Erinnerung an meine Jahre in Berlin. Sammy Gronemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sammy Gronemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783863935214
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Prozeß. Von diesem und seiner Vorgeschichte zu erzählen, ist hier nicht der Platz. Nur eine Episode möchte ich in Sicherheit bringen, da sie ein hübsches Schlaglicht auf weibliche Psychologie wirft: Einer der dunklen Ehrenmänner aus jenem Kreise hatte sich aus dem Staube gemacht, wurde aber in Paris verhaftet und später ausgeliefert. Als ich von der Verhaftung dieses Mannes seiner Frau schonend Mitteilung machte, rief sie glückstrahlend aus: „Prachtvoll, jetzt kann er mir in Paris nicht fremdgehen!“ – Also ich wirkte in jenem Prozeß mit, und man trat vom „Berliner Tageblatt“ an mich heran und bat mich, doch über den Fall ein Feuilleton zu schreiben. So selten und so ungern ich eigentlich für Zeitungen schreibe, kam ich damals doch diesem Ersuchen nach, und in einem Feuilleton „Du glaubst zu schieben, und Du wirst geschoben“, suchte ich an dem Modell des Herrn Romulo Echtermeyer eine Analyse des großen Schiebers zu geben.

      Dieses an sich nach keiner Richtung besonders bemerkenswerte Essay erregte nun die Aufmerksamkeit einiger Männer der Feder, die in der Hinterstube des „Café Austria“ über dem Plan brüteten, den deutschen Schriftstellern eine Organisation zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu schaffen, und insbesondere war es Dr. Martin Beradt, der Bruder der oben erwähnten schönen Ulla, der inzwischen nicht nur als Anwalt am Kammergericht, sondern auch als Romancier und Verfasser geistreicher Essays sich einen Namen verschafft hatte. Dieser, der damals hauptsächlich durch seine Schwester in unseren Kreis, der von Calvary und mir geführt wurde, geraten war, erinnerte sich meiner, als er meinen Namen über jenem Aufsatze sah und schlug mich für den Posten des Leiters der juristischen Abteilung der neuzugründenden Organisation vor. Man hielt nämlich Ausschau nach einer Persönlichkeit, die einmal einen guten Namen als Anwalt hatte, gleichzeitig aber auch die Situation und die Nöte der Schriftsteller kannte, die aber doch die Garantie voller Unabhängigkeit bieten mußte; denn bei dem neuzuschaffenden Verbande handelte es sich hauptsächlich darum, im Interesse der Autoren gegen die Mächtigen der Erde, in diesem Falle die Verleger und Zeitungsherausgeber, einen Kampf zu führen. Es war vorauszusehen, daß, wer sich in diesem Kampfe herausstellte, bei jenen Gewalthabern in Ungnade fallen und vielleicht gar boykottiert werden würde. – Vielleicht ist es von kulturhistorischem Interesse zu bemerken, daß in jenem Hinterzimmer des „Café Austria“ um jene Zeit ständig neue Schöpfungen ins Leben gerufen wurden, – bald handelte es sich um eine neue Religion, die dort gegründet wurde, bald um die Gründung eines neuen Theaters etc. Fast alle waren nur Luftblasen, aber diese Gründung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller bewies sehr bald ihre Exis­tenzberechtigung. Die Basis des Ganzen war, eine Rechtsschutzstelle zu schaffen, nicht nur bei Brotgebern bessere Bedingungen durchzusetzen – die Arbeit des freien Schriftstellers ist ja im allgemeinen „Heimarbeit“ und als solche schlecht bezahlt –, sondern auch, was vielleicht noch schwieriger war, das leichtlebige Volk der Feder selbst zu der Erkenntnis zu erziehen, daß die von ihm gelieferte Ware genau solchen Marktwert besitzt und denselben wirtschaftlichen Bedingungen unterliegt wie Maschinenteile und Korsetts. – Also ich kam mit den Herren des Gründungskonzerns zusammen, und wir einigten uns bald. Unter den Gründern befanden sich u. a. der Verfasser des damals überaus beliebten Romans „Jettchen Gebert“, Georg Hermann, und obwohl ich ihn nie gesehen hatte, erkannte ich treffsicher ihn sofort, da er wirklich nach seiner Erscheinung aus dem Milieu jenes Romans sich materialisiert zu haben schien, ein typisches Mitglied der Familie Gebert. Nur schade, daß ich daneben getroffen und den arischen deutschen Politiker Theodor Heuss für ihn genommen hatte, der seinem Wesen nach mehr den Kreisen der Männer von 48 angehörte, während Hermann eher den Typus des jüdischen alteingesessenen Kaufmannes darstellte. Dann war da noch Hans Landsberg, scherzhaft genannt „der Altmeister der kleinen Notiz“, ferner der treffliche Monty Jacobs, einer der unabhängigsten Theaterkritiker, Feuilleton-Redakteur der „Vossischen Zeitung“, und von demselben Blatt Max Osborn, der dort das Kunstressort verwaltete, Paul Westheim, der eigenbrötlerische Kunstkritiker, W. Fred, der seinerzeit erfolgreichste Essayist deutscher Sprache, der grimme Robert Breuer, Ulrich Rauscher, der während der Republik deutscher Gesandter in Warschau wurde, und Hermann Kienzl, der literarische Erbe Peter Roseggers. Ich fühlte mich in diesem Kreise sehr bald wohl, entwarf Vereinsstatuten, Normalverträge, die sich bald allgemein einführten, und stürzte mich mit Eifer auf die mannigfachen interessanten Aufgaben, die mir mein neues Amt bot. Die Arbeit brachte mir freilich wenig materiellen Gewinn, aber desto mehr moralische Befriedigung, zumal es mir wirklich gelungen ist, dem Schriftsteller sozusagen den Platz an der Sonne zu verschaffen. Daneben war es für mich eine Freude, mit einer Reihe interessanter Persönlichkeiten in Berührung zu kommen, und im Laufe der Jahre passierte so ziemlich alles, was mit deutschem Schrifttum zu tun hatte, mein Büro. Es war eine sehr anregende Tätigkeit, und letzten Endes konnte ich auf diese Weise bei vielen Gelegenheiten Dinge, die mir wirklich am Herzen lagen, so auch die zionistischen Gedankengänge, an einflußreicher Stelle zwanglos zur Geltung bringen.

