Hannah gesellte sich zu ihr, als sie zu ihrer Limousine zurückging. Wenn Albion hier war, war es an der Zeit, zu gehen. Wenn die Polizei Fragen hatte, war sie in ihrem Büro zu erreichen. »Sind Sie sicher, dass das klug war?«, fragte Hannah leise.
»Nein. Aber ich finde ihn abstoßend und es macht mir Freude, ihn vor den Kopf zu stoßen.« Sie sah zu Hannah. »Ich will wissen, warum er hier ist. Albion ist keine Ermittlungsbehörde.«
»Vielleicht wollten sie es nur mal versuchen. Sie wissen doch, dass sie schon seit Monaten versuchen, sich in die Zuständigkeiten der Polizei einzumischen. Um zu zeigen, dass sie es besser können.« Hannah wirkte nervös. Doch vielleicht war das nicht weiter überraschend, angesichts der Art, wie sie von Männern wie Faulkner angesehen wurde.
Sie warf einen Blick über ihre Schulter. Faulkner sah ihnen nach. Sie war versucht, ihm eine Kusshand zuzuwerfen, entschied sich jedoch dagegen. Es war ein schmaler Grat zwischen berechtigtem Widerstand und Provokation.
»Vielleicht«, sagte sie. »Aber ich will es trotzdem wissen.«
3: TOWER HAMLETS SOUTH
Als Olly Limehouse und die Werkstatt erreichte, war es ihm gelungen, sich einigermaßen zu beruhigen. Er hatte einen Zwischenstopp eingelegt, um seinen blutbefleckten Hoodie auszuziehen und ihn in einen Müllcontainer zu werfen. Jetzt trug er nur noch ein T-Shirt, doch das war um einiges sauberer. Er hatte den Hoodie ohnehin von der Heilsarmee, also war es kein großer Verlust. Die DNA-Spuren daran machten ihm etwas Sorgen, doch wenn er sich klug anstellte, gab es Möglichkeiten, das zu umgehen.
Er checkte seinen Newsfeed nach Updates über den Anschlag – denn er war sicher, dass es genau das gewesen war. Selbst wenn er nicht gesehen hatte, woher der Schuss gekommen war. Widersprüchliche Berichte tanzten über sein Display. Immer wieder wurde eine Videoaufnahme des Moments abgespielt und war unmöglich zu ignorieren.
Er dachte an den Gesichtsausdruck des Toten. Dieser plötzliche Stillstand – wie ein verlöschendes Licht, aber nicht ganz. Ein kurzer Moment entsetzlicher Erkenntnis, gefolgt von einer Schlaffheit, als alles in der menschlichen Maschine zum Erliegen kam. Noch nie zuvor hatte er jemanden sterben sehen. Und er war sicher, dass er es auch niemals wieder sehen wollte.
Die Werkstatt war verrammelt und dunkel. Schmiedeeiserne Fensterrahmen, die inzwischen mit Brettern vernagelt waren, starrten blind auf die Straße. Laderampen auf der gegenüberliegenden Seite öffneten sich in Richtung des Limehouse Cut, auch wenn er sich nicht erinnern konnte, dass irgendjemand sie je geöffnet hatte.
Das Gebäude war nicht immer eine Werkstatt gewesen. Ollys Feed füllte sich mit Lokalkolorit, als er sich näherte. Früher hatte es sich erst um den Laden eines Segelmachers, dann um einen Kerzengießer gehandelt – was auch immer das war –, bevor es als Lager und schließlich als Werkstatt gedient hatte.
Die Werkstatt hatte leer gestanden, solange Olly denken konnte, auch wenn ein Schild sie immer noch als TÜV-Zentrum auswies. Vor dem Eingang befand sich ein mit Ölflecken und Unkraut übersäter Parkplatz und der Eisenzaun war zugepflastert mit Schildern, die eine niedrige Miete versprachen, wenn man den Immobilienmakler kontaktierte.
Doch Olly wusste, dass das zuständige Maklerbüro ebenfalls pleitegegangen war. Und es war nicht das einzige. Der Immobilienmarkt war vor ein paar Jahren zusammengebrochen und hatte sich nie wieder ganz erholt. Doch selbst so schnüffelte alle paar Monate jemand von irgendeiner Firma herum, in der Hoffnung, alles abzureißen und Luxusapartments zu bauen, so wie sie es mit den umliegenden verfallenen Läden und Wohngebäuden getan hatten. Doch sie schlichen immer enttäuscht davon. Dafür sorgte DedSec.
