Die Einfälle der heiligen Klara. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711461365
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Ich bitte dich, warum sollte ich so etwas tun?

      Dieses Nachthemd regte ihn auf. Warum nur trug seine Frau ein so schamloses Nachthemd? Ein Kurzschluß gebar einen weiteren teuflischen Gedanken.

      – Hat dich etwa einer von diesen Knaben bezirzt?

      – Also, du bist wohl ... Du bist wohl übergeschnappt!! Die sind doch erst vierzehn!

      – Vielleicht hat einer von ihnen einen feschen Vater!

      Frau Brunátová hatte sich mehr als einmal gewünscht, ihr Mann möge wenigstens ein einziges Mal im Leben eine Eifersuchtsszene hinlegen, sie eine Zeitlang anbrüllen oder sogar irgendwas zertrümmern, aber diese himmelschreiende Verleumdung verschlug ihr den Atem.

      – Jan, wenn es einen Gott gibt,

      sprach sie in gerechtem Zorn,

      – dann wird er dich dafür strafen!

      Er hörte, wie sie sich im Schlafzimmer einsperrte, spürte, daß er sie wohl gekränkt hatte, aber er konnte sich nicht helfen: Solange der rätselhafte Vorfall nicht zufriedenstellend geklärt war, stand jeder unter Verdacht. Er glaubte fanatisch an Zahlen, das Irrationale wies er schlichtweg von sich. Ich kriege dich! drohte er im Geiste dem unbekannten Übeltäter. Dann kam ihm eine geniale Idee.

      – Weißt du, was?

      wandte er sich laut an den Übeltäter,

      – das machen wir ganz anders!

      Er nahm einen Gummi und radierte alle vier im Lehrbuch angebrachten Merkzeichen aus – fast zerrieb er dabei das Papier.

      Anschließend zog er einen Block aus dem Schreibtisch und schnitt mit der Schere hastig, aber fein säuberlich kleine Quadrate aus.

      In derselben Nacht, viel später, blickte Hauptmann Urban in der Küche auf seine verheulte Tochter herab. Er war nur im Trainingsanzug, aber die Verräterin Urbanová hatte vor ihm noch mehr Angst als ein ertappter Räuber.

      – In fünf Stunden nur sieben Beispiele!

      rief er aus und haute auf den Tisch, auf dem sich eine Halde mit durchgestrichenen Zahlen bekritzelter Papiere türmte.

      – Das versteh ich niiie ...

      blökte seine Tochter.

      – Bist du denn total verblödet?

      Ich glaube, jaaa ...

      – Du bist nicht dumm,

      grollte der Vater,

      – du bist nur stinkfaul! Aber merk dir eins! Wenn du das verpatzt, komm mir nicht unter die Augen!!

      – Ich geh da nicht hiiin ...

      – Was?

      – Ich tu mir was aaan ...

      Bevor er dazu kam, ihr noch eine zu kleben, erschien in der Küche seine Gattin. Mit Lockenwicklern sah sie aus wie eine Frau von einem anderen Planeten. Sie schritt um ihren Mann herum und trocknete mit mütterlicher Hand die töchterlichen Tränen.

      – Na, komm, Věruška,

      sprach sie besänftigend,

      – wasch dich mal schön, und dann ab in die Heia.

      – Entschuldige mal,

      protestierte der Vater,

      – es bleiben ihr noch hundertdreizehn Beispiele!

      – Na eben!

      entgegnete die Mutter kategorisch. Sie war weit und breit die einzige, die vor Urban keine Angst hatte: Sie kannte den Zustand seiner Wäsche, seines Körpers und seiner Seele besser als er, und er ordnete sich ihr unter wie seinen Vorgesetzten.

      – Also, hopp,

      sie gab der Tochter einen Schubs,

      – guter Rat kommt über Nacht.

      Und kaum außer Urbans Hörweite, flüsterte sie noch:

      – Schlimmstenfalls fragst du wieder die Klára!

      V

      Justiz in der Klasse und Klassenjustiz. – Das Marterprogramm. – Věra, das war eine Sünde! – 15,32,51,65 und 99. – Der Bruder des Direktors auf dem Lokus. – Ein Mathematiklehrer trägt keine Insekten in den Taschen mit sich herum. – Die Klasse wird so liegen, wie Bašus sie bettet. – Die grundsätzliche Bedeutung des Punktes. – Ein glücklicher Zufall soll nur verdienten Bürgern begegnen. – Zeig mir, was du da hast! – Kein Ingenieur unter dem Fenstersims. – Wer hat nicht abgegeben?

