Man muß „De natura deorum” selber lesen, um einen unmittelbaren Eindruck von der liberalen Urbanität und gelegentlich mit den höchsten Dingen ehrfürchtig scherzenden Heiterkeit des Geistes zu gewinnen, die Cicero auszeichnet. Da spricht der Epikureer, der die Wirklichkeit der Götter zwar nicht leugnet, aber ihnen doch jeden Einfluß auf das Irdische abspricht. Wie alles Seiende, bestehen auch die Götter aus Atomen, allerdings ganz besonders feinen. Sie sind nichts als ätherisch schöne Gestalten, leidlos und weltenthoben, weder aus Zorn noch aus Zuneigung sich um die Welt kümmernd, souverän gleichgültig gegenüber Guten und Bösen. Daher haben die Sterblichen auch nicht den geringsten Grund, sich vor ihnen abergläubisch zu fürchten. Was von allem Kult übrigbleibt, ist eine Art von ästhetischer Religiosität, eine heitere Andacht zum glückselig Schönen, das sich in den Göttern gestalthaft-traumgleich kundgibt.
Dann kommt der Stoiker Balbus zu Wort, der ein ganz anderes Bild enthüllt. Er rühmt das allumfassende Walten göttlicher Vorsehung, die erstaunliche Zweckmäßigkeit der kosmischen Ordnung und insbesondere der irdischen Lebensverhältnisse sowie die hinreißende Schönheit der Welt. All dies beweise doch aufs eindringlichste, daß eine göttliche Vernunft die gesamte Natur in wunderbarer Weise lenke. In hymnischen Worten lobpreist Balbus den Kosmos, der „sozusagen das gemeinsame Heim der Götter und Menschen oder eine Stadt für beide” sei: Est enim mundus quasi communis deorum atque hominum domus aut urbs utrorumque. Das Weltall ist somit ein von Göttern, Menschen und andern Lebewesen bewohnter „Weltstaat”, der Kosmos eine Kosmopolis, gleichsam ein Römisches Reich im großen. Alles hängt mit allem weise geordnet zusammen. Nicht atomistischer Zufall, wie die Epikureer meinen, sondern erhabene Finalität zeichne die Verfassung des Universums aus. Es sei durchgehend teleologisch eingerichtet, von einer staunenerregenden Zielstrebigkeit durchwaltet. Alles ist, wenngleich in verschiedenem Maße, beseelt — auch die Sterne und der Kosmos insgesamt. Gustav Theodor Fechners Panpsychismus ist vollumfänglich vorweggenommen:
„Es gibt also eine Naturkraft, die das ganze Weltall zusammenhält und bewahrt, und die ist nicht ohne Empfindungsvermögen und Denkkraft. Denn jedes Wesen, das nicht für sich allein steht und nicht nur aus einem einzigen Teil besteht, sondern noch mit anderem verbunden und verknüpft ist, muß in sich eine herrschende Grundkraft haben, wie der Mensch die Seele, das Tier etwas der Seele Ähnliches, aus der alle Triebe entstehen … Nun sehen wir aber, daß den Teilen des Weltalls — es gibt im ganzen Weltall ja nichts, was nicht zugleich auch ein Teil des Ganzen wäre — Bewußtsein und Denkvermögen (sensum atque rationem) innewohnt. Also müssen in dem Teil, in dem die Grundkraft (principatus) des Weltalls enthalten ist, diese Eigenschaften auch enthalten sein, und zwar in noch schärfer ausgeprägtem und vollkommenerem Maße. Demzufolge muß das Weltall weise sein und das Wesen, das alle Teile zusammengefaßt hält, sich durch Vollkommenheit seines Denkvermögens auszeichnen, und deshalb muß das Weltall göttlich sein und die ganze Kraft des Weltalls durch göttliches Wesen erhalten werden … Und liegt damit diese Göttlichkeit des Weltalls (mundi divinitate) klar, dann muß die gleiche Göttlichkeit auch den Gestirnen zugesprochen werden,… man kann sie mit vollstem Recht ebenfalls für beseelte Wesen halten und ihnen Empfindung und Denkkraft (sentire atque intellegere) zusprechen … Das Empfindungsvermögen und den Verstand der Gestirne aber beweist vor allem die von ihnen stets eingehaltene und unwandelbare Gleichmäßigkeit ihrer Bahnen — denn ohne kluge Einsicht kann sich nichts vernünftig und regelmäßig bewegen —, bei der nichts unbedacht, launenhaft und zufällig abläuft. Der geordnete Lauf der Gestirne und die Beständigkeit ihrer Bewegung seit ewigen Zeiten deuten aber weder auf eine bloß mechanische Kraft hin — denn sie ist voll Überlegung (plena rationis) —, noch auf launischen Zufall, der die Abwechslung liebt und von Beständigkeit nichts wissen will. Es folgt also, daß sich die Gestirne aus eigenem Antrieb (sua sponte), aus eigener Empfindung und kraft göttlichen Wesens (suo sensu ac divinitate) bewegen.”
