Keine Helden - Piraten des Mahlstroms. Nils Krebber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nils Krebber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958692978
Скачать книгу
der schmalen, fast geisterhaft blassen Linken hielt sie mit müheloser Eleganz einen spitzenbedeckten Fächer, während sie mit dem rechten Zeigefinger an ihr Kinn tippte. Ihre Nägel waren im selben Ton gehalten wie ihr Kleid, und ihr Lidschatten trug eine ähnliche Farbe. Dagegen waren ihre Lippen nachtschwarz nachgezogen. Ein Schönheitsfleck unter dem rechten Auge wirkte wie eine verlorene Träne.

      Sie stand vor einer Illustration, die den Triumph der Sturmgeborenen über den Schreckenskapitän in recht blutigen Details darstellte. Eberhart gesellte sich zu ihr und studierte die Abbildung. Die Tochter Laros‘ stand auf einem Wellenberg, der die Knochenbarke des Schreckenskapitäns und seiner untoten Horden unter sich begrub. An ihrer Seite kämpften Meerjungfrauen, Delphine und andere Meeresgeschöpfe, während Skelette, Geister und Gruselgestalten an Deck der Flotte des Schreckenskapitäns standen.

      Der Kapitän selber hatte einen Totenschädel statt eines Gesichts und schwang ein Schwert, das eher einer Klaue ähnelte. Die Sturmgeborene führte Laros‘ Heiligen Dreizack in der Rechten, in der Linken trug sie einen violetten Kristall, mit der sie die Geschöpfe des Herrn der Meere rufen konnte.

      »Faszinierend, nicht wahr?« Eberhart sah die Gräfin nicht an, aber achtete aus dem Augenwinkel auf ihre Reaktionen. »Der Triumph des Göttlichen über das Dämonische. Wahrhaft inspirierend.«

      Die Stimme der Gräfin war rauchig und ein leichter, schwer zu identifizierender Akzent klang mit, der ihre »R’s« rollen und die scharfen Konsonanten weicher klingen ließ.

      »Inspirierend – eine interessante Wortwahl. Wusstet Ihr, dass die Sturmgeborene nach dieser letzten Schlacht verschwunden ist?« Sie wischte mit dem Fächer an ihrem Gesicht vorbei. »Als wäre sie selbst vom Meer verschlungen worden, ebenso wie der Schreckenskapitän.«

      Eberhart strich sich über das Kinn. »Ich dachte immer, sie wäre aufgestiegen an Laros‘ Seite, oder etwas Ähnliches?« Er winkte einem der Diener, neue Getränke zu bringen.

      »Tatsächlich ist das einer der Punkte, in der die Kirchengeschichte seltsam unpräzise wird. Es gibt unzählige detaillierte Beschreibungen der Gräueltaten des Schreckenskapitäns, ebenso wie den glorreichen Aufstieg der Sturmgeborenen aus den kalten Tiefen von Laros‘ See zu seiner Streiterin. Aber ihr Schicksal nach der letzten Schlacht bei der Mahlstrominsel – da wird es plötzlich sehr vage.« Sie fuhr mit dem Fächer die drohenden, schwarzen Felsen entlang, die sich im Hintergrund der Schlacht abzeichneten.

      »Ja, das ist das Problem mit Künstlern und Priestern – sie sind oft mehr daran interessiert, etwas gefällig zu machen, statt präzise wiederzugeben.« Er nahm zwei Gläser vom Tablett des herbeigeeilten Dieners und reichte eines der Gräfin. »Dabei hat Klarheit und Genauigkeit doch ihre eigene Schönheit.«

      Mit einer erhobenen Augenbraue nahm die Gräfin das Glas entgegen. »Solche Direktheit ist in meinem Kreisen eher selten. Sie wird als ... krude und bürgerlich betrachtet. Es gilt als schick, seine Anliegen in Lagen von Komplimenten, Anspielungen und sonstigem Geplapper zu verbergen, sodass man erst Schicht um Schicht durchdringen muss, bevor man zum Kern der Angelegenheit kommt.« Sie erhob das Glas zum Gruß. »Wem verdanke ich also diese plumpe Missachtung der imperialen Gepflogenheiten?«

      Eberhart stieß sein Glas klingend gegen das ihre. »Eberhart Brettschneider, meines Zeichens Freihändler und Abenteurer.« Er schlug sich lachend auf den Bauch. »Wobei meine zweite Leidenschaft etwas in den Hintergrund getreten ist, seit ich die entsprechenden Geldmittel habe.«

      Sie neigte graziös den Kopf und schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. »Estella Veronica Asuncion del Mar, Gräfin von Maracasar.« Sie senkte kurz die Augen. »Im Exil.«

      Eberhart schaute einen Moment betroffen und tat, als suche er nach Worten. Dann versuchte er es mit einem Scherz. »Die Freuden der Kolonialherrschaft. Ich hoffe, es wendet sich bald alles zum Guten, Gräfin.« Er machte eine unbestimmte Geste mit der freien Hand. »Immerhin ließen Sie Euch den Titel ... «

