„Erwin, es klingt abscheulich, was du eben gesagt hast, ganz abscheulich. Wenn dich meine Grossmama gehört hätte, sie wäre so entsetzt gewesen, dass sie nie wieder ein Wort mit dir wechseln würde.“
Margarete zitterte vor Erregung. „Du führst doch den Namen Prinz Rödnitz, ja, gilt dir der Name nichts?“
Er blickte sie nachsichtig an.
„Liebes Kind, du kannst das nicht auseinanderhalten. Sieh mal, was vorbei ist, ist eben vorbei, wir Lebenden haben recht, immer. Und ein klangvoller Name ist was sehr, sehr Nettes, weil es doch ’ne Mengen Menschen gibt, die Kotau davor machen. Man imponiert damit, ragt über den Durchschnitt weg. Aber es gehört Geld dazu, so einen Namen und Titel mit Anstand zu führen, denn es läuft heutzutage so viel, sogar allerhöchstes Adelsproletariat herum, dass man nur noch durch Geld obenauf bleibt.“
„Ich meine, auch durch Streben und Fleiss,“ setzte sie ihm entgegen. „Wir sind doch beide noch jung, du siebenundzwanzig, ich siebzehn, überlege, was wir schaffen können, wenn wir nur wollen. Schulden haben wir keine besonderen mehr, wir wollen nach Rödnitz, uns einschränken, wollen leben wie schlichte Gutsbesitzersleute. Ich will gerne in jeder Beziehung helfen, will bei der Mamsell lernen —“
Er unterbrach sie ungeduldig.
„Ich sehe dich schon im Geiste im Schweinestall, wie du den Ferkeln das Futter bringst. Ueberlege nur, bis es soweit ist, was du dabei für Toilette machen willst. Ich glaube, dein letztes Kleid, das fliederfarbene mit den Silberperlchen, könnte vielleicht dem Geschmack der Ferkel entsprechen. Und für den Kuhstall, zum Melken empfehlen ich das aus weissem Samt mit der Bordüre aus Venezianer Gold.“
Margarete war ärgerlich, weil Erwin ihren von heissem Eifer beseelten Vorschlag verspottete und musste doch lachen bei dem Gedanken, in grosser Toilette auf dem Gute die Ferkel und Kühe zu besuchen.
Der Prinz nützte den günstigen Moment. Mit einem lachenden Menschen lässt sich leichter verhandeln, als mit einem ernsten.
Er blickte die junge Frau bittend an.
„Sei vernünftig, sei lieb, Marga, und hilf uns aus der Patsche. Ich gebe zu, wir haben zu viel verbraucht, aber wir waren eben beide keine Selbständigkeit gewöhnt, zwei resolute Grossmamas haben uns zu lange beschützt. Mir gab die meine allerdings ein reichliches Taschengeld, aber ich gewann im Spiel ab und zu ganz nett und schob mich so durch. Meine Reisen nach Berlin hielten mich auf der Höhe, auf Rödnitz wäre ich versimpelt. Also, Kindchen, sei vernünftig, gönne uns ein bisschen Lebensfreude! Und ohne Moneten muss man zu weit abseits stehen. Ich will ja Gutsherr spielen, natürlich. Aber Frühling, Sommer und Herbst reichen dafür aus, den Winter muss ich in der Grossstadt verleben und du auch. Wir haben hier einen liebenswürdigen Kreis gefunden, sind förmlich Mittelpunkt und wären blödsinnig, uns in unserer verschneiten Klitsche zu vergraben. Aber man schläft besser, wenn Sicherheit hinter einem steht. Und wenn ich die Wiesen nicht zu verkaufen brauche, bleibt Rödnitz wertvoller. Also, Marga, stopfe die Schlagworte Ahnen, Tradition und Pietät in die Mottenkiste und sei gescheit. Wir wollen die Juwelen in der kleinen Krone fachmännisch schätzen lassen und die grössten davon losschlagen.“
Die junge Frau machte nur eine fast unmerkliche Geste der Verneinung. Schade um jedes Wort, dachte sie.
Erwin Rödnitz sagte hastig: „Sei doch nicht eigensinnig. Familienwerte sind dazu da, der Familie zu nützen. Wir können uns wundervoll mit so ein paar grünen und weissen Steinen helfen. Jetzt ist’s totes Kapital, in bare Münze umgewertet, bringt es uns noch Zinsen ein.“
Margarete liess sich lässig wieder in ihren Sessel fallen, legte den feinen dunkelhaarigen Rassekopf fest gegen die Rücklehne.
