Es wächst schon Gras darüber. Walther von Hollander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walther von Hollander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711474570
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sprudelnde Wasser langsam auf den Kaffee, „und Sie haben ein langes, schmales Gesicht. Die Langgesichter, die dabei waren ... das waren Konjunkturritter. Das würde ich Ihnen eher zutrauen.“

      „Die Zahnärzte hatten es leicht“, sagte Paul angreiferisch, „einer Plombe sieht man es nicht an, ob sie von einem Freunde oder Gegner der Regierung gemacht ist. Aber ein Haus verrät die Gesinnung des Architekten.“

      „Sie haben also griechisch-braunauische Riesenbauten in die Welt gesetzt? Geben Sie es nur zu. Es kann nicht jeder der Held gewesen sein, als den er sich jetzt ausgibt. Sonst wäre die ganze Geschichte nicht passiert.“

      Paul nahm sich eine Tasse, die Bröseke eingeschenkt hatte. „Ihr Mokka duftet wundervoll. Ich war allerdings kein Held, aber auch kein Konjunkturritter. Und warum ich kein Held war ... darüber unterhalte ich mich jede Nacht mit jemandem. (Bröseke blickte zu dem Spiegel auf und nickte verständnisvoll.) Es tut mir jetzt verdammt leid. Früher dachte ich, es ginge mich nichts an. Na ... sie haben es uns nun gut beigebracht, daß es uns doch etwas anging.“

      Bröseke kramte in seiner Kiste. „Ein Kirsch dazu wäre nicht schlecht“, murmelte er. „Da ... bravo. Er hat es auch überstanden.“ Und er zog eine halbvolle Flasche hervor.

      Sie tranken eine Weile schweigend. Bröseke schenkte immer sofort wieder ein. Es sei noch eine Flasche in Reserve, und für die äußerste Not habe er noch puren Alkohol mitgebracht und etwas Himbeerextrakt. Er bot auch aus einem reichlich gefüllten Zigarrenetui an. Wenn er mal einen Gast habe, solle der sich auch wohlfühlen. Und ob es nicht ganz gemütlich sei? Freilich, solange noch das große Zimmer gestanden habe mit dem Kamin, sei es netter gewesen und nicht so eng. Er musterte bei diesen gleichgültigen Reden seinen Gast immer wieder prüfend, indem er die dicke Brille auf die Nasenspitze hinunterzog und ihn Gesicht vor Gesicht anblinzelte. „Sie hatten den Mut eben auch nicht“, sagte er schließlich befriedigt. „Ich meine den wirklichen Mut. Der Schlachter Krehn ... sehn Sie ... das war ein Mann. Tausend solche Kerle in der Provinz, und die Sache wäre nie gekommen. Aber es gab nur den einen: den Schlachter Krehn.“

      Paul hob sein Glas: „Sie also auch nicht? Warum denn Sie nicht?“

      Bröseke lächelte trübsinnig. „Die alte Geschichte“, sagte er, „die Familie. Meine Frau ... na, die hätte es überwunden. Aber da ist noch meine Tochter in Krössien, und die hat einen Jungen. Hier, schaun Sie sich mal den Bengel an. Herbert. Der Vater ist Sparkassendirektor. Nicht soviel wert wie seine Einlagen. Also gar nichts. Aber wenn so’n Bengel jeden Morgen ankommt und läuft einem durch die Beine wie ein Dackel ... dann sein Sie mal ein Held.“

      Paul betrachtete das Bild. Es zeigte einen durchschnittlichen Lockenkopf von fünf Jahren. Objektiv kein Grund zur Liebe. „Na ... und Krehn?“ fragte er ungeduldig.

      Bröseke antwortete lange nichts. Er starrte vor sich hin, nippte trübe an seinem Glas. „Aufgehängt haben sie ihn. In diesem März noch. Wäre auch ohne ihn bald zu Ende gegangen. Ohne seine lächerlichen Flugblätter. Mich hatten sie auch hopp genommen und den Apotheker. Aber wir waren ja unschuldig. Da wurden wir freigesprochen und ein bißchen eingesperrt. Ich kam erst vorigen Monat von diesem Ausflug zurück. Aber bei Krehn fand man ein Flugblatt im Hauptbuch. Aus. Und was das Tollste ist: ich bin jetzt ein Held in Krössien. Dagegen kann man nichts machen. Krehn ist tot und kann nicht bezeugen, wie feige ich war, und mir glauben sie es nicht.“

      Sie waren längst bei der Reserveflasche angekommen und hatten sie schon halb geleert. „Wir sind vielleicht fabelhafte Kerle“, sagte Wolffenau. „Wir können einiges. Sie bohren sicher brillant in den Mäulern der Menschen, und ich habe ihnen einige Häuser hingesetzt, daß sie gleichfalls die Mäuler aufsperrten. Aber was das Heldentum angeht ... da waren wir wohl wie die meisten. Und die Frage ist nur: Konnten wir es von uns verlangen?“

      Bröseke war damit beschäftigt, einen zweiten Mokka anzusetzen. Er schielte zu seinem Partner hinüber. „Das ist es ja gar nicht. Auch nicht, daß sie uns alles abgenommen haben. Ausgezogen bis aufs Hemd ... obwohl, machen wir uns nichts vor, Leute wie ich nur etwas sind, wenn sie etwas haben. Der Bürger, lieber Herr, seines Besitzes entblößt, ist eine etwas beschämende Figur. Und ich habe mich auch nie dessen geschämt, daß ich etwas besitze. Hab’s mir redlich erbohrt und sehe nicht ein, warum ich jeden um Entschuldigung bitten muß, weil ich ein Haus habe und ein paar Groschen auf der Bank. Aber in Gottes Namen soll alles weg sein. Das ist es nicht. Aber das Moralische. Glauben Sie ans Moralische?“ Er trank hastig aus und hielt, schon etwas betrunken, Paul prostend das Glas entgegen.

