Keine Helden - Piraten des Mahlstroms. Nils Krebber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nils Krebber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958692978
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dabei.« Sie lehnte sich nach vorne und stützte das Kinn auf die Hand. »Aber jetzt erklärt mir doch mal, warum ich bei diesem Irrsinn dabei sein sollte.«

      Die Gräfin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, öffnete Ihren Fächer und wedelte sich langsam Luft zu.

      »Ihr werdet mit dabei sein, meine Liebe, weil ich nicht nur eine Schatzsucherin bin. Nicht nur, weil der Schatz des Schreckenskorsaren größer ist als alles, was Ihr Euch vorstellen könnt, und Ihr einen großzügigen Anteil daran haben werdet. Nein, Ihr werdet dabei sein, weil wir gemeinsam Maracasar von der Knute des Imperiums befreien werden. Wenn ich mein Erbe als einzige Nachfahrin von Escobar del Mar, dem Schreckenskapitän, antrete, werden sich die Adelshäuser von Maracasar erheben und wir werden wieder frei sein. Wenn Ihr also jemals dem Imperium einen Schlag versetzen, jemals etwas wirklich Bedeutendes gegen die Unterdrückung des Imperators tun wollt – dann helft mir, mein Erbe anzutreten!«

      Zum ersten Mal schimmerten wahre Emotionen durch die Maske der Selbstbeherrschung. Eine leichte Rötung war sichtbar unter dem Puder, die Gräfin atmete schwer.

      Aurelia blieb still. Ihr Kopf war voller widersprüchlicher Gefühle. Das hier war eine unglaubliche Gelegenheit. Aber die Gräfin war ... eine Gräfin. Aurelia konnte sich nicht vorstellen, mit so einer Frau auf einer Seite zu stehen – oder gar mit einem Hexenjäger! Sie schaute zu Eberhart. Der hatte einen bettelnden Hundeblick aufgesetzt. Aurelia raufte sich die Haare.

      »Heißt das, ich muss auf ein Schiff?«

      Die Spannung fiel von ihnen ab, und die Gräfin erhob das Glas. Eberhart und Aurelia griffen ebenfalls zu den bereitstehenden Gläsern. Auf einen strengen Blick der Gräfin schloss von Berg sich missmutig an.

      »Auf eine fruchtbare Zusammenarbeit!« Die Gläser klirrten, und nachdem alle einen Schluck von dem leichten Wein genommen hatte, erklärte die Gräfin: »Nun, nicht sofort, Aurelia. Unsere kleine Truppe ist noch nicht komplett. Ihr müsst zunächst noch einen weiteren Spieler für mich anheuern.«

      Eberhart schenkte sich nach und lächelte zufrieden.

      »Noch jemand? Nun gut, wo finden wir diesen mysteriösen Spieler?«

      Das Lächeln der Gräfin wurde breiter.

      »Im Sanatorium.«

      5. Kapitel

      Das Sanatorium der Churun zu Kammerbad war eine traurige Mischung aus Tempel und Gefängnis. Über dem Eingang prangte zwar die Taube der Heilergöttin, und die Front war in – einstmals − weißem Marmor gehalten, aber die Fenster waren vergittert oder gleich mit festen Läden verschlossen. Auch die Inschrift an der Tür wirkte merkwürdig doppeldeutig: »Mögen die unruhigen Geister hier ihren Frieden finden.«

      Tatsächlich war die Existenz eines Sanatoriums an sich schon ein Luxus. Geistig Verwirrte in den Dörfern des Imperiums konnten von Glück sagen, wenn sie nicht den Hexenjägern oder einem Mob zum Opfer fielen. Nur der Adel und die reichen Händler konnten sich die Versorgung Ihrer Angehörigen in einer solchen Unterkunft leisten. Dennoch: Die Gerüchte von Schreien, die Tag und Nacht durch die Gänge hallten, von Versuchen, die Geister der Bewohner mittels Operationen am Kopf, Hitze, Kälte oder Aushungern zu heilen, sorgten dafür, dass viele das Sanatorium eher als eine Art Vorhölle betrachteten denn als Ort der Genesung. Dass Patienten den Ort wieder verließen, war selten, und die Rückkehrer waren immer – anders.

      Eberhart rückte seine rote Robe zurecht, auf der prominent das Zeichen der weißen Zunft zu sehen war. Die Gilde der Heiler befand sich seit jeher im Streit mit den Priesterinnen der Churun, und so hoffte Eberhart, weitergehenden Fragen über seine Behandlungsmethoden oder Legitimierung aus dem Wege zu gehen. Unter dem Arm hatte er ein Bündel frisch gefälschter Papiere, die ihm den Weg zu seinem Ziel ebnen sollten.

      Er schritt auf die Fassade des Gebäudes zu. Auf der Tür war das Relief einer Märtyrerin zu sehen, die sich selbst die Haare in Brand setzte, um die Dämonen auszutreiben. Eberhart verzog das Gesicht, klopfte aber dennoch forsch an. Mit einem Schnappen öffnete sich eine Klappe inmitten des Portals und ein Paar himmelblaue, aber sehr misstrauische Augen musterten ihn von oben bis unten.

