Vom Geist Europas. Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783990810569
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angeheftet jene ewig kreisenden Bahnen der Sterne. Unter ihm liegen sieben, die sich rückwärts drehen in entgegengesetzter Bewegung zum Himmel. Eine Kugel von ihnen hat jener Stern besetzt, den sie auf Erden Saturn heißen. Darauf folgt jener Glanz, dem Menschengeschlecht günstig und heilsam, der Jupiter gehört, wie man sagt. Dann kommt das rötliche und der Erde schreckliche Leuchten des Mars. Darauf hat darunter etwa die Mitte die Sonne inne, die Führerin, Fürstin und Lenkerin der übrigen Sterne, die Seele und Regierung der Welt, von solcher Größe, daß sie alles mit ihrem Lichte bescheint und erfüllt. Ihr folgen wie Begleiter die Bahnen der Venus, des Merkur, und im untersten dreht sich der Mond, von den Strahlen der Sonne angesteckt. Darunter gibt es dann nur noch Sterbliches und Hinfälliges, außer den Seelen, die durch das Geschenk der Götter dem Menschengeschlecht gegeben sind; oberhalb des Mondes aber ist alles ewig. Denn sie, die Mitte und Neunte ist, die Erde, bewegt sich nicht und zu ihr streben alle Gewichte durch ihre eigene Schwere’.”

      Der Kosmos, dessen Mitte im Sinne des ptolemäischen Weltsystems die Erde ist, erscheint als reichgegliedertes Heiligtum der Götter und Seligen. Ausdrücklich gebraucht Cicero die Mehrzahl templa: das Universum ist gleichsam ein Tempel aus Tempeln. Die Mitte der sieben Planetenbahnen nimmt die Sonne ein, dux et princeps, mens et temperatio mundi, Führerin, Fürstin, Seele und Regierung des Alls. Die Reihenfolge der Himmelskörper entspricht dem verbreiteten pythagoreischen Modell: Erde, Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn und dann folgt die Fixsternsphäre (stellifer). Die Erde ruht unbeweglich inmitten des kreisenden Weltalls. Cicero folgt hierin nicht dem Pythagoreer Philolaos von Kroton, der Erde, Mond, Sonne, Planeten und Fixsternhimmel um ein „Zentralfeuer” kreisen ließ, sondern einer populäreren pythagoreischen Auffassung.

      Doch lauschen wir wieder Cicero selbst, der Scipio berichten läßt:

      „Als ich dies staunend betrachtete, sagte ich, während ich mich faßte: ‚Was ist hier? Was ist dieser so gewaltige und süße Ton, der meine Ohren erfüllt?’ — ‚Das ist jener Ton, der, getrennt durch ungleiche, aber doch in bestimmtem Verhältnis sinnvoll abgeteilte Zwischenräume, durch Schwung und Bewegung der Kreise selber bewirkt wird und, das Hohe mit dem Tiefen mischend, verschiedene Harmonien ausgeglichen hervorruft; denn so gewaltige Bewegungen können nicht in Stille angetrieben werden und die Natur bringt es mit sich, daß das Äußerste auf der einen Seite tief, auf der anderen aber hoch tönt. Daher bewegt sich jene höchste sternentragende Bahn des Himmels, deren Umdrehung schneller ist, mit einem hohen und aufgeregten Ton, die des Mondes aber und unterste mit dem tiefsten. Denn die Erde als neunte und unbeweglich bleibend hängt immer an einem Sitz, die Mitte des Weltalls einnehmend. Jene acht Bahnen aber, von denen zwei dieselbe Kraft besitzen, bewirken sieben durch Zwischenräume unterschiedene Töne, eine Zahl, die der Knoten fast aller Dinge ist; das haben gelehrte Männer — eben die Pythagoreer — mit Saiten und Stimmen nachgeahmt und sich damit die Rückkehr zu diesem Ort erschlossen, wie andere, die mit überragender Geisteskraft im menschlichen Leben göttliche Studien gepflegt haben. Von diesem Ton sind die Ohren der Menschen erfüllt und dafür taub geworden; und kein Sinn in euch ist abgestumpfter; ähnlich wie dort, wo der Nil in Katarakten von den höchsten Bergen herabstürzt, das diese Gegend bewohnende Volk wegen der Gewalt des Geräusches nichts mehr hört. Dieser Ton aber ist infolge der überaus raschen Umdrehung des ganzen Weltalls so gewaltig, daß ihn die Ohren der Menschen nicht fassen können, so wie ihr auch nicht unmittelbar die Sonne anschauen könnt und eure Sehschärfe und euer Gesicht durch ihre Strahlen besiegt wird.”