      Der schaute versonnen in sein Glas, trank bedächtig und echote: „Das Moralische ... ich weiß nicht, ich verstehe nicht allzuviel davon.“

      Der alte Bröseke fing an zu kichern. Das klang zuerst ein wenig tückisch und hinterhältig. Aber dann brach ein richtiges Gelächter aus ihm heraus, fröhlich und schüttelnd, bis ihm die Lachtränen über die Backen flossen. Dabei bemühte er sich, die Gläser wieder vollzuschütten. Aber er schüttete vor Lachen die Hälfte daneben, so daß der kostbare Schnaps über den Tisch rann und zu Boden tropfte. „Er versteht nichts vom Moralischen“, schrie er, immer wieder vom Lachen unterbrochen, „und das will er mir weismachen. Hockt hier einsam in der Jagdhütte, obwohl er kein Kreisleiter ist und keine Instanz zu fürchten hat und niemand ihn vor Gericht zieht. Warum denn? Wozu geht ein Mann in die Einsamkeit? Zu nichts anderem, lieber Herr, als weil ihn der oberste Gerichtsherr, hier, das Gewissen, vor Gericht zitiert hat. Stimmt’s? Glauben Sie nur nicht, daß ich eine Antwort von Ihnen erwarte. Aber es stimmt. Und das wars, was ich sagen wollte. Nicht daß die braunen Herren uns das moralische Rückgrat gebrochen haben. Wir waren nicht einverstanden, wie? Wir haben dagegengeflüstert. Wir haben mal einem alten Juden über die Grenze geholfen, und ein paar Millionen haben wir verrecken lassen. Wir haben gewispert und geklatscht. Wir haben den Kopf gewiegt wie die Jerusalemiten, wenn’s denen gut ging. Und haben uns die Hände gerieben, wenn’s den andren immer näher an den Kragen ging. Aber getan ... getan haben wir gar nichts. Der liebe Gott, dachten wir, wird’s schon machen. Ist das Gottvertrauen? Im Gegenteil, lieber Herr, es ist Gotteslästerung. Wahrscheinlich, da Sie nichts vom Moralischen verstehn, verstehn Sie auch nichts von Gott.“

      „Prost“, sagte Paul, „Sie moralischer Gottesmann.“

      Der Alte stand auf. Er legte Paul seine beiden Hände auf die Schultern und sah ihn mit verschwimmenden Augen an. Und doch war in diesen Augen eine Stärke und Kraft, der sich Wolffenau nicht zu entziehen vermochte. Ja, es schien, als wenn die schmalen, geschickten Hände des Zahnarztes ihn mit schweren Gewichten niederdrückten.

      Er machte eine abwehrende Bewegung, um diese drückenden Hände loszuwerden. Bröseke aber sagte ganz leise und bestimmt: „Nein, ich lasse Sie nicht los. Und mit Ihren Schlagworten schlagen Sie mich nicht tot. Gottesmann und Zahnarzt ... das paßt nicht zusammen, wie? Und wenn Sie denken, ich sei einer, der am Sonntagmorgen in die Kirche läuft und mit zehn würdigen alten Damen zusammen ‚Wie schön leuchtet der Morgenstern‘ plärrt und sich von Pastor primarius Scharun einen klaren Bibeltext verunklaren läßt ... dann irren Sie. Soweit bin ich kein Gottesmann. Aber ich habe den Leuten nicht nur in den Rachen geguckt, sondern manchmal auch darüber nachgedacht, warum die Welt so beschissen ist, wie sie ist. Und manchmal war’s mir so wie Ihnen jetzt. Ich wußte nichts übers Moralische und wußte nicht, wo Gott wohnt. Genau wie Sie jetzt. Ich hatte nicht ganz Ihr überlegenes Lächeln. Wahrscheinlich stellen Sie in der Welt mehr dar. Um so schlimmer für Sie, daß Sie nicht mehr wissen und nicht mehr spüren und nicht mehr hören. Nichts. Nihil. Nihilismus ... langweiligster Nihilismus, Sie Herr mit dem wölfischen Namen.“

      Er setzte sich erschöpft, wischte den Schweiß von der Stirn und trank wie verdurstet in kleinen, hastigen Schlucken.

      Jetzt war es an Paul, einzugießen, und er tat es mit sicherer Hand. Nur die Flasche wankte ein wenig, als er sie wieder auf die Tischplatte setzte, und klirrte gegen die Gläser. Er hob sein Glas und hielt es gegen das Licht, als könne er in der hellen Flüssigkeit etwas erkennen. „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ fragte er abwehrend und unwillig.

      Bröseke antwortete lange nichts. Er saß versunken in seinem Sessel und war weit weg. Dann aber kam endlich die Frage bei ihm an, und er schaute auf.