»Ich will dieses besondere Mädchen sehen. Anscheinend hat sie dir den Kopf verdreht. Brad schnallt sich an, fährt sich durch das raspelkurze blonde Haar und schenkt mir das breiteste Lächeln, welches ich je gesehen habe.
»Vergiss es, steig aus! Außerdem verdreht mir niemand den Kopf.« Ich winke ihn weg, doch er ist stur. Er dreht sich, immer noch grinsend wie ein Trottel, nach vorne und trommelt aufs Armaturenbrett. Ich hasse ihn gerade ein ganz klein wenig, wie man gute Kumpel in solchen Momenten eben hasst.
»Los, los! Wir haben ein Date. Ich kann es kaum erwarten.«
Ich umklammere das Lenkrad, schaue ihn abwertend von der Seite an. Gott, wie er nerven kann, wenn er es drauf anlegt. Er ist so neugierig wie die alten Fischweiber. »Ernsthaft? Du gehst mir auf den Sack, Brad. Steig aus!« Befehle ich, doch er lacht nur.
»Ich werde mitfahren. Stell dir vor, sie verklagt dich hinterher, weil du ihr ihre Rechte nicht vorgelesen hast? Dafür sind Kollegen da. Nichts zu danken, mein Lieber. Oder du gerätst in eine Schießerei? Da brauchst du deinen Partner, dafür bin ich da. Das ist mein Job.« Ich verdrehe die Augen. Schießerei? Hier? Schon klar!
»Ich will sie nicht verhaften, nur ein Hallo dalassen.«
Brad grinst noch breiter, wenn das überhaupt möglich ist. »Aha, also doch zu ihr. Von wegen nur mal Streife fahren, das kannst du dem Chief so verkaufen, aber nicht deinem besten Freund.« Meine Mundwinkel wandern nach oben. Ertappt. »Oder hast du Angst, dass sie auf mich abfährt? Hm? Ist es das? Kann ich verstehen, Kumpel.« Er klopft mir auf den Arm, schaut mich gespielt mitleidig an. »Das bist du ja gewohnt.«
Wir diskutieren noch einige Minuten hin und her, ehe ich das Auto starte, Brad natürlich weiterhin im Gepäck. Mein bester Freund kann sehr hartnäckig sein, sofern er will, und wir würden vermutlich noch in vier Stunden hier sitzen, wenn ich ihn nicht mitnehme. Vielleicht sollte ich ihn unterwegs einfach rauswerfen. Verdient hätte er es ja, eine Überlegung ist es definitiv wert.
Die Fahrt zum Haus ist kurz, nicht mal dreißig Minuten später biegen wir vom Hauptweg auf den Kiesweg ein, der nach oben zum Grundstück führt. Sie wohnt nahe den Klippen, weit weg von den Touristenrummel, in dem leicht vom Wind und Gezeiten geprägtem Häuschen, deren gelbe Farbe langsam abblättert. Aber gerade dieses Aussehen verleiht diesem winzigen Haus einen gewissen Charme, der sich nicht bestreiten lässt. Mit etwas Zuwendung könnte daraus etwas Exklusives werden, vor allem weil ihre Aussicht gigantisch sein muss, so dicht, wie sie am Abhang wohnt. Ein direkter Blick auf das Meer – es muss ein Gefühl der völligen Freiheit sein, hinaus zu schauen, wenn man dort morgens mit seinem Kaffee steht. Einen kurzen Moment frage ich mich, wieso ich nie auf die Idee gekommen bin, das kleine Haus zu kaufen. Es wäre für mich ebenfalls perfekt gewesen.
Kapitel 6 - Hazel
Summend reibe ich mir die Beine mit Sonnencreme ein, genieße die warmen Strahlen auf meiner nackten Haut. Neben mir rauschen wütende Meereswellen, die in der Tiefe unruhig gegen den Stein peitschen, während die Möwen über mir kreischend ihre Runden ziehen. Ich habe es mir im Garten gemütlich gemacht, einen Smoothie auf der einen, mein neues Buch auf der anderen Seite. Ja, so gefällt mir mein neues Leben. Ich stöpsle meinen MP3-Player in die Ohren, stelle ihn an, wähle dann einen meiner Lieblingssongs aus. Mit den Füßen wiege ich im Takt der Musik, singe leise einige Zeilen mit, ehe ich mich zurücklege und die Augen schließe. Müdigkeit hindert mich daran, mich richtig auf das Buch vor mir zu konzentrieren.
