Lost Island. Annika Kastner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annika Kastner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947115204
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hebt kurz sei­nen Kopf, sein Ohr wa­ckelt. Ein klei­nes »Wuff« ent­fährt ihm, was ich als Zu­stim­mung wer­te. Immer­hin woh­ne in nun auf ei­ner In­sel, das soll­te ich ge­nie­ßen, so­lan­ge es geht.

      Kapitel 3 - Nick

      Ich lie­be freie Ta­ge. Was gibt es bes­se­res, als aus­zu­schla­fen, da­zu das Wis­sen, dass man den lie­ben lan­gen Tag das ma­chen kann, wo­rauf man Lust hat? Ich ge­nie­ße die Mor­gen­son­ne, ge­paart mit der fri­schen Bri­se, die mir ent­ge­gen­weht, wäh­rend ich am Strand durch den Sand jog­ge. Mei­ne Fü­ße ver­sin­ken da­bei im weichen Sand, wäh­rend mei­ne Schu­he an mei­nem Hals hin und her baum­eln. Es ist an­stren­gen­der hier zu lau­fen als auf der Stra­ße, aber ich lie­be das Meer, die un­end­li­che Wei­te. Ein Grund, wie­so ich nach mei­ner Aus­bil­dung und mei­nem Dienst auf dem Fest­land wie­der hier­her zurück­ge­kom­men bin. Ich lie­be die­se In­sel, je­den­falls jetzt.

      Frü­her, als ich jün­ger ge­we­sen bin, ha­be ich weit weg ge­wollt – viel er­le­ben, Par­tys fei­ern, bloß nie mehr zurück­kom­men. Und jetzt? Jah­re spä­ter sind wir fast alle wie­der hier und glü­cklich da­mit. Wir ha­ben ge­merkt, was uns die In­sel gibt – wie groß der Zu­sam­men­halt ist, wie viel so et­was wert ist. Drau­ßen auf dem Fest­land bist du ein na­men­lo­ser Frem­der, du kannst dich auf nie­man­den ver­las­sen, zu­min­dest nicht so wie auf die­sem win­zi­gen Fleck­chen. Hier hält man zu­sam­men! Lei­der mischt sich auch die hal­be In­sel in dein Le­ben ein, doch sie ste­hen dir eben­so bei. Sel­ten zie­hen Frem­de her, was den meis­ten Ein­hei­mi­schen so ge­fällt. Nicht, dass wir un­ge­sel­lig wä­ren, im Ge­gen­teil, den­noch schät­zen wir un­se­re Ru­he. Der ei­ne oder an­de­re fin­det ei­nen Part­ner auf dem Fest­land, das schon, aber so rich­tig neue Be­woh­ner sind ei­ne Sel­ten­heit – ab­ge­se­hen von den Som­mer­tou­ris­ten.

      Ich bin ge­ra­de von ei­nem vier­wö­chi­gen Lehr­gang in der Stadt zurück, und ver­damm­te Schei­ße, das Meer hat mir ge­fehlt. Der sal­zi­ge Ge­ruch, das Schrei­en der Mö­wen, das Rau­schen der Wel­len. All das ver­mittelt mir das Ge­fühl von Frei­heit und Ru­he wie sonst nichts auf die­ser Welt. Der Strand ist aus­ge­stor­ben, denn es ist kei­ne Tou­ris­ten­zeit mehr. Der Hoch­som­mer ist vor­bei, die Saison neigt sich dem En­de zu. Die paar Tou­ris, die sich hier noch tum­meln, sind nicht der Re­de wert. Es gibt immer ver­ein­zel­te Ganz­jah­res­tou­ris­ten, die lie­ber im Herbst und Win­ter am Meer sind, har­te Fi­scher, Se­nio­ren, die ei­ne oder an­de­re Fa­mi­lie, aber das ist nur ei­ne Hand­voll. End­lich ge­hört der Strand wie­der uns, Ru­he kehrt mit dem Herbst ein. Es hat Vor- und Nach­tei­le, wenn Tou­ris­ten kom­men, wie eben alles im Le­ben. Man lernt in­te­res­san­te Men­schen ken­nen, doch sie ver­stop­fen das Dorf und den Strand. Diebs­täh­le, Schlä­ge­rei­en, all das sind Din­ge, mit de­nen wir meist nur in der Saison zu kämp­fen ha­ben. Eben­so der Müll, der oft­mals acht­los lie­gen ge­las­sen wird und den wir Ein­hei­mi­schen be­sei­ti­gen, weil wir un­se­re In­sel lie­ben. Manch­mal ist es auch et­was lang­wei­lig, wenn die Saison zu En­de geht – man kann eben nicht alles ha­ben. Soll­te es mir doch ir­gend­wann zu öde wer­den, was ich be­zweif­le, steht mir die Welt of­fen, doch bis es so weit ist, ge­nie­ße ich das Meer und die Ge­sel­lig­keit.

      Ich bin so in mei­nen Ge­dan­ken ver­sun­ken, dass ich nicht mer­ke, wie ein wei­ßer Blitz auf mich zu­ge­schos­sen kommt. Hin­zu fliegt ein klei­nes ro­tes Ding an mei­ner Na­se vor­bei, so­dass ich stop­pen muss, und oben­drein in ein Loch tre­te, weil ich ab­ge­lenkt bin. Ich taum­le. Ei­ne Se­kun­de spä­ter wer­den mei­ne Bei­ne ge­rammt und ich kann nichts mehr un­ter­neh­men, um den Sturz zu ver­hin­dern. Mei­ne Ar­me ru­dern, auf der Su­che nach Gleich­ge­wicht, wild in der Luft he­rum. Ich rol­le mich ge­übt am Boden ab, be­kom­me aller­dings ei­ne La­dung Sand ins Ge­sicht, wäh­rend ich ei­nen Pur­zel­baum schla­ge. Wü­tend spu­cke ich die Kör­ner aus, trotz­dem knirscht es in mei­nem Mund, als ich ge­nervt die Zäh­ne auf­ein­an­der­bei­ße.

