Die Einfälle der heiligen Klara. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711461365
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der Turnstunde Dresche mit dem Medizinball beim Gruppenspiel (alle),

      während der Turnstunde sogenanntes gordisches Verknoten sämtlicher Wäsche- und Kleidungsstücke (Javůrková),

      auf dem Heimweg geschickte Anbringung eines Zettels mit der Aufschrift »Achtung, böser Hund« auf dem Rücken (Tikal),

      und schließlich, ins Schülerbuch eingeschmuggelt, das Hauptmann Urban täglich aufmerksam studierte, die Fotografie eines Korporals mit der gefälschten Widmung: »Věra, das war eine Sünde! Dein Karli« (ebenfalls Tikal).

      Das reichhaltige Programm blieb auf den Kassensturz beschränkt. Kaum hatte sich der an der Tür lauernde Brož ihrer Schultasche bemächtigt und im Laufschritt deren Inhalt längs des Podiums bis zum Fenster verstreut, während Ehrenberger, von Dušek abgeschirmt, versuchte, ihr einen Schuh abzustreifen, kreischte die Verräterin Urbanová schrill:

      – Laßt mich in Ruhe, und ich verrate euch was!

      Jahrhundertealter Schülerinstinkt zwang alle, der Information Gehör zu schenken, mochte es sich auch nur um eine Finte handeln. Sie hielten die Urbanová jedoch sicherheitshalber fest; die Slámová, die ihr laut Programm scheinbar zu Hilfe eilen sollte, wickelte den echten, hausgemachten Ruß aus.

      – Rück heraus damit!

      rief Tikal.

      – Statt Turnen schreiben wir eine neue Mathe-Arbeit!

      Die Klasse erstarrte zu Stein.

      – Was quasselst du da ...

      fuhr Tikal sie an, aber in seinem Inneren tickte der Instinkt wie ein Wecker und sagte ihm, daß es stimmte.

      Brož warf der Urbanová ihre leere Tasche zu, Ehrenberger den Schuh. Sie stoben in ihre Bänke, um den Zustand ihrer Spickzettel zu überprüfen; dann dämmerte ihnen, daß sie statt derer heute Turnhosen und -leibchen mitgebracht hatten. Bis auf Bašus wurden alle von Panik erfaßt.

      – Jesusmaria,

      jammerte die Batková, womit sie die Stimmung der überwältigenden Mehrheit ausdrückte,

      – na, das gibt ein Waterkloo!

      In dem Moment betrat die Zimová die Klasse. Tikal bemerkte sie als erster.

      – Klárka!

      schrie er auf, wobei er unbewußt, ähnlich wie gestern abend vor dem Einschlafen im Geiste, zum erstenmal laut eine Koseform ihres Namens verwendete,

      – der Pythagoras läßt die Arbeit wiederholen!

      – Ich weiß,

      antwortete sie, begrüßte freundlich die Urbanová, hockte sich neben sie und half ihr beim Aufklauben der verstreuten Schulausrüstung.

      – Hör mal,

      Tikal beugte sich, einer Eingebung folgend, zu ihr herab,

      – du hast nicht zufällig das Buch da?

      – Doch, hab ich.

      – Und könntest du nicht mal kurz reinschauen? Vielleicht fällt dir wieder ein, was er uns aufgibt ...

      Die Urbanová schnauzte er an:

      – Glaub nur nicht, daß die Sache für dich erledigt ist!

      Voll Abscheu kickte er das Bleistiftetui weg, nach dem sie eben die Hand ausstreckte, und schaltete wieder auf Klára um.

      – Wie haben wir’s? Probierst du’s? Keine Angst, wenn’s schiefgeht, nehm ich’s auf meine Kappe!

      fügte er gentlemanlike hinzu.

      Klára zuckte die schmalen Schultern.

      – Warum nicht? Der Genosse Direktor hat’s mir erlaubt.

      – Was??