      »Was führt Euch in das Haus der Heilung, Wundschneider?«

      Eberhart beschloss, die Beleidigung zu ignorieren. »Ich bin hier im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit und Anstand. Wir haben Berichte über einige Patienten hier, die eigentlich in unsere Zuständigkeit fallen, aber fälschlicherweise in Eurer Institution untergekommen sind. Ich bin nun hier, diese Fälle zu prüfen und gegebenenfalls zu überweisen.« Er setzte ein unschuldiges Lächeln auf. »Natürlich nur gegen eine Spende an den Tempel.«

      Die Augen wurden schmaler. »Das Ministerium hat sich noch nie für uns interessiert. Diejenigen, die den Weg hierher finden, sind weit jenseits Eurer ... weltlichen Methoden.« Eberhart war beeindruckt davon, wie viel Abscheu man in diese wenigen Worte laden konnte.

      Er hielt die Schriftrollen in die Höhe. »Ich bin doch nur der Überbringer der Nachrichten – Ihr wisst doch genau so gut wie ich, dass meine Gilde niemals etwas tut, wenn sie nicht muss. Diese Papiere hier sind vom Hohen Präfekt selbst unterschrieben – wenn Ihr also wollt, das ich mit der Garde zurückkehre ...«

      Die Klappe knallte zu. Eberhart schaute unschuldig in der Gegend herum, während er sich den Dialog hinter der dicken Tür vorstellte. Die Churunschwestern wussten sehr wohl, dass die Weiße Zunft in höherer Gunst bei den Adligen der Stadt stand als sie. Die Ärzte hatten einiges an Geld und Zeit investiert, um die heilkräftigen Schwestern der Göttin vor den hohen Herren zu diskreditieren und sie als Gebetsschranzen abzustempeln, die sich lieber um Waisen und Hungerleider kümmern sollten, als dem Adel ihre Zeit zu widmen. Mit Einrichtungen wie dieser waren sie auf das Wohlwollen dieser Gönner angewiesen.

      Als Eberhart hörte, wie sich die schweren Riegel zurückschoben, konnte er sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

      Die Schwester, die hinter der schweren Tür hervorkam, war überraschend klein, aber schaffte es trotzdem, auf Eberhart herabzusehen. Sie war jung, jünger als Aurelia, doch hatte sie schon eine Härte und eine Ernsthaftigkeit in ihrem Blick, die sie weit älter erschienen ließ. Das strenge, weiße Habit der Churunschwestern tat ein Weiteres, um diese winzige Frau in eine Respektsperson zu verwandeln.

      »Zeigt mir das!« Fordernd streckte sie die Hand aus, und Eberhart übergab Ihr das Bündel mit Papieren, die er selbst am Morgen fein säuberlich ausgestellt hatte. Er sorgte sich nicht, dass sie irgendwelche Unregelmäßigkeiten finden würde – die Unterlagen der Ministerien waren so verwirrend und wurden ständig neu formuliert, dass man selbst bei Echten kaum eine Chance hatte, den Inhalt zu verstehen. Er hatte sich Mühe gegeben, möglichst viele komplizierte und nichtssagende Redewendungen einzubauen. Außerdem hatte er extrem klein und eng geschrieben, um jeden schon beim ersten Blick zu entmutigen.

      Die Schwester hielt fast fünf Minuten durch − was Eberhart einige Anerkennung abrang − bevor sie entnervt aufblickte und ihm die Papiere zurückgab. »Es wird schon seine Richtigkeit haben. Wen wollt Ihr sehen?«

      Eberhart blätterte nach, als könne er sich nicht an die Namen erinnern. Dann rollte er die Papiere sorgfältig zusammen und verstaute sie, bevor er der Schwester antwortete. Je ungeduldiger sie wurde, desto besser für ihn. »Der erste Fall ist ein gewisser Joachim von Schwertwall. Nach meinen Informationen sind die von Schwertwalls von einer erblichen Schwäche der Säfte befallen, sodass es sich hier um eine rein körperliche Schwäche handelt, die nicht Eurer ... spirituellen Sorge bedarf. Sollte dem so sein, müsste ich ihn in eines unserer Häuser überstellen lassen. Aber zunächst muss ich meine eigenen Diagnose erstellen.« Er lächelte entwaffnend. »Würdet Ihr mich zu ihm führen?«

      »Von Schwertwall?« Sie schien ehrlich überrascht. »Seid Ihr sicher?«

      Er machte Anstalten, sein Bündel Papiere wieder aufzuschnüren, aber sie hob die Hände. »Nein, lasst nur. Ich werde Euch zu ihm führen.« Sie öffnete die Tür und trat einen Schritt zurück, um ihm den Weg frei zu machen.

      Eberhart