In einem dermaßen durchgotteten und seelenvollen Universum, das eine Menschen wie Götter familiär umfassende Heimstatt ist, sind auch Unglücksfälle und Untergänge nur Episoden, die die allgemeine Schönheit und Wohlordnung nicht beeinträchtigen. Sie stellen bloß dramatische Intervalle zwischen zwei symphonischen Zyklen dar. Alles Dunkle ist zuinnerst auf Erhellung angelegt. Noch die finstersten Verliese haben ihre leuchtenden Ampeln, werden durchlässig für den Einbruch himmlischer Erleuchtungen. Es gibt keine Hölle, und beinahe könnte auch Ciceros Stoiker mit dem Apostel überschwänglich ausrufen: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel?” Die ärgsten Verheerungen der Geschichte sind sozusagen jahreszeitlich bedingte Schlechtwetterlagen, die zwar hie und da vereinzelten Schaden bewirken mögen, sich aber dem Weisen als heilsame Zwischenspiele im rhythmischen Kreislauf universaler Wohlgeordnetheit zu erkennen geben. Niederlagen einzelner beweisen wenig gegen die Theodizee. Die Götter kümmern sich eben nach Art hochgestellter Persönlichkeiten nicht um jede Kleinigkeit, sondern geben nur auf den allgemeinen Gang der Dinge sorglich acht. Dennoch sprechen sie immer wieder freundschaftlich zu den Menschen, von denen zumindest die bedeutenden und hochherzigen auf ihren Beistand vertrauen dürfen: „Es hat noch niemals einen großen Mann ohne göttliche Eingebung (sine aliquo adflatu divino) gegeben. Großen Männern schlägt alles, was sie unternehmen, stets nur zum Glück aus.”
Am Ende aber spricht Caius Aurelius Cotta. Schon in der zweiten Hälfte des ersten Buches hat er die epikureische Theologie als ästhetisch-hedonistisch verschleierten Atheismus mit elegantem Spott bloßgestellt. Was sind denn das für Götter, die mit den Menschen gar keine Gemeinschaft pflegen? Wie könne es dankbar fromme Gesinnung (pietas) ihnen gegenüber geben, wenn die Menschen von ihnen nichts empfangen und ihnen deshalb auch nichts schulden, somit kein „Rechtsverhältnis” zwischen Sterblichen und Unsterblichen bestehe? Es sei ja gut und schön, wenn die Epikureer versichern, daß ihre heitere Götterlehre die Menschen vom Aberglauben befreie: aber dies sei auch keine Kunst, wenn man den Göttern jeglichen Einfluß auf den Lauf der Welt abspreche. Insofern sei es unaufrichtig, hier überhaupt noch von überirdischen Wesen zu sprechen. Deren Wirklichkeit sei von Grund aus aufgehoben; übrig bleibe nur noch ein bloßes Wort. Diese Argumentation erinnert ein wenig an Schopenhauers Einwand gegen einen naturalistischen Pantheismus, der Gott mit dem Weltall gleichsetzt; eine derartige Lehre sei nichts als ein rhetorischer Kunstgriff, um Gott „auf eine anständige Weise zu beseitigen”, dessen sich insbesondere Professoren bedienen, die zu feige sind, offen und unverblümt den Atheismus zu verkünden. Nun ergreift Cotta wieder, im dritten Teil von „De natura deorum”, das Wort, um die von Balbus so schwungvoll vorgetragene stoische Kosmotheologie oder Theokosmologie mit ihrem Vorsehungs- und Harmonieglauben vernichtend zu kritisieren.
Cotta ist somit die tragende Gestalt des Gespräches, das übrigens in seiner Wohnung stattfindet. Seine philosophische Position kommt derjenigen Ciceros nahe. Wie dieser, der schweigend zuhört, war auch Cotta Konsul und dann Statthalter einer Provinz gewesen. Gleich Cicero kennt er die Plagen einer politischen Laufbahn einschließlich des Exils. Mit dem um etwa zwanzig Jahre jüngeren Politiker-Philosophen teilt er ferner dessen rhetorische Interessen und skeptische Grundhaltung.
Cicero und Cotta haben sogar ein und denselben Lehrer in Sachen Skeptizismus gehabt: Philon von Larissa in Thessalien,