Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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wurde in allen Größen und in einer Ausführung hergestellt, die dem amerikanischen Original nicht nachstand; sie führten sich durch das bestechende Äußere und die Ökonomie des Dampfes rasch ein, trotzdem die Verkaufspreise den teuerern Herstellungskosten entsprechend hohe waren. Für Reversier-Walzwerke und Gebläsemaschinen wurde die Schiebersteuerung beibehalten, und bei den Wasserhaltungsmaschinen für das Waldenburger Revier büßte die Katarakt-Ventil-Steuerung ihre Bedeutung nicht ein. Als ich die Wilhelmshütte nach 4½jähriger Tätigkeit verließ, war sie eine Maschinenfabrik, die sich eines guten Rufes in den Kreisen der Industrie erfreute und den besten Fabriken gleichwertig erachtet wurde.“

      Die lange praktische Lehrzeit, die weit über das hinausging, was heute ein akademisch gebildeter Ingenieur auf diesem Gebiete zu leisten hat, gab Rathenau eine gründliche handwerkliche Kenntnis des Maschinenbaus, für den er immer eine gefühlsmäßige Vorliebe behielt, mit auf den Lebensweg.

      Rathenaus Austritt aus der Wilhelmshütte wurde durch die Mobilmachung der preußischen Armee aus Anlaß des italienischen Krieges herbeigeführt. Er sollte beim 2. Garde-Regiment eintreten, als der Friede von Villafranca geschlossen wurde. Damit wurde der Eintritt in das Heer zunächst aufgeschoben, der junge Mann ging aber nicht wieder zur Wilhelmshütte zurück, sondern entschloß sich, seiner technischen Bildung zunächst eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. Aus der Erbschaft des Großvaters, die beim Kinderreichtum der Familie allerdings in 15 Teile ging, fiel ihm eine an sich bescheidene, für ihn aber damals nicht unbedeutende Summe von einigen tausend Talern zu. Mit diesem Gelde ausgerüstet, über das er ganz frei verfügen konnte, durfte Emil Rathenau, seinem längst gehegten Wunsch nach akademischer Durchbildung nachgeben. Er bezog zunächst die polytechnische Schule in Hannover. Da seine mathematischen Kenntnisse durch den Schulbesuch auf dem „Grauen Kloster“ nur recht mangelhaft gefördert worden waren, strebte er danach, sie durch Selbststudien zu ergänzen und hatte sich tatsächlich in kurzer Zeit in die Differential- und Integral-Rechnung so eingearbeitet, daß er den Vorlesungen, die allerdings keine großen Vorkenntnisse der Mathematik voraussetzten, gut folgen konnte. Die meisten Lehrer, so der Technologe Karmarsch, der Architekt Debo und der Statiker Ritter verstanden es, mit einer geringen Menge von Mathematik auszukommen, auch für das Studium des Maschinenbaus in seiner damaligen Form war ein Zurückgehen auf mathematische Begriffe nicht unbedingt erforderlich. Nicht lange konnte sich aber Rathenau in Hannover seinen Studien ruhig hingeben. Ein Streit um die akademische Freiheit sah Rathenau und einige preußische Kommilitonen unter den Wortführern, was den Zorn der welfischen Lehrer gegen die preußischen Studenten erregte. Nach Beendigung der Ferien ging Rathenau darum nicht mehr nach Hannover zurück, sondern wandte sich nach Zürich, wo Männer wie Zeuner, Reuleaux, Culmann und andere lehrten und in einem fast kameradschaftlichen Verhältnis zu ihren Schülern standen. Die Diplomprüfung bestand Rathenau, trotzdem die Zeit der schriftlichen Arbeiten gerade in die feuchtfröhliche Feier des eidgenössischen Schützenfestes fiel, mit der besten Nummer. Mit dem Diplom „eines richtig gehenden Ingenieurs“ kehrte der junge Techniker nach Berlin zurück. Der Wiedereintritt in die Wilhelmshütte stand ihm wohl offen, aber er hatte die Empfindung, daß er mit seiner inzwischen erworbenen wissenschaftlichen Methodik nicht mehr so recht unter die dortigen Empiriker passen würde. Als einen großen Erfolg betrachteten er und die Familie es, als er eine Anstellung in der Lokomotivfabrik von A. Borsig erhielt, die damals von dem Sohn des Begründers geleitet wurde. Zuerst wurde er im Zeichenbureau beschäftigt und hatte Arbeiten mehr untergeordneter Art auszuführen. Bald wurde er aber unter die meist älteren Konstrukteure versetzt und konnte sich unter der Leitung des Oberingenieurs Flöhringer mit der Konstruktion von Gitterbrücken, später unter der Leitung des Obermaschinenmeisters Stambke mit dem Entwerfen von Lokomotiven beschäftigen. Sein Gehalt betrug 25 Taler monatlich, womit er seine einfachen Bedürfnisse bestreiten konnte, ohne die geldliche Hilfe der Eltern in Anspruch zu nehmen. Dagegen speiste er Sonntags und an manchen Abenden der Woche im elterlichen Haus in der Kronenstraße. Die Tätigkeit bei Borsig befriedigte den jungen Ingenieur indessen nicht lange. Der Lokomotivbau wurde ziemlich schematisch nach den Entwürfen der Maschinenmeister durchgeführt und ließ den Konstrukteuren wenig Spielraum für die freie Entfaltung eigener Gedanken. Dazu war auch die Fühlung mit der Praxis, die eine solche Tätigkeit wenigstens vorausgesetzt hätte, sehr gering. Denn der Besuch der Werkstätten wurde durch Meister und Werkführer, die ihre Domäne namentlich den jungen Ingenieuren eifersüchtig verschlossen, sehr erschwert. Befand man sich doch damals in einer Zeit, in der die alte empirische Technik im Kampfe mit der neu aufkommenden wissenschaftlichen Methode stand, die auf den technischen Schulen herangebildet wurde und infolgedessen ihre Ideen etwas ungestüm und in der Form vielleicht auch etwas überheblich in die Praxis hineinzutragen suchte. Emil Rathenau war nicht der Mann, um seine frisch errungenen wissenschaftlichen Erkenntnisse sich im praktischen Betriebe um des leichten Fortkommens willen wieder langsam abzugewöhnen. Er hätte, wenn er ein Durchschnittsmensch und ein Durchschnittstechniker gewesen wäre, bei Borsig bleiben und allmählich eine wichtige Stellung, wahrscheinlich sogar einen Ober-Ingenieurposten erringen können. Aber Rathenau hat sich nie in seinem Leben mit mittelmäßigen Zielen begnügt. Er besaß die fruchtbare Unzufriedenheit des nach Großen strebenden Charakters, dem seine innere Entwickelung mehr wert war als eine gesicherte Existenz. Als er Borsig von seinem Entschluß, bereits nach ½jähriger Tätigkeit aus seinem Betriebe auszuscheiden und nach England zu gehen, benachrichtigte, schien der Chef einigermaßen darüber befremdet, daß Rathenau sein Interesse und seine Absicht, ihn bald in eine höhere Stellung aufrücken zu lassen, nicht mit größerem Dank anerkannte. Neben dem Bestreben, sich fortzubilden und alles in sich aufzunehmen, was die Technik damals in den fortgeschritteneren Industrieländern an Gegenwartserfüllungen und Zukunftsmöglichkeiten bieten konnte, war es wohl auch der Wandertrieb, der „Durst nach weiter Welt“, die ihn bewogen, die aussichtsreiche Stellung in der Heimat aufzugeben und sich in England, dem damals an der Spitze schreitendem Lande der Technik und Wirtschaft, gründlich umzusehen. Mit einem Empfehlungsbrief von Borsig an die große Maschinenfabrik von John Penn in Greenwich und einem zweiten des Admiralrates Coupette reiste Rathenau über den Kanal. Die Hoffnung einer Anstellung bei Penn schien sich zunächst nicht zu verwirklichen und Rathenau war vorerst darauf angewiesen, sich durch Annoncen im „Engineer“ eine Stellung zu suchen. Ein persönlicher Besuch in der Villa John Penns führte aber, ehe sich der junge Ingenieur zur Annahme eines Anerbietens der landwirtschaftlichen Maschinen- und Lokomotivfabrik Marshall in Gainsborough entschloß, doch noch zum Ziele einer Anstellung in der großen Greenwicher Fabrik und er bekam die Stelle eines Draughtsman mit 30 sh. Wochenlohn. Lassen wir nun Rathenau wieder selbst erzählen, wie sich seine Tätigkeit in verschiedenen englischen Fabriken gestaltete:

