– ich hätte gern mit Herrn Zima gesprochen.
– Ich passiere gerade Himbeeren,
antwortete Frau Zimová.
Den Direktor verblüffte diese Antwort. Es dauerte einen Augenblick, bis er, leicht aus dem Konzept gebracht, abermals anhub.
– Aber ich hätte gern den Genossen Zima ...
– Der ist in der Werkstatt. Aber Sie können vorbeikommen, er macht’s Ihnen gleich.
In dem Moment erinnerte sich der Direktor glücklicherweise, daß Zima eine kleine Autoreparaturwerkstatt leitete. Er kannte sich wieder aus.
– Hier Plavec, der Schuldirektor. Es wäre nötig, daß er sofort in die Schule kommt, es geht um Ihre Klára. Richten Sie’s ihm aus?
Mutter Zimová sagte entschuldigend:
– Aber wo ich gerade die Himbeeren passiere ...
Sie fragte nicht einmal, worum es ging. Plavec kam zu Bewußtsein, daß er in all den Jahren weder sie noch ihren Gatten in der Schule gesehen hatte. Zugegeben, das Mädel hatte gute Noten, und auch ihr Betragen hatte bis heute nichts zu wünschen übriggelassen, aber trotzdem: Eltern sollten sich nach ihren Kindern erkundigen kommen, schon aus Achtung vor den Pädagogen. Gereizt sprach er weiter.
– Könnten Sie nicht wen zu ihm schicken? Es ist wirklich sehr dringend!
– Also, dann schick ich die Líza hinüber.
– Seien Sie so freundlich!
schloß der Direktor scharf und legte auf; irgend etwas ging ihm nicht aus dem Kopf, und deshalb wandte er sich an die Zimová.
– Du hast eine Schwester?
– Bitte, nein.
– Und wer ist Líza?
– Bitte, unsere Katze.
Der Direktor sperrte den Mund auf, aber da bemerkte er den Blick des Mathematiklehrers und klappte ihn wieder zu. Er wollte keine dummen, läppischen Fragen stellen.
– Tsch, tsch, tsch!
machte Mutter Zimová; das weiße Wolleknäuel neben der Großmutter stand auf und dehnte sich.
– Kschtz! Sag dem Papa, er soll herkommen.
Die weiße Katze schrumpfte ein, als hätte man die Luft aus ihr herausgelassen. Dann stieß sie sich ab, streckte sich und sprang in einem langsamen, fließenden Bogen aus dem Fenster. Sie schritt, sich im Schatten der Rosen haltend, würdevoll am Haus entlang. Das schwere Tor der Werkstatt stand nur einen Spaltbreit offen; um hindurchzugelangen, mußte sie sich fast so dünn machen wie ein Blatt Papier. In der Werkstatt war keine Menschenseele zu sehen, nur ein halbes Dutzend auseinandergenommener Autos. Die weiße Katze ging zu einem uralten Praga, setzte sich neben die Hinterachse und miaute zweimal.
– Gleich, Líza,
ertönte es unter dem Wagen hervor,
– bin schon unterwegs!
Der Direktor wollte überhaupt keine Fragen mehr stellen, um die Klinge seiner Mission nicht von kindischem Geschwätz abstumpfen zu lassen. Die Uhr auf der Pfarrkirche schlug fünf. Er forderte Brunát auf:
– Schicken Sie die anderen nach Hause. Bis auf die Urbanová.
Der Mathematiklehrer öffnete die Tür, und der Tonfall seiner Stimme verriet alles.
– Die ganze Klasse kann nach Hause gehen. Nur die Urbanová bleibt.
Er verschwand. Vierzig Kehlen gaben einen Laut von sich, als knurrte ein riesiges Tier. Vierzig Paar Augen stellten die Urbanová an den Pranger.
– Du blöde Ziege,
sagte Tikal halblaut,
– wenn sich herausstellt, daß du gepetzt hast ...
Das pummelige Mädchen brach in Tränen aus und setzte sich mit einer unerwarteten Gewandtheit, wie sie die Angst gebiert, treppab in Bewegung. Die anderen rannten trampelnd hinterdrein.