Gestern hat mich der Tag und die Ereignisse aufgewühlt, ich habe verdammt schlecht geschlafen, noch fieser als sonst. In meinen Träumen bin ich durch ein Labyrinth aus Fluren gerannt, das namenlose Grauen hinter mir, nur hat es diesmal kein Fenster gegeben, kein Ausweg für mich. Ich bin gerannt und gerannt, bis ich schweißgebadet mitten in der Nacht hochgeschreckt bin. Danach ist es mit dem Schlafen vorbei gewesen, mein Herz hat ewig wie wild gegen meine Rippen geschlagen. Wie ich diese Albträume hasse. Ich habe mich in einem alten Fachbuch vergraben, bis zum Morgen darin gelesen, nur um mich abzulenken. Ich hoffe, dass diese Träume irgendwann verblassen, mich wieder schlafen lassen. Das wäre ein Luxus, der mir viel Lebensqualität wiedergeben würde. Doch jetzt fordert mein Körper das zurück, was man ihm heute Nacht verwehrt hat. Am Tag fällt es mir leichter, zu schlafen, wenn die Sonne alle dunklen Schatten vertreibt. Am Tag wirkt alles freundlicher, weniger angsteinflößend.
Ich döse leicht weg, mein Körper übernimmt das Ruder. Er zeigt mir, was er benötigt, und das ist nun mal Ruhe. Etwas, was diese Gegend ausstrahlt. Hier bin ich vorerst sicher, predige ich stets. Wenn ich es oft genug sage, glaube ich es gewiss. Diese Insel ist klein. Wie soll er mich ausgerechnet hier finden? Ich kann mir eine Auszeit nehmen, einige Monate zur Ruhe kommen und weiterschauen, so weit weg von meiner Heimat. Einen neuen Namen, ein anderes Leben, erinnere ich mich. Der gefälschte Ausweis ist schwer zu bekommen gewesen, verdammt teuer, doch auch das habe ich geschafft. Ich bin mir dabei schon etwas verwegen vorgekommen, wie ein Mafioso. Er ist aber eine notwendige Investition gewesen, ich habe ihn gebraucht, um dieses Grundstück zu mieten, Fahrkarten zu erhalten – und, und, und.
Das Lied wechselt gerade, als ein Schatten über mich fällt. Mein Herz scheint kurz auszusetzen, ehe es im Galopp zu rasen beginnt. Er hat mich gefunden. Ich reiße augenblicklich die Augen auf, sehe nur die Umrisse eines Mannes, der sich gerade zu mir beugt, die Sonne in seinem Rücken. Seine große Hand wandert drohend auf meine Kehle zu, was mich völlig in Panik geraten lässt – ich habe Todesangst. Oh mein Gott, er bringt mich um, schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Ich schreie wie am Spieß, Storm kläfft vom anderen Ende des Grundstücks. Er wird nicht rechtzeitig hier sein, um mich zu beschützen. Aber ich bin nicht mehr so hilflos wie früher. Kampflos werde ich nicht sterben. Niemals. Mit voller Wucht trete ich zu, treffe meinen Gegner mitten in den Bauch und höre ein ersticktes Uff, ehe ich mich aufrappele, dann verdutzt stoppe, als ich in schmerzverzerrte grüne Augen blicke. Waldgrüne Augen, um genau zu sein, die mir bekannt vorkommen und mir den ganzen Tag im Kopf herumgegeistert sind. Jetzt wo die Panik nachlässt, das Blut nicht mehr in meinen Ohren rauscht, erkenne ich ihn. Vor mir steht nicht mein Albtraum, sondern Nick – in Uniform, die ihm wie an den Leib gemeißelt ist und seine breiten Schultern betont. »Sag mal, hast du einen Knall? Du kannst dich nicht so anschleichen«, brülle ich ihn mehr als wütend an. Ich reiße mir die Kopfhörer aus den Ohren, werfe sie heftig zu Boden. Was denkt er sich dabei? Mein Herz schlägt noch immer viel zu schnell, ich habe mir fast in die verdammte Hose gemacht. Zitternd entweicht Luft aus meinem Mund. Du bist sicher, flüstere ich mir zu. Versuche, wieder runter zu kommen. Falscher Alarm.
»Ob ich einen Knall habe? Was bist du, eine Ninjaelfe? Du