      „Mein Vorgesetzter war ein liebenswürdiger Herr Lobb, der bald nach meiner Anstellung zu dem Österreichischen Lloyd überging; sein Nachfolger, Mr. Wright, war mir weniger sympathisch. Aber dieses Vorurteil war ungerecht, denn gerade ihm verdanke ich meine Heranziehung zu größeren Arbeiten. Ein Landsmann, der spätere Oberwerftdirektor Meyer, trat in dasselbe Bureau ein. Die teueren Lebensbedingungen veranlaßten uns zu einem gemeinsamen Haushalt, und wir fanden eine passende Behausung in der Nähe von zwei Marineingenieuren Gujod und Dede, die zur Überwachung der im Bau befindlichen Panzerkorvette nach England geschickt waren. Während wir unser Leben in Gainsborough allesamt sehr bescheiden einrichten mußten, fand ich hohe Befriedigung in der geschäftlichen Tätigkeit. Die englische Marine muß sehr gute Erfahrungen mit den Schiffen der Warrior-Klasse, zu denen „Achilles“ und „Black Prince“, wie ich glaube, gehörten, gemacht haben, denn sie ging zu einem ähnlichen Typ, dem Bellerophon, über und übertrug der Firma J. Penn & Sons die Ausrüstung des Schiffes mit Maschinen, Kesseln und Zubehör. Es war die erste 1000 PS-Expansionsdampfmaschine mit Zylinder von 105 Zoll, eine Trunk-Maschine, in der die Kurbelwelle zwischen jenen und den Kondensatoren gelagert war. Diese Konstruktion war neu, die Firma hatte früher meist oszillierende Dampfmaschinen gebaut und durch sie einen Weltruf erlangt. Nach Vollendung der Werkstattszeichnungen, Transportmittel, die für die ungewöhnlich schweren Arbeitsstücke angefertigt werden mußten, und der Gesamtanordnung, die bis in die Einzelheiten auf dem Papier festgelegt und in Maßskizzen den verschiedenen Abteilungen zur Fertigstellung überlassen wurden, befragte mich ein Freund, der nach Deutschland zurückzukehren im Begriff stand, ob ich sein Nachfolger in der Firma Easton & Amos zu werden wünsche. Die Vielseitigkeit dieses Geschäftes zog mich an und ich siedelte nach London über, das ich während