Lost Treasure. Sandra Pollmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Pollmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Treasure Hunt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947634965
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Erscheinen war. Er nahm es seinem Freund Ben immer noch übel, dass dieser Oskars geliebte Harley in der vergangenen Nacht auf dem Ohlsdorfer Friedhof hatte stehen lassen. Ben erzählte ihm eine haarsträubende Geschichte, deren Inhalt sich darum drehte, dass Ben angeblich von der Polizei gesucht würde, weil er illegal erworbene Autos nach Polen vertickt hatte. Das schien Oskar aus unerfindlichen Gründen zu verstehen, und so half er uns dabei, Bens alten Ford gegen einen klapprigen Polo einzutauschen. Er besorgte uns auch ein paar neue Klamotten und stieg sogar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in unser Haus ein, um uns unsere Papiere, Kreditkarten und einige Wertsachen zu besorgen. Natürlich bekam er für diese Unterstützung ein sattes Honorar.

      Am Dienstag nach unserem „Tag X“ im Excelsior sprang mir schon am Frühstückstisch die riesige Schlagzeile auf dem Titelblatt der Hamburger Morgenpost ins Auge: „Brandkatastrophe in illegalem Tanzklub - 73 Tote“. Meine Finger zitterten, als ich die Zeitung zu mir heranzog, und das eben noch gekaute Brot blieb mir in der trockenen Kehle stecken. Hastig überflog ich die Zeilen und suchte nach einem Hinweis auf Ben und mich – doch anscheinend hatten Tony und Nadja tatsächlich Wort gehalten und nichts von unserem Aufenthalt dort erwähnt. Laut Text hatten – außer uns –nur zwei Menschen überlebt, die restlichen Besucher des Klubs waren erstickt oder verbrannt. Die Ursache des Feuers sei noch ungeklärt, man vermute allerdings Brandstiftung. Dann folgte ein langer Absatz über die Sicherheitsmängel im Excelsior und darüber, dass der illegale Klub anscheinend seit Jahren „im Dunkeln“ existiert hatte. Mit einem Seufzen legte ich die Zeitung aus der Hand. Die Medien würden sich um diese Geschichte schlagen, so viel war klar. Es wurde höchste Zeit, dass wir von hier verschwanden.

      Als Ben mit düsterer Miene die schäbige Küche seines Kumpels Oskar betrat, brauchte ich nicht zu raten, was ihm schon am frühen Morgen die Laune verfinsterte. Wortlos warf er sich neben mich auf einen Stuhl, erkannte mit einem kurzen Blick, dass auch ich schon die Schlagzeilen gelesen hatte, und atmete tief durch. „Wir fahren heute Abend“, murmelte er ohne mich dabei anzusehen. Ich nickte nur, da auch ich nicht zu längeren Gesprächen aufgelegt war. Vielleicht hätte es mich interessieren sollen, wohin wir fahren würden, aber irgendwie war es mir egal. Mein Leben war zu einem schwarzen Loch mutiert, es spielte keine Rolle, ob oder wie es weiterging. Wichtig war nur, dass meine Freunde in Sicherheit waren. Und das waren sie hoffentlich, wenn Ben und ich von der Bildfläche verschwanden. Bevor ich mit Ben gegangen war, hatte Marvin mir heimlich sein Handy zugesteckt. Ich hatte meinem Bruder nichts davon erzählt, weil ich befürchtete, dass er von mir verlangen würde, es wegzuwerfen. Mein eigenes Handy hatte ich schon entsorgt. Aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, den Kontakt zu Marvin und Stella völlig zu verlieren. Zumindest musste ich wissen, ob es Stella wieder gut ging.

      Nachdem ich mein Brot hastig herunter geschlungen hatte, verließ ich die Küche, um mein provisorisches Schlaflager in Oskars Wohnzimmer aufzusuchen. Als ich das Handy aus der Tasche zog, sah ich sofort, dass es blinkte und eine neue Nachricht anzeigte. Natürlich war sie von Marvin. Er schrieb, dass Stella noch immer bewusstlos sei, aber definitiv nicht mehr in Lebensgefahr schwebe. Die Polizei ging mittlerweile nicht mehr von einem Selbstmordversuch, sondern einem Gewaltverbrechen aus, da man an Stellas Handgelenken Fesselspuren entdeckt hatte. „Bitte schreib mir, wohin ihr fahrt“, war Marvins letzte Bitte, „ich muss wissen, dass es dir gut geht, sonst werde ich noch verrückt.“

      „Sofia?“ Erschrocken ließ ich das Handy in meine Tasche fallen und fuhr zur Tür herum. Einen Moment lang wirkte Ben irritiert, doch er fragte nicht, warum ich so zusammengezuckt war, sondern setzte sich auf einen Stuhl schräg gegenüber von meiner Luftmatratze. „Ich habe Bekannte in Amsterdam. Wir werden erst einmal dorthin fahren. Sie werden uns weiterhelfen. Alles andere weiß ich auch noch nicht.“ Ben ließ seine ineinander gefalteten Hände in den Schoß fallen und beugte sich vor, um mir noch eindringlicher in die Augen zu sehen. Sein Blick verriet eine merkwürdige Mischung aus Angst, Entschlossenheit und Bedauern, doch ich konnte diese eigenartige Kombination nicht deuten. Nur eines war mir irgendwie ohne weitere Erklärung klar: dass er seine sogenannten „Bekannten“ in Amsterdam nur widerwillig aufsuchen würde. „Wir werden das schaffen“, fügte mein Bruder nach einer kurzen Pause hinzu. Es klang eher, als wolle er sich selbst davon überzeugen als mich. „Wir werden uns nicht unterkriegen lassen. Von niemandem, O.K.?“ Ich lächelte schwach und nickte, doch ich spürte, dass der Kampfgeist in mir erloschen war. Wenn Ben wollte, dass ich ihm folgte – na gut, was sollte ich auch sonst tun? Aber an ein glückliches Ende der Geschichte konnte ich nicht mehr glauben. Nicht nach all dem, was wir gestern erlebt hatten.