      Eines ließ Hauptmann Urban sich nicht nehmen: wie immer an kritischen Tagen die Tochter bis vor die Schule zu begleiten, um sicherzugehen, daß sie die Schule nicht schwänzte, und um sie obendrein bis zum letzten Moment erziehen zu können. Urban war ein anständiger, fleißiger Mann mit Durchsetzungsvermögen, er hatte sich Rang und Funktion von der Pike auf und ohne Protektion erarbeitet, da er schon in jungen Jahren das Wörtchen »unmöglich« aus seinem Wortschatz gestrichen hatte. Unterwegs nannte er der Tochter zahlreiche belehrende Beispiele aus Geschichte, Literatur und eigenem Leben, bemüht, in ihr die Überzeugung zu verwurzeln, daß Schularbeit sich am leichtesten mit unerschütterlichem Selbstvertrauen, gesundem Ehrgeiz und heiterem Gemüt bewältigen läßt.

      Die Urbanová greinte heute ausnahmsweise nicht, daß seine Begleitung sie zur Zielscheibe allgemeinen Gespötts mache, sondern nickte fügsam und blieb mit ihm sogar bis zum ersten Klingelzeichen vor dem Schulgebäude stehen, damit möglichst viele Mitschüler den uniformierten Vater sahen. Sie ahnte, daß dieser Freitag ein schwarzer werden würde, und wäre heilfroh gewesen, wenn sie auch in der Klasse Polizeischutz genossen hätte.

      O Jugend, wie grausam, aber auch gerecht vermagst du den Verrat an der gemeinsamen Sache zu bestrafen! Wie einfach und verständlich sind deine Gesetze, wie unbestechlich und unabhängig ist dein Gericht, wie wirkungsvoll deine unblutige Strafe! Auf diese Weise wird die Bestie Verrat an der Kette gehalten, und lassen Hasenfüße oder Hundsfötter sie frei, so werden sie für ihre Hasenfüßigkeit respektive Hundsföttischkeit mit schlagfertigem Wort und treffsicherer Hand entlohnt und obendrein öffentlich als hasenfüßig respektive hundsföttisch angeprangert.

      Weiß Gott, wenn Völker in ihre Klassenkämpfe die Grundsätze ihrer Schulklassen einbrächten, dann würden sich nicht so viele Diktatoren auf ihrem Rücken austoben, und Okkupanten würden um sie herumschleichen wie genäschige Kater um die verschlossene Speisekammer. Wie schade, daß diese Justiz am Schultor endet; gleich dahinter werden Tyrannen und Vaterlandsverräter als Stützpfeiler von Recht und Anstand proklamiert und mit Orden, Ämtern und Gütern belohnt.

      Weit mehr als die neue Schulaufgabe verursachte der Urbanová die Vorstellung des Spießrutenlaufens eine Gänsehaut, das ihr nicht erspart bleiben würde, selbst wenn sie fünf Väter in Polizeiuniform hätte. Sie wünschte sehnlichst, zu ihrer Bank möge ein Tunnel führen.

      Sie bangte durchaus zu Recht. Das empörte Kollektiv plante, der Verräterin Martern ersten Grades, zutreffend »höllische« genannt, angedeihen zu lassen. Unter anderem standen ihr bevor:

      Verweigerung brüderlicher Hilfe an der Tafel (verantwortlich: Bašus) und in der Bank (Kollektivhaftung),

      Auskippen der Schultasche, auch »Kassensturz« geheißen, vor dem Unterricht (verantwortlich: Brož) und »Prager Fenstersturz« danach (verantwortlich: Ehrenberger),

      unbemerktes Schwärzen einer oder mehrerer Backen mit Ruß (zu besorgen, einschließlich des Rußes, von der Slámová),

      Zukleben des Russischlehrbuchs für die 8. Klasse mit Sardellenpaste (Tikal),

      Einsperren in der Mädchentoilette (Tikal),

      vorübergehende Entwendung der Füllfeder, deren Entleerung und anschließende Füllung mit Ketchup (Dušek),

      gewaltsame Abnahme eines Schuhs und Verbergen desselben hinter der Box der Schulsprechanlage (Dušek und