– fällt dir vielleicht ein, welcher?
– Bitte, die Urbanová,
sagte das Mädchen, als antwortete sie an der Tafel auf die leichteste aller Fragen.
Die beiden Männer stutzten. Der Mathematiklehrer hatte das Gefühl, der Vorteil der Überraschung schwinde dahin, und unternahm rasch einen neuen Ausfall.
– Und wollen Sie hier vielleicht behaupten, sie hat sich das ausgedacht?
Die Zimová schwenkte ihren Unschuldsblick zu ihm hinüber.
– Bitte, das will ich nicht.
Jesus, an wen erinnert mich das, kramte der Direktor im Gedächtnis, und schon wußte er’s. Er entsann sich, mit welch überzeugender Entrüstung seine junge, vergötterte Frau voriges Jahr bestritten hatte, einen Eduard Hakl zu kennen, dessen Liebesbrief sich doch in seiner Tasche befand. Aus ihren Augen war die gekränkte Unschuld auch nicht gewichen, als er ihr den Brief gezeigt hatte, so daß er bis heute nicht sicher war. Und so fängt alles an! Er verhärtete sich.
– Was du willst oder nicht willst, meine liebe Zimová, ist uns herzlich egal. Du wirst uns erklären müssen, wie du dir die Beispiele verschafft hast. Denn –
und er fuhr sein schwerstes Geschütz auf
– der Genosse Brunát hatte sie im Lehrbuch angekreuzt, und das hatte er bis gestern früh in seinem Tisch im Lehrerzimmer!
Der Mathematiklehrer klingelte unheilverkündend mit dem Schlüsselbund vor ihrem Gesicht, obwohl er selbst nicht wußte, was er damit erreichen wollte.
– Hier sind die Schlüssel!
– Was du also getan hast,
der Direktor erhob sich abermals und nahm die Hilfe des Präsidenten in Anspruch,
– ist nicht nur Betrug, sondern es läuft auf Einbruch hinaus!
Beide Pädagogen waren überzeugt, jetzt müsse sie aber endlich losheulen und mit der Wahrheit herausrücken. Sie indes heulte mitnichten los und sagte, quasi entschuldigend, als wollte sie ihnen die Freude nicht verderben:
– Aber ich hab nirgendwo eingebrochen.
– Nein??
ereiferte sich Brunát und rasselte mit den Schlüsseln.
– Bitte, nein.
Der Direktor hatte von sämtlichen Weibern die Nase voll, angefangen bei der Zimová, bis zu seiner Gattin.
– Zimová! Ich kenne dich seit acht Jahren, aber ich hätte nie geglaubt, daß du so lügen kannst!
– Bitte, ich lüge nicht.
Der Direktor brüllte los.
– Hast du ihnen die Beispiele nun gegeben oder nicht??
– Bitte, ja.
– Könntest du uns also erklären, wie du an sie herangekommen bist?
– Bitte, ja.
– Dann erklär’s uns!!
– Bitte, mir ist das eingefallen.
– Was ist dir eingefallen?
– Mir ist eingefallen, welche Beispiele wir aufbekommen.
Soviel Frechheit verschlug ihnen den Atem. Der Direktor meinte bissig:
– Also, das wäre mir nie eingefallen. Aber dafür fällt mir etwas anderes ein. Habt ihr zu Hause Telefon?
III
Stadt S. versus Fluß S. – Ein Fluß, töpfchenweise aufgefüllt. – Die Schlüssel zur Stadt mitsamt dem Tor gefällig? – Revolutionärer Mönch und imperialistischer Teufel. – S/S. – Eine Katze als Bote. – Zwei Paar Kuhaugen. – Unser Mädel hat eine Eins bekommen? Da muß etwas faul sein. – Dieser Schoß ist jungfräulich. – Sollte dir wieder etwas einfallen, dann sag’s ruhig weiter! – Die Polizei weint nicht, darf aber staunen.
Die Stadt S. liegt am Fluß S. Seit uralten Zeiten ereiferten sich die Bürger der Stadt und die Anwohner des Flusses über die Streitfrage, ob der Fluß nach der Stadt benannt war oder umgekehrt. Es erinnerte an die mittelalterliche Polemik, was zuerst da war: die Henne oder das Ei.
