Watch Dogs: Legion – Tag Null. Josh Reynolds. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Josh Reynolds
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966584173
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      Ihr war klar, dass der arme Kerl längst tot war. Das Loch war zu groß, da war viel zu viel Blut. Kurz verspürte sie Übelkeit, doch sie zwang sie zurück. Hatte er hier gelebt? Sie meinte, ihn in der Zuschauermenge gesehen zu haben. Er sah nicht aus wie jemand, der auf der Straße erschossen wurde. Unweigerlich fragte sie sich, warum er tot war.

      Einige Polizeibeamte hatten sich versammelt. Einer sprach eilig in sein Funkgerät, während seine Kollegin – die zu dem Team gehörte, das für diese Veranstaltung abgestellt worden war – sich an Sarah wandte. »Sind Sie in Ordnung, Ms Lincoln?«, fragte die Beamtin sanft.

      »Ich bin wohlauf, danke. Es ist nur … ich habe vorher noch nie jemanden sterben sehen.« Sie atmete tief durch. »Das war wohl kein Herzanfall, was? Ich habe es zuerst dafür gehalten, aber …«

      »Die Spurensicherung ist auf dem Weg …«

      »Officer, er hat ein riesiges Loch in der Brust.«

      Die Polizeibeamtin sah weg. Sarah musterte die Leiche. Ein Teil von ihr wollte nichts lieber, als so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, nachdem sie jetzt ihre Pflicht für die Kameras getan hatte. Doch ein anderer Teil war neugierig. So etwas passierte hier einfach nicht. Gewalt war in Tower Hamlets – im East End – nichts Unbekanntes. Aber das hier war eine äußerst spezifische Art von Gewalt. Sie schien vollkommen willkürlich.

      Die Polizei führte ihre Arbeit effizient durch. Der Bereich wurde abgesperrt, Zeugen wurden befragt. Sarah sah zu und achtete darauf, beim Zusehen gesehen zu werden. Hannah brachte ihr einen Kaffee und versuchte erneut, sie zum Gehen zu bewegen.

      »Was, wenn Sie das eigentliche Ziel waren?«, fragte Hannah. »Sie wären nicht die erste Politikerin, die von einem Irren angegriffen wird …«

      Sarah trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte furchtbar. Selbst Milch und Zucker konnten den Geschmack verbrannter Bohnen nicht überdecken. Sie verzog das Gesicht, trank aber weiter. »Wenn ich das Ziel gewesen wäre, hätte man mich getroffen. Oder Sie. Wir standen schließlich auf einer Bühne.«

      »Trotzdem …«

      »Trotzdem sind wir jetzt vollkommen sicher.« Sarah sah ihre Assistentin an. Nach einem Moment fragte sie: »Alles in Ordnung?«

      Hannah sah sie verwundert an. »Ich denke schon. Nur ein bisschen mitgenommen.«

      Sarah tätschelte ihren Arm. »Gutes Mädchen. Immer schön die Ohren steifhalten, wie die alten weißen Männer so gern sagen. Und jetzt kommen Sie. Ich will wissen, was hier vorgeht.« Sie ging zur größten Gruppe von Polizisten und Hannah folgte ihr zaghaft.

      Sie nickten respektvoll, waren jedoch wenig entgegenkommend. Eine Labour-Politikerin durfte nicht zu vertraulich mit der Polizei sein, sonst würden die üblichen Verdächtigen ihrer eigenen Partei zu tuscheln anfangen. Recht und Gesetz war für die Tories.

      Sie wandte sich an Hannah: »Besorgen Sie doch bitte für alle Kaffee. Oder Tee oder was auch immer sie wollen. Und beeilen Sie sich.«

      Man musste Hannah zugutehalten, dass sie nicht herumdiskutierte, sondern einfach damit begann, die Bestellungen aufzunehmen. Sarah schaute wieder zu der Leiche, die inzwischen mit einem weißen Laken abgedeckt und von anonymen Kriminaltechnikern in ihren Schutzanzügen umringt war. Einer von ihnen vollzog mithilfe eines Laserpointers die Schussbahn nach. Andere suchten nach der Kugel, mit der … Sie hielt inne. »Wie war sein Name?«, fragte sie laut.

      Die Polizistin, die vorhin mit ihr geredet hatte, drehte sich um. »Wir haben noch keine bestätigte Identität, aber wir denken, dass er hier ansässig war.« Sie sprach mit leiser Stimme.

      »Er hat hier gewohnt?«

      »Möglich.«

      Sarah sah sie an. »Wie heißen Sie?« Sie hätte einfach ihr Optik fragen können, aber es ging doch nichts über eine menschliche Note.

      »Jenks, Ma’am. PC Jenks.«

      »Danke. Für vorhin, meine ich, PC Jenks. Dass Sie nach mir gesehen haben.«

      Jenks wollte gerade etwas erwidern, als ein lautes Motorengeräusch ertönte. Sie drehten sich um und die Polizistin runzelte die Stirn. »Was wollen die denn hier?«, murmelte sie.