      Für Cicero ist somit die Harmonie der Sphären eine Wirklichkeit. Der Kosmos erscheint ihm als von Sternenmusik erfüllte Tempelstadt. Solange wir auf Erden weilen, können wir zwar wegen unserer abgestumpften Ohren diese Klänge nicht vernehmen, ähnlich wie unser Auge unfähig ist, in das Strahlenmeer der klaren Sonne zu schauen; doch Scipio Africanus maior und die übrigen Seligen genießen das Vorrecht, das All wunderbar tönen zu hören. Im Traum durfte bereits hienieden auch Scipio minor der Sternenmusik lauschen. Cicero verzichtet darauf, die von dem träumenden Scipio staunend wahrgenommene Harmonie der Sphären in allen Einzelheiten genau zu erläutern. Er nimmt davon Abstand, nach Art der pythagoreischen Schule die Himmelsmusik mit mathematischen Überlegungen zu beweisen oder gar in Gestalt einer Tonleiter oder eines Saiteninstruments anschaulich wiederzugeben. Er schildert mit einfachen und gleichwohl ergreifenden Worten das erhabene Bild eines kreisenden Kosmos, in dem die äußerste und göttlichste Sphäre, die der Fixsterne, sich am raschesten umdreht, während der erdnahe Mond sich am langsamsten bewegt und die von den Menschen bewohnte Erde still in der Mitte steht. Nicht sie ist aber, wie wir bereits vernommen haben, die fürstliche Seele und Regierung der Welt, sondern die Sonne, die sich etwa in der Mitte zwischen Saturn, Jupiter und Mars einerseits, Venus, Merkur und Mond andrerseits befindet. Diese sieben Lichter erfüllen mit sieben Tönen das All, mit dem untersten und tiefsten des Mondes anhebend und sich zunehmend steigernd bis zum Klang des Saturn; die abschließende Oktave der Tonleiter bildet die höchste und allumfassende Fixsternsphäre.

      Es sind zuvörderst nicht kosmologisch-astronomische Neigungen, die Cicero veranlaßten, „De re publica” in diesem visionären Bild gipfeln zu lassen. Schließlich ist „De re publica” kein naturphilosophischer Traktat, sondern eine dialogische Erörterung über den besten Staat und den wahren Staatsmann. Deshalb legt Cicero dem im Traum Scipios erscheinenden Stammvater folgende aufschlußreiche Worte in den Mund:

      „Damit du, Africanus, dich noch eifriger für die Rettung des Staates einsetzest, sollst du wissen, daß allen, die das Vaterland bewahrt, unterstützt, gefördert haben, im Himmel ein sicherer Platz bestimmt ist, wo sie glücklich ein ewiges Leben genießen. Nichts ist nämlich jenem höchsten Gott, der die ganze Welt regiert, von allem, was auf Erden geschieht, wohlgefälliger als die Zusammenschlüsse und Vereinigungen von Menschen, die sich auf der Grundlage des Rechts vollziehen und ‚Bürgerschaften’ genannt werden. Deren Lenker gehen von hier aus und kehren hierher zurück.”

      Die Gründung, Bewahrung oder Wiederherstellung von Staaten auf dem Fundament des Rechts ist somit das der Gottheit wohlgefälligste menschliche Tun. Die sich im Rechtsstaat verwirklichende Vergesellschaftung, Selbstzähmung und Kultivierung des Menschen steht unter himmlischem Schutz. Diejenigen, die sich darum verdient machen, kommen im strengen Sinne des Wortes in den Himmel. Dieser Himmel ist kein nebuloser Zustand der Seligen, wie ihn die neuere christliche Theologie darstellt (falls sie überhaupt noch davon zu sprechen wagt), sondern derselbe Himmel, den wir in jeder klaren Nacht sehen können: der für das antike Auge wohlgeordnete, ebenmäßige und geründete Kosmos mit Sonne, Mond und Sternen als Aufenthalt der Götter und ihrer Lieblinge. Es ist ein von leuchtenden und tönenden Gestirnen erfüllter sphärischer Himmel, der in gewisser Weise einen großen, Menschen wie Götter beherbergenden Staat darstellt, an dem sich die kleineren irdischen Gemeinwesen, die civitates der Sterblichen, und insbesondere die principes und gubernatores rei publicae, die wahren Optimaten und Staatskünstler, ausrichten können und sollen. Als überirdischer, aber durchaus nicht außerweltlicher Lohn winkt ihnen nach dem Tode statt des finsteren Orkus die Entrückung zu den selig kreisenden Sternen, von denen sie einst gekommen sind. „Sie gehen von hier aus und kehren hierher zurück”, verrät der ältere Scipio dem Nachfahren, um ihn in dem edlen Ehrgeiz zu bestärken, ein überragender Staatsmann zu werden. Mit diesem Wort spielt Cicero auf die Seelenwanderungslehre der Pythagoreer an.

      Cicero hat erstaunlich viel geschrieben. Neben seinen zahlreichen Briefen (insgesamt 864), Reden und den rhetorischen Schriften „De inventione”, „De oratore”, „Brutus” und „Orator” hat er nicht nur Staat und Politik behandelnde Werke verfaßt, sondern sich zu fast allen menschlich bedeutsamen Angelegenheiten geäußert: zur Erkenntnistheorie („Academica”), Sittenlehre („De finibus bonorum et malorum”, „Tusculanae disputationes”, „De officiis”), Rechtsphilosophie („De legibus”), Theologie („De natura deorum”), über Freundschaft („Laelius de amicitia Dialogus”), Alter („Cato maior de senectute”), Weissagung („De divinatione”), Schicksal, Notwendigkeit und Kausalität („De fato”), Ruhm („De gloria”, verlorengegangen) und den Tod („Consolatio ad se ipsum”, Trostschrift an sich selbst nach dem Tode der Tochter Tullia).

      Mit diesen Werken hat Cicero die griechische Philosophie in selbständiger Auswahl den Römern vermittelt. Er hat