Er schlüpfte durch ein Loch im Zaun und zerrte sein Rad hinter sich her. Das Grundstück war übersät mit nicht mehr identifizierbaren verrosteten Metallteilen. Es sah aus wie Trümmer einer verlorenen Schlacht. Einige waren mit Bewegungssensoren versehen, die einen stummen Alarm an jedes DedSec-Mitglied in der Gegend schickten. Überwachungskameras nahmen ab jetzt jeden seiner Schritte auf. Nicht dass es in seinem Fall viel zu sehen gegeben hätte.
Hoch über ihm summten Drohnen durch die Luft, doch im Dach der Werkstatt war ein Sender versteckt, der alle drei Sekunden ein Störsignal an jedes fremde Aufnahmegerät in Reichweite sendete. Dadurch wurde die Werkstatt – und jeder, der raus- oder reinging – so gut wie unsichtbar.
Falls ihn jemand von der anderen Straßenseite beobachtete, spielte das natürlich keine Rolle. Doch Olly bekam keine Pings von anderen Optiks, also war er sich ziemlich sicher, dass er nicht verfolgt wurde. Das bedeutete aber nicht, dass er länger draußen bleiben wollte als unbedingt nötig.
Das Rolltor war immer verschlossen, außer jemand musste schnell ein Auto verstecken. Er schob sein Rad zum Seiteneingang, winkte in die verborgene Sicherheitskamera und hielt sein Optik gegen das Schloss. Ein verborgener Sensor piepte und öffnete die Tür. Sobald Olly drin war, zog er sie hinter sich zu. Das Schloss und das damit verbundene Sicherheitssystem aktivierten sich wieder. Wenn man nicht die richtige Software auf seinem Optik installiert hatte, ging der Alarm los und ein verstärktes Sicherheitsgitter wurde hinter der schlichten alten Holztür heruntergelassen.
Wenn jemand entschlossen war hineinzukommen, würde es ihn nicht lange abhalten können. Doch es verschaffte jedem, der drinnen war, ein paar zusätzliche Minuten, um zu entkommen. Das fasste DedSecs Standardvorgehensweise ziemlich gut zusammen: beobachte, störe, verzögere – und lauf weg, um an einem anderen Tag weiterzukämpfen.
Olly war nie ein großer Freund von Weglaufen gewesen. Selbst als Kind hatte er versucht, sich gegen die größeren Jungs zu behaupten. Es hatte nie gut funktioniert, aber das nächste Mal hatte er es einfach nur noch härter versucht. Er hatte viel Prügel kassiert, doch er hatte gelernt, sie wegzustecken. Und wie man zurückschlug, ohne erwischt zu werden.
Genau darum war es bei der Sache mit den Auffüllrobotern gegangen – zurückzuschlagen. Oder zumindest hatte er sich das eingeredet. Das war doch eine alte britische Tradition, oder? Von den Reichen stehlen und so. Ein richtiger Robin Hood war er. Nur dass er statt Pfeil und Bogen ein geklontes Optik und eine Hacker-App benutzt hatte. Er war gleichzeitig stolz auf sich gewesen und hatte sich vor Angst in die Hose gemacht. Er hatte darauf gewartet, dass die Bullen an seiner Tür klopfen. Doch es waren nicht die Bullen gewesen.
DedSec hatte ihn kontaktiert und Olly hatte sich ihnen ohne langes Zögern angeschlossen. Er hätte sich gern eingeredet, dass er sie beeindruckt hatte, wusste aber, dass sie jeden rekrutierten, der die notwendigen Fähigkeiten besaß. DedSec war nicht das einzige Hacktivist-Kollektiv in London, aber das am besten organisierte. Zumindest behaupteten sie das. Manchmal kam es Olly allerdings so vor, als sei das Gegenteil der Fall. Ständig wechselten die Ansprechpartner und manchmal widersprachen sich ihre Anweisungen. Und es gab niemanden, bei dem man sich hätte beschweren können, selbst wenn er den Mut dazu aufgebracht hätte.
Versager hatten sich nicht zu beschweren und Olly war einer. Er hatte es zweimal verbockt – ein drittes Mal und er wäre raus. Vielleicht würde er auch im Pentonville-Gefängnis landen, wenn seine Kontaktleute besonders rachsüchtig waren. Das erste Mal war ein aufrichtiger Fehler gewesen – er hatte ein Paket der falschen Person gegeben. Beim zweiten Mal hätte er fast dafür gesorgt, dass er selbst und ein paar andere verhaftet worden wären.
Olly legte die Hand auf seine Jacke und spürte den Umschlag. Diesmal hatte er es nicht verbockt. Obwohl das Universum sein Bestes getan hatte. Er atmete tief durch. Es roch nach Staub und Schimmel. Das Innere des Gebäudes war genauso heruntergekommen wie die Fassade. Das Dach bestand hauptsächlich aus Glas in einem Metallrahmen, der von Rost und Vogelscheiße aufgefressen wurde.
Metallstege verliefen unter der Decke an