      Sarah sah, wie ein klobiges Fahrzeug mit dem gelben Albion-Logo auf seiner Panzerung in ein nahe gelegenes Parkhaus fuhr.

      Es war ein hässliches Ding, für Fahrten durch entmilitarisierte Zonen und urbane Schlachtfelder gedacht. Die Türen wurden geöffnet und zwei Männer stiegen aus. Einen Moment später spuckte die hintere Luke ein halbes Dutzend Albion-Sicherheitsmitarbeiter in ihren schwarzen Kampfanzügen aus. Einer von ihnen war Sarah bedauerlicherweise nur allzu vertraut. »Faulkner«, sagte sie.

      Hannah zog an ihrem Arm. »Wir sollten gehen.«

      »Nein«, erwiderte Sarah und sah zu, wie einige Polizisten sich den Neuankömmlingen näherten. »Auf keinen Fall. Das hier ist mein Revier und ich lasse mich nicht von einem Haufen brutaler Schläger vertreiben, die einen auf Cop machen.« Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie sich Jenks und ihr Kollege bei ihren Worten einen Blick zuwarfen. Es war ein zustimmender Blick, dachte sie. Die Polizei war vom Plan der Regierung, ihre Zuständigkeiten an Albion abzugeben, noch nicht überzeugt. Genauso wenig wie Sarah. Außer jemand sorgte dafür, dass es sich für sie lohnte.

      Normalerweise wäre ihr das egal. Aber Albion markierte in Tower Hamlets gern den starken Mann. Und das störte sie gewaltig.

      Sie ging geradewegs auf die brodelnde Konfrontation zu und hoffte, sie zu erreichen, bevor sie überkochte. Die Beziehung zwischen den Polizisten und dem Albion-Personal war bestenfalls als feindselig zu bezeichnen. Sie hatte Dutzende Berichte von Auseinandersetzungen zwischen den zwei Gruppen gelesen, die meisten verbal, einige aber auch körperlich. Faulkner, Albions Vertreter in East London, testete regelmäßig die Grenzen seiner Autorität aus. Er war bereits zweimal zurechtgewiesen worden, doch das schien ihn und seinen Arbeitgeber nicht besonders zu stören. Vielleicht war es aber auch genau das, was ihm befohlen worden war.

      Faulkner war Soldat – oder genauer, ehemaliger Soldat. Ihre Akte über ihn war unvollständig und größtenteils geschwärzt. Albion schützte die Privatsphäre seiner Angestellten. Selbst so kleiner Fische wie Faulkner. Er war klein und breit, mit kurzen grauen Haaren und einem Gesicht, das zu oft in eine Faust gerannt zu sein schien. Doch sein Blick war scharf und er wirkte wie ein Mann, der seine Umgebung unaufhörlich beobachtete.

      »Albion kann gehen, wohin es will, Kumpel«, sagte er gerade, als sie ankam. Fast, aber nur fast, hätte er einem der Polizisten den Zeigefinger in die Brust gebohrt. »Tower Hamlets ist unser Revier. Wenn euch das nicht gefällt, beschwert euch doch bei euren Chefs.«

      »Wessen Revier?«, fragte sie freundlich.

      Faulkner drehte sich um und verzog das Gesicht.

      »Wie schön, Sie wiederzusehen, Mr Falkner«, sagte Sarah, bevor er sprechen konnte. Sie wusste, dass er ein Problem mit Minderheiten hatte. Er war nicht offen rassistisch, sondern eher gesellschaftsfähig herablassend. Offene Rassisten waren allerdings weniger anstrengend.

      »Sergeant Faulkner«, korrigierte er sie.

      »Mr Faulkner«, fuhr sie fort, als hätte er nichts gesagt. »Das hier ist doch eindeutig eine Angelegenheit für die Polizei.« Sie hatte sich zwischen ihn und die Polizisten gestellt. Es gab zweifellos ein starkes Bild ab und die Nachrichtendrohnen über ihnen nahmen alles auf.

      »Wie ich diese Beamten bereits informiert habe, liegt Tower Hamlet im Zuständigkeitsbereich von Albion …«

      »Im vorläufigen Zuständigkeitsbereich«, unterbrach sie ihn. »Mit Betonung auf vorläufig. Und Ihre sogenannte Zuständigkeit ist klar beschränkt. Und ich glaube, abgesperrte Tatorte gehören nicht dazu.«

      »Vielleicht sind wir ja nur als besorgte Bürger hier.«

      »Und ich bin mir sicher, dass sich die Polizei im Zuge ihrer Ermittlungen gern anhören wird, was Sie zu sagen haben. Doch bis dahin sollten Sie sich vielleicht