– Urbanová!
schrie Schulwart Coufal; damit hatte er seiner Pflicht Genüge getan und ging zum Volkstumsbarden, um seine Zigarre zu holen.
Wie ist die Zeit zu überbrücken, die uns vom Höhepunkt der Jagd trennt, wenn die Beute enthäutet ist und der Kopf als Trophäe feierlich über der Tafel der Sieger aufgerichtet wird?
Der Direktor zog gewaltsam die Spannung hinaus. Er setzte sich an seinen Tisch, machte ein äußerst strenges Gesicht, warf gelegentlich einen Blick auf die Uhr, trommelte gelegentlich mit den Fingern. Der Mathematiklehrer ließ sich im Sessel für hohe Besucher und Pädagogen nieder. Er machte ein finsteres Gesicht, warf gelegentlich einen Blick auf die Uhr, rasselte gelegentlich mit den Schlüsseln. Klára Zimová saß auf dem Stuhl für Eltern und Schüler, genauso ruhig, als wäre sie im Kino.
Schließlich ertönte ein Klopfen.
– Herein!
Als niemand eintrat, sprang der Direktor hinter dem Schreibtisch hervor und riß die Tür auf. Wut wurde von Schrecken abgelöst. Auf der Schwelle stand ein Mann, noch größer als Brunát. Doch Brunát war spindeldürr, Zima hingegen muskelbepackt. Er hatte seinen ölverschmierten Overall an und hielt die riesigen Hände auf dem Rücken versteckt.
– Ich bin einfach gleich so gekommen ...
Der Direktor schilderte ihm den Fall viel zurückhaltender, als er beabsichtigt hatte. Nicht aus Feigheit; die Kleine begann ihm leid zu tun. Wenn diese Pranken einmal zuschlugen ...
– Vielleicht hatte sie Angst vor uns,
schloß er versöhnlich,
– vielleicht sagt sie Ihnen eher die Wahrheit. Na, Klára, wie war das also?
Sie schaute vertrauensvoll ihren Vater an und begann in der Kindersprache, deren Sätze keinen Anfang und kein Ende kennen:
– Der Genosse Professor hat gesagt, es werden Beispiele aus dem Rechenbuch sein, und da hab ich es nach dem Unterricht aufgeschlagen, um nachzusehen, und da ist mir eingefallen, das werden diese fünf sein, und die Urbanová hat mich gefragt, was ich glaube, daß wir aufbekommen, und da hab ich’s ihr gesagt, und die Urbanová hat gefragt, wieso ich das weiß, und da hab ich ihr gesagt, es ist mir so eingefallen, und dann ist der Tikal dazugekommen, und die Urbanová hat ihm dasselbe gesagt, was ich ihr gesagt hab, und der Tikal hat mich gefragt, ob ich das hundertprozentig weiß, und da hab ich gesagt, ja, und er hat’s dem Brož gesagt, und der Brož dem ...
Als erster verlor der Mathematiklehrer die Nerven.
– Zimová! Im Rechenbuch stehen einhundertzwanzig Beispiele! Bitte, überzeugen Sie sich selbst!
Das galt dem Vater, dem er das aufgeschlagene Lehrbuch hinhielt. Zima zog verschämt die Hände zurück.
– Ich hab mich nicht richtig gewaschen ...
Der Direktor sagte eindringlich:
– Zimová! Du wirst doch deinen eigenen Vater nicht anlügen!
– Aber ich lüge nie,
sagte das Mädchen, als wäre ihre Geduld unerschöpflich.
Der Direktor appellierte an die letzte Instanz.
– Genosse Zima! Sie sollten ihr ins Gewissen reden!
– Aber sie lügt nie,
sagte der Vater, als wollte er ein eigensinniges Kind beschwichtigen.
Er tauschte mit der Tochter einen liebevollen Blick, und der Direktor stellte bestürzt fest, daß der Riese die gleichen schrägen Mandelaugen hatte wie sie. In dieser Größe strahlten sie so etwas wie wehrlose Unbeholfenheit aus. Woran erinnerten sie ihn ganz stark? Eine Kuh! dachte er. Der Ochse und sein Kalb! Er verlor jeglichen Respekt vor ihm.
–