      Ich schaue nach rechts, um zu er­fah­ren, was mich ge­ra­de mit Ge­walt um­ge­ris­sen hat, ent­de­cke da­bei ei­nen Dal­ma­ti­ner, der vol­ler Freu­de in die Flu­ten springt, um nach ei­nem ro­ten Ball zu schnap­pen, der mir zu­vor knapp an der Na­se vor­beige­flo­gen ist. Emp­ört ste­he ich auf, klop­fe mir da­bei zor­nig den Sand von der Ho­se und mei­nem T-Shirt. Immer die­se Hun­de­be­sit­zer, die kei­ne Kon­trol­le über ih­re Tie­re ha­ben. Es muss ein Tou­ri sein, der Hund kommt mir nicht be­kannt vor und wie ge­sagt, hier kennt je­der je­den, selbst je­den ver­damm­ten Hund. Wä­re ich im Dienst, dürf­te die­se rück­sichts­lo­se Per­son ein fet­tes Buß­geld ab­drü­cken. Und was für eins, der wür­de sich grün und blau är­gern. Die­se Tou­ris, die den­ken, sie kön­nen ma­chen, was sie wol­len. Das kommt auf mei­ne Nach­teil­lis­te, so viel ist klar. Na, war­te!

      Auf­ge­bracht dre­he ich mich um, er­star­re augen­bli­cklich, als ich mich Na­se an Na­se mit ei­ner wirk­lich nied­li­chen Blon­di­ne wie­der­fin­de. Na ja, Na­se an Na­se kann man nicht sa­gen, denn sie ist win­zig. Ich muss ziem­lich weit nach un­ten schau­en, um in ih­re Augen, die wun­der­schön sind, zu bli­cken – ein tie­fes Braun, was mir ei­ne Gän­se­haut be­schert.

      »Oh mein Gott, sind Sie ver­letzt? Es tut mir so leid. Ich bin in Ge­dan­ken ge­we­sen und hät­te bes­ser auf­pas­sen müs­sen, wo­hin ich wer­fe. Storm ist wie ein Ramm­bock. Alles was zwi­schen ihm und sei­nen Ball kommt, wird mit­leids­los weg­ge­fegt. Oje, Sie blu­ten. Ich … ich … War­ten Sie, ich schau mir das an.«

      Ehe ich auch nur ei­nen Ton sa­gen kann, geht sie vor mir in die Ho­cke und ich fol­ge ihr sprach­los mit den Augen, wäh­rend sie be­ginnt, mich mit ge­schick­ten Fin­gern ab­zu­tas­ten, und mir da­bei sehr na­he­kommt. Hit­ze steigt in mir auf, ob ich will oder nicht. Ein Pri­ckeln brei­tet sich ge­nau dort aus, wo sie mich be­rührt. Die­se Frau haut mich to­tal um – im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes. Erst rennt ihr Hund mich über den Hau­fen, dann re­det sie oh­ne Punkt und Kom­ma, oh­ne Luft ho­len zu müs­sen, auf mich ein und tas­tet mich zu­dem oh­ne Scham ab. Das über­for­dert mich ge­ra­de. Sie schaut so schuld­be­wusst aus ih­ren lan­gen Wim­pern nach oben, dass mei­ne Wut ver­pufft, ehe sie sich den An­schiss ih­res Lebens an­hö­ren muss – da­bei wä­re ich so gut in Fahrt ge­we­sen. Sie nagt an ih­rer Un­ter­lip­pe, zieht sie zwi­schen die Zäh­ne und tas­tet mein Knie ge­wiss­en­haft ab, wel­ches ei­ne leich­te Schürf­wun­de auf­weist. Die­ser Krat­zer ist ein Hauch von nichts, ich ha­be wei­taus Schlim­me­res er­lebt. Aber … Ir­gend­wie möch­te ich sie noch schmo­ren las­sen. Wie sie so an ih­rer Lip­pe saugt, vor mir auf den Knien, weckt ver­dammt schmut­zi­ge Ge­dan­ken in mir. Ich muss drin­gend et­was Ab­stand schaf­fen, um mich zu ord­nen, und zwar schnell­stmög­lich.

      »Das wird mich nicht um­brin­gen«, schmunz­le ich doch ach­sel­zu­ckend, tre­te ei­nen gro­ßen Schritt zurück, at­me tief ein, sehr tief. Aus Ref­lex fah­re ich mir durchs Haar, mus­te­re mein Ge­gen­über aber­mals, ver­su­che ganz auto­ma­tisch, mir ein Bild von ihr zu ver­schaf­fen. Ich ana­ly­sie­re, wür­de mei­ne Schwes­ter jetzt be­haup­ten und sie hät­te recht, das liegt wohl an mei­nem Be­ruf. Auf dem zwei­ten Blick ent­de­cke ich da­bei ei­ni­ge vor­wit­zi­ge Som­mer­spros­sen auf ih­rer Stups­na­se. Ich ha­be ei­ne Schwäche für Som­mer­spros­sen, ehr­lich. Sie zuckt bei mei­nen Wor­ten, was ich aller­dings nicht sinn­voll deu­ten kann. Ih­re brau­nen Augen bli­cken mich ner­vös an, mus­tert mich ein­dring­lich, fast ängst­lich, und sie nes­telt an der Lei­ne in ih­ren Hän­den he­rum. Sie weicht mei­nem Blick schnell wie­der aus, lässt