„Dringe nicht weiter in mich, Erwin, da ich deinen Wunsch nicht erfüllen könnte, selbst wenn ich wollte, denn die kleine Krone ist nicht in meinem Besitz, sondern, obwohl sie jetzt mein Eigentum ist, unter Grossmamas Obhut.“
„Das kann ich mir denken,“ erwiderte er, „aber das lässt sich doch ändern. Du reist eben zu den Grossmamas in das olle Spukschloss und holst das Schmuckstück. Behauptest kühn, du willst die Krone bei einem Fest oder dergleichen tragen.“
„Das glaubt mir Grossmama nicht, und wenn sie es tut, würde sie böse sein, dass ich so pietätlos mit dem kostbaren Familienerbstück umzugehen beabsichtige. Die Krone ist in dem „ollen Spukschloss“, wie du Wulffenberg nennst, gut und sicher aufgehoben, ich werde sie nicht holen, denn was du mir auch sagen magst, ich halte, was ich Grossmama beschwor. Das Krönlein der, Fürstinnen Wulffenberg wird von mir als Heiligtum geachtet werden.“
Da wandte sich Erwin Rödnitz schroff ab und ging hinaus.
Laut fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Margarete aber drängte nur mühsam die zornigen Tränen zurück, die in ihr aufstiegen. Sie fand das Betragen ihres Mannes hässlich.
Was sollte Luise Moldenhauer, die Zofe, denken, die ein paar Zimmer weiter Wäsche zeichnete, wenn sie die Tür so zuschlagen hörte.
Luise Moldenhauer, mit dem weissblonden Flimmerhaar über der niedrigen geraden Stirn aber lächelte in sich hinein. Sie hatte längst erkannt, dass die prinzliche Ehe nicht auf Liebe und Vertrauen aufgebaut war, sondern, dass die zwei Hochgeborenen Opfer grossmütterlicher Vorsorge geworden.
Die blutjunge Prinzessin mochte ja auch wohl dem Prinzen gefallen haben, denn sie wirkte durch die schmale Gestalt, das aparte Gesichtchen, aber jetzt langweilte sie ihn längst, sonst hätte er nicht immer wieder Versuche gemacht, mit ihr, der Zofe seiner Frau, anzubändeln.
Erwin Rödnitz war wütend in sein Zimmer gelaufen.
Er setzte sich an den Schreibtisch. Nun musste er die Wiesen doch für ein Butterbrot hergeben. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig.
Hier im Hotel musste er bald wieder zahlen und allerlei Läpperschulden waren auch angewachsen. Margarete wusste davon nichts. Er stützte das Kinn in die flache Schale der Hand. So ein Blödsinn, dass er sich nun weiter den Kopf zerbrechen musste, weil es dumme Weiber auf Erden gab.
Fürstin Alexandra hatte den Ahnenspleen und ihrer Enkelin hatte sie anscheinend auch von den Spleenbazillen eingeimpft.
Es klopfte.
Luise Moldenhauer trat auf das „Herein“ in ihrer bescheiden scheinenden Art ein.
„Ihre Durchlaucht lässt Eure Durchlaucht bitten, auf ihre Begleitung zum Wohltätigkeitsball zu verzichten, da sie sich nicht wohl genug fühlt.“
Erwin Rödnitz hätte am liebsten mit der Faust auf die Schreibtischplatte geschlagen. Also Margarete schmollte, wünschte heute abend nicht mit ihm den Ball zu besuchen.
Was ihm daran lag.
So eine Wohltätigkeitssache war überhaupt langweilig, man ging nur hin, um mit dabei gewesen zu sein.
„Bestellen Sie Ihrer Durchlaucht, es täte mir sehr leid, dass sie sich nicht wohl fühle, ich würde mich später nach ihrem Befinden erkundigen.“
Luise Moldenhauer wollte sich entfernen, doch Erwin Rödnitz hielt sie am Kleide zurück.
„Luise, Sie armes Wurm, kommen so wenig fort, immer müssen Sie hier im Hotel herumhocken. Soll ich Ihnen mal eine Karte fürs Theater bringen oder —“ Er zwinkerte ein wenig mit den Augen. „Oder hat das arme Wurm nichts anzuziehen für Theaterbesuch und dergleichen? Ich würde mir dann erlauben —“
Er redete nicht zu Ende.
Luise Moldenhauer konnte sehr unschuldig und doch kokett blicken. „O Durchlaucht —“
Er lachte. „Lass mal die Durchlaucht ein bisschen beiseite, Mädelchen, wollen mal als Mensch zum Menschen sprechen.“
Er erhob sich blitzgeschwind, packte die Zofe um die Hüfte und küsste den hübschen, frischen Mund. Einmal, zweimal und öfter. Luise aber liess es sich gefallen.