      Der Kampf gegen die Mißstände im Schrifttum war dann noch verhältnismäßig einfach, wenn es sich darum handelte, die mannigfachen, geradezu betrügerischen Manipulationen zu unterbinden, unter denen die Autoren litten. Selbst angesehene Verlagsanstalten scheuten sich nicht, den Autor dadurch zu schädigen, daß sie, wenn etwa eine Auflage von 3.000 Exemplaren vorgesehen war, die doppelte Anzahl druckten und nur für die 3.000 abrechneten. Sie ließen sich dann von der Druckerei zwei verschiedene Fakturen ausstellen, eine zur Ansicht für den Autor und eine ernsthafte. Ich setzte es durch, daß vertraglich die Einsichtnahme in die Bücher eingeräumt wurde, die dann auch durch Organe des Verbandes vorgenommen werden konnte. – Schlimmer war etwas anderes: Da gab es den Unfug der Zuschußverleger, für die ich den Namen „Literarische Bucketshops“ prägte. Das waren Animierverleger, welche in skrupelloser Weise die Eitelkeit und den Ehrgeiz von Dilettanten ausnutzten. Zu dieser Kategorie gehörte eine Reihe von Firmen, besonders in Berlin und Leipzig, welche ganz unverdienterweise sich ein gewisses Renommée erworben hatten. Die Praxis war die: Wenn irgendein Scribifax ein Manuskript einsandte, bekam er einen höchst schmeichelhaften Brief, aus dem er zu seiner Beglückung erfuhr, daß mit ihm ein neuer Stern am literarischen Himmel aufgegangen sei, daß der Verlag es sich zur Ehre rechnen würde, sein Werk zu publizieren; ihm wurde ein hoher Tantiemensatz versprochen, so daß er sich ausmalen konnte, wie er bei der Fülle der zu erwartenden Auflagen ein Vermögen verdienen würde etc. Nebenbei wurde er gebeten, für die Drucklegung einen Vorschuß einzuzahlen, der natürlich auf die Tantieme verrechnet werden würde. Der künftige berühmte Autor zögerte nicht, diesen Betrag einzusenden, oft sich dafür in Schulden stürzend, und der Verlag ließ dann wirklich ein paar Exemplare drucken. Die Drucklegung kostete einen Bruchteil der vereinnahmten Summe, und außer den Exemplaren, die der Autor bezog und unter seine Freunde verteilte, gab es kein weiteres Exemplar mehr in der Welt. Mehrfach machten wir uns aus unserem Kreise das Vergnügen, absichtlich lächerliche Sudeleien einzusenden, und immer war der Erfolg der gleiche, liefen jene begeisterten Lobenshymnen ein. Es gelang mir nun, durch eine Reihe von Prozessen diesem Unwesen wenigstens zum großen Teil ein Ende zu bereiten. – Z. B. hatte ein Leipziger Verlag dem Autor höchst großzügig eine Provision von 1 Mark pro Exemplar des im Buchhandel 3 Mark kostenden Werkes zugesagt und hatte auch wirklich, um jeder Kontrolle zu entgehen, mehrere Tausend Exemplare herstellen lassen, auf jämmerlichem Papier und in elender Ausstattung. Dann verramschte der Verlag den ganzen Bestand für 5 Pfennig pro Exemplar, und ich zwang ihn, dem Autor nach dem Vertrage 1 Mark zu zahlen. Ich machte andere erstaun­liche Entdeckungen auf dem literarischen Markt. Da war zunächst die Hintertreppenliteratur. Ich war einfach erschlagen, als ich sah, welche ungeheuren Auflagen die Kolportageromane haben, die in Fortsetzungen geliefert werden. Diese Sudeleien fanden ein ungeheures Publikum, und nicht bloß auf den Hintertreppen. Ein Leipziger Verlag, der sich darauf spezia­lisiert hatte, begann ungefähr jedes Vierteljahr mit einer neuen Serie, und die betreffenden Autoren erhielten ein recht anständiges Honorar, das sich zwischen 8.000 und 10.000 Mark bewegte. – Noch erstaunter aber war ich über eine andere Erscheinung: Es gab eine sehr verbreitete Literatur, die man nicht als Hintertreppenliteratur bezeichnen konnte. Hauptsächlich handelte es sich um patriotische Dichtungen. Da gab es z. B. einen entwaffnend naiven alten Herren, der unzählige Romane und Gedichtbände herausgegeben hatte, um dessen Namen sich eine viele Zehntausende große „Gemeinde“ gebildet hatte, und dem sogar bei Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wurde, bei dessen Enthüllung deutsche Fürstlichkeiten anwesend waren. Und weder von dessen Namen noch von dessen Büchern hatte das eigentlich ernsthafte literarische Publikum überhaupt eine