      Als wir mit Anbruch der Dämmerung Oskars Wohnung verließen, war ich froh darüber, Hamburg den Rücken zu kehren. Die Stadt, in der ich aufgewachsen war und die mir so lange Zeit vertraut gewesen war, kam mir plötzlich fremd und feindselig vor. Ich fühlte mich wie ein kleiner Fisch, der in seinem geschützten Riff in der lauschigen Lagune bisher nicht gemerkt hatte, dass direkt neben ihm ein Schwarm blutrünstiger Haie lauerte. Als wir die Lichter der Stadt hinter uns ließen, verlangsamte sich mein hämmernder Puls allmählich, Müdigkeit umfing mich mit wohlwollender Umarmung. Ben hatte seinen Blick starr auf die Straße gerichtet, seine in Falten gezogene Stirn ließ seine innere Anspannung erkennen. Meine Augenlider wurden schwer und das Dröhnen des alten Motors vermischte sich mit dem Prasseln des Regens auf unserer Windschutzscheibe. Irgendwo im Niemandsland zwischen Hamburg und Amsterdam gab mein Körper nach und ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      2

      Als ich erwachte, war es stockfinster. Unser Wagen stand auf einem dunklen Parkplatz und an den Kennzeichen der anderen Autos erkannte ich, dass wir uns bereits in Holland befanden. Ben hatte mich zaghaft am Arm geschüttelt, doch er ließ mich abrupt los, als ich ihn schlaftrunken anblinzelte. „Wir sind da“, flüsterte er.

      „Komische Wohngegend“, gähnte ich und ließ meinen Blick über die Reihen der fremden Autos gleiten. „Hier wohnt auch niemand.“ Ben seufzte und schien einen Moment darüber nachzugrübeln, was er mir erzählen sollte. „Wir gehen in einen Klub, eine Diskothek. Die gehört einem … ehemaligen Arbeitgeber von mir. Er erwartet uns schon.“ Eine Diskothek! Ich stöhnte und öffnete die Autotür. Kühle Sommernachts-Luft drang in unseren Wagen. Dank vorgestern Nacht wollte ich nie wieder einen Klub betreten. „Hast du eigentlich nur Bekannte, die in Bars und Klubs arbeiten?“, grummelte ich missmutig vor mich hin und streckte meine müden Beine vorsichtig nach draußen. Ein kurzes Schnaufen hinter mir war die einzige Antwort auf meine rhetorisch gemeinte Frage. Mein altes T-Shirt klebte an meinem Rücken und meine zerzausten Haare waren während der Fahrt zu einem unlösbaren Knoten mutiert. Prima, genau das richtige Outfit für einen Discobesuch. Aber egal. Mein Aussehen störte mich nicht. Ich befand mich auf der Flucht vor einer Bande von skrupellosen Gangstern.

      Mit müden Schritten wankte ich drei Meter hinter Ben her, der zielstrebig auf einen riesigen, mit Neonschrift beleuchteten Glaspalast zusteuerte. „Metropolis“ prangte in großen Lettern über dem prunkvollen Eingangsbereich. Zwei muskelbepackte Türsteher mit schwarzen Sonnenbrillen (ein Irrsinn nachts um Viertel vor zwei!) kontrollierten mit ernster Miene die Tauglichkeit des Äußeren eines jeden Besuchers. Okay, dieser Laden wirkte schon ein wenig anders als das Excelsior. Allerdings hatte ich Bedenken, dass man mir hier Einlass gewähren würde. In dem Fall könnte ich draußen warten, während mein wie immer perfekt aussehender Bruder seine alten Freunde besuchte. Ehrlich gesagt wäre mir das sogar lieber.

      „Benjamin!“, freute sich einer der glatzköpfigen Hünen, als wir gerade mal die erste Stufe der Treppe zum Eingang des „Metropolis“ erklommen hatten. Der Goliath setzte seine schwarze Sonnenbrille ab und lief uns ein paar Treppenstufen entgegen, um meinen Bruder kumpelhaft an seine gestählte Brust zu reißen. Ich erwartete, dass Ben verzweifelt nach Luft ringen würde, da er neben diesem Riesen wie ein Spargeltarzan aussah. Doch er grinste nur souverän und klopfte dem Rausschmeißer freundschaftlich auf die kleiderschrankbreiten Schultern.

      „Ich glaub´s ja nicht, dass du dich hier noch mal blicken lässt, du kleiner Scheißer!“, lachte das farblose Hulk-Double mit tiefer Stimme und schüttelte dabei sein kahles Haupt. Irgendwie sah er ohne seine Sonnenbrille nur halb so gefährlich aus. Die gehörte also quasi zur Arbeitskleidung, fuhr es mir durch den Kopf, genauso wie der