Erinnerung an meine Jahre in Berlin. Sammy Gronemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sammy Gronemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783863935214
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die die Angelegenheit für die jüdischen Interessen hatte, dazu bewegen, der Sache nachzugehen. Es gelang mir, Einsicht in die längst reponierten Akten zu nehmen, und ich überzeugte mich, daß wirklich mit überaus großem Eifer und Scharfsinn von den Behörden an der Aufklärung gearbeitet war. Aber doch kam ich schließlich in der Tat auf ein Indiz, das den Untersuchungsbeamten bisher entgangen war. Der Kopf jenes unglückseligen Winter war in eine Zeitung gewickelt gefunden worden, deren Datum seltsamer Weise mehrere Jahre gegenüber dem Mordtage zurücklag. Das fiel mir auf. Ich fragte mich, wer nun ein Interesse haben könnte, eine Nummer des Konitzer Tageblatts jahrelang aufzubewahren. Ich stöberte im Zeitschriften-Lesezimmer der Königlichen Bibliothek jene Nummer auf und studierte sie sorgfältig. Zu meinem höchsten Erstaunen fand ich das, was ich gesucht hatte, nämlich eine Todesanzeige, die die betreffende verdächtige Persönlichkeit in der Tat nahe berührte. Damit war allerdings nun eine gewisse Grundlage für ein weiteres Vorgehen geschaffen. Aber dann stellte sich heraus, daß diese Person schon seit Jahren verstorben war, und daraufhin beschlossen wir, die Sache als aussichtslos liegen zu lassen.

      Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen, daß nach meiner Auffassung, zumindest in dem Deutschland jener Zeit, in der ich dort wirkte, es wohl selten zu einem Justizmord kam. Wohl mögen oft Vorurteile aller Art, Klassenvorurteile, Rassenwahn und irgendwelche Ressentiments bei der Urteilsfindung mitgewirkt haben, ohne daß sich die Richter über ihre Vorein­genommenheit im klaren waren. In solchen Fällen liegt eine Rechtsbeugung vor, bewußter oder unbewußter Art. Ein Justizmord liegt aber nur dann vor, wenn objektive und unabhängige Richter in gutem Glauben zu einem Fehlurteil kommen. Im andern Falle kann der Fehlspruch nicht der Justiz, sondern nur ihren Vertretern zur Last gelegt werden. Viel häufiger natürlich, als daß ein Unschuldiger verurteilt wird, geschieht es natürlich, daß ein Schuldiger freigesprochen wird. Im Grunde genommen ist auch das ein Justizverbrechen.

      Im Zivilprozeß freilich kann es sehr oft geschehen, daß das Gericht zu einem falschen Urteil veranlaßt wird. Eine ganz besondere Gefahr stellte in Deutschland das Kapitel von Arresten und einstweiligen Verfügungen dar. Eine solche einschneidende Maßnahme konnte sehr leicht z. B. erwirkt werden, wenn glaubhaft gemacht wurde, daß das spätere Urteil im Auslande vollstreckt werden müßte. Auf diese Weise konnte es geschehen, daß ein notorischer französischer Millionär wegen einer ganz geringfügigen Summe durch Personal-Arrest verhaftet wurde. Und leichtfertige und gewissenlose Menschen hatten es in der Hand, auf diese Weise nicht wiedergutzumachenden Schaden anzurichten. So wurde ich eines Tages kurz vor den hohen Feiertagen angerufen: Ein russisch-jüdischer Herr, der auf der Durchreise von Kissingen begriffen war, und der im Elite-Hotel in Berlin abgestiegen war, wurde plötzlich wegen einer angeblichen Forderung von einem Gerichtsvollzieher, der mit einem Haftbefehl versehen war, aufgesucht. Als ich ins Hotel kam, war der Herr bereits in das Gefängnis nach Moabit abgeführt. Ich jagte nach Moabit, und es gelang mir, obgleich es gegen Mitternacht war, entgegen allen Vorschriften, ihn zu sprechen. Der Herr war natürlich in größter Aufregung, behauptete, daß die Forderung betrügerisch sei, und jammerte, er müsse unbedingt seine Reise fortsetzen, um die Feiertage in seiner Familie verleben zu können. Der Arrest war vom Amtsgericht Oeynhausen erlassen, und der Mann war nur frei zu bekommen, wenn die Summe – es handelte sich, wenn ich nicht irre, um 35.000 Mark, sofort bei diesem Amtsgericht hinterlegt würde. Das mußte am nächsten Morgen geschehen, wenn der Mann noch seinen Zug erreichen sollte. Es gelang mir, noch in der Nacht die Summe aufzutreiben, und früh um 6 Uhr fuhr mein Sozius, Dr. Fritz Simon, nach Oeynhausen, und mittags kam das Telegramm, das die Freilassung meines Klienten verfügte. Einige Wochen später fand dann die Verhandlung in Oeynhausen statt. Auf Wunsch meines Klienten fuhr ich zu diesem Termin. Es ist niemals aufgeklärt, wieso der Gegner dazu gekommen war, gerade bei diesem Amtsgericht Arrest zu beantragen. Mein Klient war niemals in diesem Orte gewesen. Das Amtsgericht war in keiner Weise zuständig, und es lag eine haarsträubende Fahrlässigkeit des Gerichts vor, das die einfache Frage der Zuständigkeit überhaupt nicht geprüft hatte. Auch die ganze Forderung war einfach aus der Luft gegriffen. Aber der Kläger war inzwischen verschwunden, und die Kosten, die ihm vom Gericht natürlich auferlegt wurden, waren nicht beizutreiben. Für seinen Schrecken bekam mein Klient keinerlei Entschädigung.