      Die Gräfin hob abwehrend die Hand. »Lasst uns das Thema wechseln, Herr Brettschneider. Ich bin hier, um mich von meinen Problemen abzulenken, und ich wollte Euch gewiss nicht damit belasten.« Unmittelbar wandte sie sich wieder der Illustration zu. »Also, was haltet Ihr sonst noch von dem Stück?«

      »Nun, wie ich schon sagte, bin ich eher ein Mann der Fakten als ein Mann der Kunst. Ich könnte Euch sagen, auf welchem Material die Zeichnung illuminiert wurde und welche Tinte wahrscheinlich benutzt wurde, aber den künstlerischen Wert zu bestimmen ... Das übersteigt meinen Horizont. Wenn Euch das Thema interessiert, ich bin im Zuge meiner Reisen auf das eine oder andere Schriftstück aus dieser Zeit gestoßen. Nichts so Feingeistiges wie dieses Material hier, Berichte der damaligen Hafenmeister und Gildenoberhäupter, Listen mit Dingen, die der Schreckenskapitän geplündert hat. Welche Schiffe aufgrund seiner verlustig gegangen sind, welche Investitionen man getätigt hat, um seiner Herr zu werden.« Er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. »Ach entschuldigt, das muss furchtbar langweilig klingen.« Er hob die Schultern. »Aber für jemanden wie mich erzählen Zahlen und Rechnungen eine lebendigere Geschichte dessen, was damals passiert ist, als irgendwelche Predigten oder Psalme.«

      Die Gräfin legte den Kopf ein wenig zur Seite und schaute ihn nachdenklich an. »Ihr meint, Ihr habt authentische Aufzeichnungen der Raubzüge des Schreckenskapitäns? Die Orte, an denen er gewesen ist?« Sie wirkte aufrichtig interessiert.

      Eberhart legte eine Hand ans Kinn. »Ja, so könnte man es sagen. Ich habe es noch nie auf diese Weise zusammengetragen, aber man könnte gewiss seine Wege auf Grundlage dieser Aufzeichnungen ermitteln.« Er schaute versonnen auf den Teppich. »Man könnte damit zumindest einschränken, in welchem Gebiet seine Flotte operiert hat.«

      Die Gräfin ließ ihren Fächer zusammenschnappen und tippte Eberhart auf die Brust.

      »Wir müssen das definitiv weiter ausführen, aber nicht hier. Ihr müsst mich besuchen. Was haltet Ihr von einem Abendessen, sagen wir in zwei Tagen? Ein Nein lasse ich nicht gelten, das ist zu faszinierend.«

      Der Händler verbeugte sich mit ein wenig Mühe, die linke Hand auf der Brust, die rechte mit dem Weinglas ausgestreckt.

      »Es wäre mir eine Ehre, Euch aufzuwarten. Es ist erfrischend, jemanden zu treffen, der meine Begeisterung für die Vergangenheit teilt.« Er erhob sich mit einem leisen Keuchen. »In zwei Tagen, Gräfin. Genießt die Ausstellung.« Sie entließ ihn mit einem leichten Nicken, dann verschwand Ihr Gesicht hinter dem Fächer und sie wandte sich einem anderen Exponat zu.

      Eberhart zog sich zurück und wanderte noch ein wenig Interesse heuchelnd durch die Ausstellung, bis er Aurelia entdeckte. Sie unterhielt eine Gruppe von Gildenvertretern mittleren Alters mit einer anzüglichen Geschichte.

      Er wartete etwas abseits, bis sie ihn entdeckte und sich von Ihren Verehrern verabschiedete. Sie kam lächelnd an seine Seite und ließ sich unter den neidischen Blicken der Anwesenden aus der Halle führen.

      »Hattest du Erfolg?«, flüsterte sie, als Sie auf die Straße getreten waren.

      »Der Köder ist geschluckt. Unsere Gelegenheit werden wir in zwei Tagen vorstellen. Und bei dir?«

      Sie lächelte strahlend. »Unser Problem ist das Thema des Abends. Wenn Sie davon nichts hört, können wir es nur noch an die Wand der Kathedrale schreiben.«

      Eberhart atmete tief ein und ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Meine Liebe, unser Plan läuft beinahe zu gut. Aber nur beinahe.«

      3. Kapitel

      Das Haus der Gräfin lag in Hochburg, dem Teil von Kammerbad, der auf den Rest der Stadt herabblickte wie der hochmütige Sohn eines Grafen auf die Schweinehirten in seinen Ställen. Die Villen waren durchgehend aus Stein und hatten zwischen drei und vier Stockwerken. Schwarze, rote und grüne Ziegel bedeckten die Spitzdächer, Adelswappen oder Gildenzeichen zierten die Giebel, um die Besitzer weithin anzupreisen.

      Das Haus der Gräfin war eines der wenigen unmarkierten Gebäude, nur verziert mit den Symbolen von Heim und Herd. Entweder hatte die Gräfin noch keine feste Unterkunft