      Das war ihnen eindeutig zu hoch, aber der Zeitdruck gestattete nicht, sich jetzt damit aufzuhalten.

      – Also, mach schon!

      Sie setzte sich aufs Podium, griff in die Schultasche und kramte das Rechenbuch hervor. Ringsum schloß sich hermetisch der Kreis ihrer angespannt schnaufenden Mitschüler. Sie schlug die Seiten mit den Beispielen auf.

      – Fünfzehn,

      verkündete sie.

      – Jemand muß mitschreiben!

      befahl Tikal.

      – Warte!

      rief die Slámová. Sie grapschte nach einem Bleistift und einem zusammengefalteten Papier, aus dem in einem dünnen Rinnsal der Ruß herausrieselte.

      – So, jetzt!

      – Fünfzehn ...

      – Hab ich!

      – Zweiunddreißig ...

      – Weiter!

      – Los, Klára!

      – Einundfünfzig ...

      – Hör mal, weißt du das genau?

      – Sei still, du störst!!

      – Wie kann sie das wissen??

      – Stopft ihm das Maul!!

      – Au, loslassen ...

      – Rasch, Klára!

      – Fünfundsechzig ...

      – Leute, dabei wird mir ganz ...

      – Ruhe, verdammt noch mal!! Klára, noch eins ...

      – ... und neunundneunzig.

      Stille trat ein. Kláras ruhige Gewißheit wirkte so ansteckend, daß niemand mehr seine Zweifel laut werden ließ; die Illusion von Zauberei wurde sofort von der nüchternen Erwägung verdrängt, daß Klára das alles doch nur direkt von Brunát erfahren haben konnte.

      Tikal nahm die Organisation in die Hand.

      – Bašus, mach schon, ich steh Schmiere! Was du jetzt nicht schaffst, erledigst du nach Geo!

      Er bezog am Türspalt Posten, während Bašus nach dem Lehrbuch und der Kreide griff. Gewandt schrieb er das erste Beispiel an die Tafel. Vierzig Augenpaare diktierten es den Händen, die Zahlenreihen, Zahlenkolonnen und Vorzeichen auf Papierschnitzel kleinstmöglichen Ausmaßes kritzelten.

      Die Urbanová verfrachtete ihr Eigentum in die Bank und schloß sich nach kurzem Zögern an. Aber Tikal hatte die Augen überall.

      – Urbanová! Du drehst dich um und schaust dir Bildchen an! Und wenn du wieder quasselst, flüstern wir deinem Alten, daß du dich mit diesem Korporal herumtreibst!

      – Mit was für einem Korporal?

      kreischte die Urbanová,

      – ich kennen keinen Korporal!!

      – Aber bevor das heraus ist, prügelt er dich windelweich!

      Sie mußte ihm recht geben. Also drehte sie sich lieber um und starrte hinter Tränen auf die vergilbte Tafel mit der Darstellung anorganischer Kristalle.

      Nachdem Schulwart Coufal, Zigarre im Mund, um 10.35 Uhr die große Pause abgeklingelt und die Schülerschaft Hof und Korridore geräumt hatte, verließ das Lehrerzimmer als letzter Professor Brunát, abermals den unheilverkündenden Stapel Schulaufgabenhefte unterm Arm, begleitet von Direktor Plavec persönlich, der ihm auf dem Weg treppauf halblaut keuchend die letzten Instruktionen erteilte.

      – Hauptsächlich müssen Sie jedweden Kontakt unterbinden. Keiner darf sich auch nur räuspern. Schließen Sie die Fenster, damit niemand etwas hinauswirft. Ich möchte wetten, die haben sich das Märchen nur ausgedacht, um irgendeinen bärtigen Trick zu kaschieren. Ich, zum Beispiel, hatte –

      sagte er vertraulich

      – immer, wenn eine Mathe-Arbeit geschrieben wurde, meinen Bruder, der schon Ingenieur war, auf dem Lokus versteckt.