      Noch grotesker lag folgender Fall: Ein holländischer Kaufmann wurde im Zentralhotel in Berlin ausgepfändet, und zwar diesmal nicht aufgrund eines Arrestes, sondern aufgrund eines rechtskräftigen Urteils, das in Wiesbaden gegen ihn ergangen war. Mein Klient war außer sich, er war niemals in Wiesbaden gewesen, hatte nie von diesem Prozeß gehört, ebenso wie er bestimmt wußte, daß er dem Kläger überhaupt nichts schuldig war. Ich war seinen Angaben gegenüber zunächst sehr skeptisch, denn es lag nicht nur ein rechtskräftiges Urteil vor, sondern es ergab sich aus den Akten, daß er persönlich die Ladung zu dem Termin in Wiesbaden im Hotel entgegengenommen hatte und dann vor Gericht nicht erschienen war. Auch das Urteil war ihm ordnungsgemäß zugestellt. Mein Klient blieb aber dabei, daß er niemals in Wiesbaden gewesen war, – und ich stellte mit Mühe folgenden Sachverhalt fest: Der geriebene Kläger hatte sich selbst in Wiesbaden unter dem Namen meines Klienten einquartiert, hatte als dieser die Klage entgegengenommen und ebenso sich das Urteil zustellen lassen. Das war nun freilich ein raffinierter Betrug, dem jedes Gericht zum Opfer fallen mußte. Die Sache war hier viel bedenklicher als bei einem Arrest, da das Geld in diesem Falle dem Kläger direkt hätte zufallen müssen, und es sich nicht bloß um eine vorläufige Sicherstellung handelt wie bei einem Arrest. Glück­­licherweise konnte ich zur rechten Zeit noch intervenieren und meinem Klienten die sehr große Summe retten.

      Natürlich habe auch ich bisweilen, und sogar recht häufig, Arreste erwirkt, aber gerade dann habe ich mir die sorgfältigste Prüfung zur Pflicht gemacht, ehe ich solch einschneidende Maßnahmen traf. Von einem Fall möchte ich kurz berichten, da er zeigt, wie selbst bei den als so überaus korrekt berühmten preußischen Gerichten nur mit Wasser gekocht wurde: Ein großes russisch-jüdisches industrielles Unternehmen hatte mich beauftragt, einen Mann, der unter Hinterlassung gewaltiger Schulden über die Grenze nach Deutschland gegangen war, aufzuspüren und ihre Forderung beizutreiben. Ich erreichte den Mann in einem Badeort in der Nähe des Rheins, und es gelang mir, bei dem dortigen Amtsgericht einen Personal-Arrest zu erwirken, – ich muß sagen, zu meiner Überraschung, da außer meiner Überzeugung davon, daß die Forderung gerecht war, mir kaum irgendwelche Waffen zu Gebote standen. Ich hatte nicht einmal eine korrekte Vollmacht, und alle Unterlagen fehlten mir. Aber jedenfalls gelang es mir, das Gericht sozusagen zu überrennen, und ich konnte das Kapital meinen Auftraggebern retten. Aber nun kommt das Kuriose: Es war, wie gesagt, im Sturm genommen. Der amtierende Richter war der Sache nicht gewachsen, und ich habe selbst im Gericht den Haftbefehl, und was an Urkunden sonst nötig war, entworfen, von den verstörten Richtern unterschreiben lassen und mich mit diesen Urkunden auf die Jagd begeben. Und nun bekam ich nach einigen Monaten einen Brief von dem Gericht des Inhaltes, es wäre damals alles so eilig zugegangen, daß man vergessen hätte, überhaupt Akten abzulegen. Das einzige, was dort gefunden wäre, wäre meine Visitenkarte. Man bäte mich doch, ihnen die Unterlagen für die nachträgliche Anfertigung der Akten zu geben. Natürlich verschaffte ich der verunglückten und lahmen Frau Themis die notwendigen Krücken und Prothesen.

      IX.

      Kurios, wenn man dem Ursprung oder dem Anlaß mancher Dinge nachgeht. Wie in aller Welt bin ich Syndikus des „Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“ geworden und damit auf ein Gebiet juristischer Tätigkeit gestoßen, das mich zum Spezialisten für Urheber- und Verlagsrecht gemacht hat, was mir Jahrzehnte hindurch eine besondere Befriedigung gewährt hat? – Bis zu dem Tage, an dem auf Herrn Goebbels Befehl mich mein ehemaliger Freund Hans Heinz Ewers hinausgesetzt hat. Ja, wenn ich es recht bedenke, hätte nicht seinerzeit ein fast genial zu nennender Hochstapler mit Kuxen eines überhaupt nicht existierenden, rein fiktiven Bergwerkes eine große Menge gutgläubiger Kapitalisten elend hineingelegt, und hätte nicht zur Zeit, da ich in Berlin studierte, so ziemlich die ganze Hörerschaft des Hildesheimerschen Seminars sich in die schöne Ulla verliebt, vor allem Moses Calvary, – hätte ich nie Gelegenheit gehabt, an der Konsolidierung des deutschen Schrifttums mitzuarbeiten, wäre vielleicht überhaupt nie, so wie geschehen, in die Literatur hineingeraten, – und die Welt hätte ohne mein „Tohuwabohu“ und meine anderen Bücher bis auf diese Erinnerungen auskommen müssen. – Das kam nämlich so: Ich assistierte Alfred Klee bei