Die Bürger der Stadt behaupteten, es sei der wegen seiner unerschrockenen Krieger, geschickten Glasbläser und aufgeklärten Geistlichkeit berühmte Ort S. gewesen, der dem unbedeutenden, unschiffbaren und daher namenlosen Wasserlauf seinen Sinn und folglich auch seine Benennung verliehen hatte; erst danach und lediglich dadurch sei das Rinnsal zur Kenntnis genommen, in Landkarten verzeichnet, mit Gehöften und Ferienhäusern gesäumt, befischt und schließlich reguliert worden, nach Ansicht der Bürger der Stadt völlig überflüssigerweise, da jeder Anwohner des Flusses verpflichtet gewesen sei, täglich ein Töpfchen Wasser hineinzuschütten, damit er überhaupt floß.
Die Anwohner des Flusses behaupteten, es sei der wegen seiner kühnen Flößer, fleißigen Fischer und aufgeklärten Geistlichkeit berühmte Fluß S. gewesen, der dem bedeutungslosen, weltabgeschiedenen und daher völlig unbekannten Nest seine Daseinsberechtigung und folglich auch seinen Namen verliehen hatte; erst danach und nur deswegen sei es entdeckt, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, bewohnt, in den Territorialplan aufgenommen und mit Wällen umgeben worden, laut Meinung der Anwohner des Flusses ganz entbehrlicherweise, denn kaum wurde das neuerliche Eindringen fremder Heere in Böhmen kundgetan, hätten sich die Bürger der Stadt in den Feldern postiert und den Eroberern mitsamt den Schlüsseln vor lauter Eifer auch das ausgehängte Stadttor überreicht.
Als aufgeklärte Geistlichkeit galt sowohl der einen als auch der anderen Seite der Mönch Clarinus, welcher der Sage nach den Teufel aus einer Höhle am (!) Ufer vertrieben und im (!) Fluß ertränkt hatte, so daß beide Seiten zu Recht Anspruch auf ihn erhoben. In der Zeit knapp vor Klára Zimovás Geburt wurde die Erwähnung der Geistlichkeit vorübergehend unterlassen, und zwar im Zusammenhang mit der revolutionären Umwandlung der Gesellschaft. Der Kreisausschuß erstellte später für die Schulen der Stadt und des Flußgebietes einen einheitlichen Text, in welchem statt des Mönchs die fortschrittliche Intelligenz gefeiert und statt des Teufels der Imperialismus verurteilt wurde. Da Großmütter und Mütter den Kindern die Legende jedoch weiterhin im Originalwortlaut erzählten, wurde gleichzeitig der völkischen Tradition und dem Prestige des Regimes Achtung gezollt.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß sich in der Stadt und im Flußgebiet ortsüblicherweise die Abkürzung S. an der S., weiterverkürzt zu S. a. d. S. und schließlich zu S/S, eingebürgert hatte. Eine ganze Reihe von Briefen und Ansichtskarten S/S-Gebürtiger, die als Touristen, Sportler, Geheimdienstler oder Emigranten nach einer der zahlreichen Okkupationen die Welt durchstreiften, war – mit dieser Anschrift versehen, wiewohl versehentlich ohne Angabe des Landes nach Hause gesandt – in den Archiven der britischen Admiralität geendet, denn dort bezeichnet man mit der Abkürzung S/S jedwedes steam ship, also Dampfschiff.
Als das Telefon klingelte, hatte Mutter Zimová alle Hände voll zu tun. Auf dem Tisch ruhte umgekehrt ein Stuhl, an jedem seiner Beine war der Zipfel einer Serviette befestigt, und unter der Serviette stand ein Topf; Mutter Zimová passierte die ersten Himbeeren dieses Jahres und filterte den Saft durch die Serviette. Ihre Hände waren bis zu den Ellbogen so rot, als steckten sie in Handschuhen.
Sie blickte sich nach der Großmutter um. Oma Zimová saß in ihrem Sessel, auf der einen Seite weiße Wolle, auf der anderen Seite braune Wolle. Die braune Wolle verstrickte sie. Den grauen Kopf schräg gehalten, betrachtete sie den dunklen Fernsehschirm und lächelte. Mutter Zimová erriet, daß sie an den Opa dachte. Oma Zimová dachte ausschließlich an den Opa. Seit er voriges Jahr gestorben war, wiederholte sie sich im Geiste ihr ganzes mit ihm verbrachtes Leben, Minute um Minute. Eben tanzte sie Mazurka auf dem Slawenball.
Mutter Zimová bereitete es ziemliche Mühe, den Hörer so zu ergreifen, daß sie ihn möglichst wenig verschmierte. Dann fragte sie altväterlich: