männern, die eine militärische Grundausbildung als einfacher Soldat genossen haben, nahm Zima respektvoll Haltung an, ein ganz klein wenig geduckt, damit er den um so viel Ranghöheren nicht um so viel überragte.

      Hauptmann Urban reichte ihm erfreut die Hand.

      – Ah! Da bin ich aber froh! Unser Mädel und Ihr Mädel sind doch Banknachbarinnen! Also, um was geht’s denn?

      Direktor Plavec setzte es ihm in allen Einzelheiten auseinander. Der Polizeibeamte machte lange eine skeptische Miene. Plötzlich merkte er auf:

      – Unser Mädel hat eine Eins bekommen? Da muß also wirklich etwas faul sein. Wo ist der Schlüssel, und wo ist der Tisch?

      Er hockte sich davor, schweigend eingekreist von den Vorigen sowie von einigen anderen Pädagogen, die sich im Lehrerzimmer noch auf den morgigen Unterricht vorbereiteten. Mit Kláras Hilfe war auch Schulwart Coufal gefunden worden; sie war, ohne zu überlegen, in den Turnsaal gelaufen, wo er auf dem Stapel aufgehäufter Matten dann und wann ein Schläfchen zu machen pflegte. Der Hauptmann untersuchte eingehend das Schloß. Dann fragte er Brunát:

      – Haben Sie noch einen Schlüssel?

      – Nein.

      – Sie auch nicht?

      Das galt Coufal, der eben schlaftrunken überlegte, wo er seine Zigarre vergessen hatte. Man mußte die Frage wiederholen.

      – Nein ...

      – Dann ist alles klar.

      – Was ist klar, Karel?

      fragte der Direktor ungeduldig.

      – Dieser Schoß ist jungfräulich.

      – Wie bitte?

      – Verzeihung,

      entschuldigte sich der Hauptmann,

      – dieses Schloß hat niemand gewaltsam geöffnet.

      – Ja, aber wie ist sie dann an die Beispiele gekommen?

      fragte der Mathematiklehrer zerquält.

      Da aller Blicke auf ihm ruhten, sagte Vater Zima seelenruhig:

      – Es ist ihr eingefallen ...

      Stille. Dann sprach das älteste Mitglied des Lehrerkollegiums, der Naturkundelehrer Látal, dem es die Treue zu den altmodischen Idealen einer überholten Demokratie verwehrt hatte, Direktor zu werden, dessen Meinung hier jedoch seit jeher mehr galt als diejenige Plavecens.

      – Ich finde, man sollte keine Affäre daraus machen. Hier der Kollege Brunát sucht zu Hause neue Beispiele heraus, die Kinder schreiben das morgen einfach noch mal, und wer gestern geschummelt hat, kann baden gehen.

      Damit war der Fall für ihn erledigt. Unterwegs zum Kleiderständer, wo als letztes Banner der alten Zeiten ein dunkelblauer, breitkrempiger Hut hing, wie ihn der erste Präsident der Republik getragen hatte, sagte er streng zum Schulwart:

      – Coufal, bringen Sie mir endlich das Naphthalin ins Kabinett, sonst muß ich demnächst statt der Vögel die Motten drannehmen!

      Er setzte den Hut auf, öffnete die Tür und nahm ihn galant wieder ab. Auf der Schwelle stand eine junge Dame, die Brust wie ein antiker Harnisch, das Haar wie ein goldener Helm.

      – Ergebenster Diener, Madame!

      sprach Látal und dienerte tatsächlich, ließ sie passieren, erwiderte freundlich den artigen Gruß der wartenden Klára und strebte zur Treppe.

      Pallas Athene blickte den Direktor fragend an. Woher kenne ich die nur, überlegte der fieberhaft. Da öffnete sie den Mund:

      – Albert, wo bleibst du? Wir kommen schon wieder zu spät.