»So, so, du bist also unsere neue Tätowiererin«, erklang eine tiefe Stimme neben ihr. »Kannst du das überhaupt?«
»Ja«, antwortete sie schlicht und drehte sich leicht, um die Person ansehen zu können. Sie zuckte zusammen. Der Mann neben ihr war groß und düster und vernarbt. Er sah ein bisschen aus wie das Narbengesicht aus dem Film Platoon. Nur noch düsterer und gefährlicher, wenn auch attraktiv. Obwohl er garantiert alles dafür tat, um es nicht zu sein. Schon alleine der Anblick seiner zornigen dunklen Augen … Abby fröstelte.
»Bin ich etwa kein schöner Anblick?«, zischte er leise und kniff die fast schwarzen Augen zusammen.
»Du willst ja kein Model werden und auf Plakaten gedruckt die Stadt verschönern, oder?«, rutschte es ihr unbedacht heraus.
Doch anstatt sie zu erwürgen lachte er. Tief und freundlich aber vor allem laut. So laut, dass einige der Anwesenden neugierig in ihre Richtung blickten und miteinander tuschelten. Abby bemerkte Blondie, die sich von einem Mann befummeln ließ, aber gleichzeitig Todesblitze aus ihren Augen zu ihr schickte.
Ach, der gehört dir auch?, dachte Abby spöttisch.
»Du gefällst mir, Kleine. Ich mag es, wenn Frauen sich nicht davon abschrecken lassen wie ich aussehe.«
Innerlich atmete sie erleichtert auf. Sie musterte ihn weiter. Die Narben zogen sich von der rechten Wange zum Ohr und dem Auge. Sah ein bisschen wie ein verdrehtes Ypsilon aus. Der Hals war ebenfalls vernarbt vom Kehlkopf bis zum rechten Ohr. Kleinere Narben waren um die beiden großen verteilt. Als wäre er durch ein Fenster gefallen und die Glassplitter hätten ihn so zugerichtet. Das Gewebe sah wulstig aus und es war deutlich zu erkennen, dass die Wunde schlecht verheilt war. Ansonsten sah er gut aus. Ein bisschen verwegen, mit der Glatze und den dunklen Augen. Er war genauso muskulös und groß wie die anderen Männer hier. Soweit sie erkennen konnte, waren seine Arme mit schwarzen Tattoos bedeckt, die bis zu seinen Fingern reichten.
»So schlimm siehst du ja nun auch nicht aus, dass ich mich davon erschrecken lassen müsste. Hast du mal überlegt, dir die Narben am Hals tätowieren zu lassen?« Abby lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie seine Narben einer weiteren genauen, fachkundigen Musterung unterzog.
»Hab ich, na klar. Aber sie erinnern mich daran, dass das Leben kurz ist.«
»Das kann ein Tattoo auch.« Sie zwinkerte. »Natürlich ist der Hals eine sehr empfindliche Stelle und ich kann es verstehen, wenn du Angst davor hast, dich dort tätowieren zu lassen. Das hält nicht jeder durch – den Schmerz und das alles.« Sie unterstrich die Behauptung mit einer Geste ihrer Hand und einem gespielt unschuldig wirkenden Lächeln.
Wieder lachte er, dieses Mal leiser. »Ich mag dich echt, Kleine. Vielleicht überlege ich es mir ja noch. Jetzt stelle ich dir erst mal Cutter vor – der Boss wird es hassen.«
Savior nahm in seinem Büro die Waffe aus dem Safe. Er konnte es selbst nicht glauben, dass er mitten in der Nacht mit Schneewittchen zu ihrem Haus fuhr, damit sie ein paar Frauensachen holen konnte. Aber das war immer noch besser als die Alternative, die ihm vorhin durch den Kopf geschossen war. Da hätte er sie am liebsten gepackt, besinnungslos geküsst und wäre anschließend mit ihr im Bett gelandet. Dabei mochte er weder küssen, noch Sex im Bett. Doch all das schien seinen Schwanz nicht zu interessieren, der seit ihrem Auftauchen in seinem Büro in Habachtstellung war und nur darauf wartete, von ihrer süßen Enge umschlossen zu werden.
Scheiße, was war er doch für ein Romantiker.
Thug kam herein, wieder mal unaufgefordert. Allem Anschein nach konnte er seinem Vize das nicht abgewöhnen.
»Wo willst du hin?«
»Zu Schneewittchens Haus. Sie braucht ein paar Sachen«, erklärte er in einem Ton, als wäre das völlig normal.
»Soll ich dich begleiten?«
»Ich werde schon alleine klarkommen. Aber du kannst die Leute hier mal ein bisschen im Auge behalten.«
Thug schloss die Tür hinter sich. »Was ist los, Boss?«
»Da ich los muss, bekommst du die Kurzversion. Schneewittchen ist die Tochter von George Waters, der sie zu mir geschickt hat, damit ich sie beschütze, weil er selbst auf irgendeiner bescheuerten Mission unterwegs ist. Außerdem beklaut jemand mich und den Club.«
»Denkst du einer unserer Brüder bestiehlt dich?«
»Ich möchte es nicht glauben, aber die Bücher sprechen eine andere Sprache und es fehlt Bargeld.«
»Könnte jemand mit den Betreibern der Clubs zusammenarbeiten?«, fragte Thug.
»Schon möglich. Ehrlich gesagt weiß ich gerade gar nicht, wo ich nach dem Verräter suchen soll. Ich will keinen der Jungs verdächtigen, aber ich weiß auch, dass es niemand sonst sein kann. Wir werden uns morgen darüber unterhalten. Jetzt muss ich los.«
Sofort wurde Thugs Grinsen dreckiger. »Schon klar, kleinen Abstecher bei Schneewittchen machen und so. Wie kommt George dazu, sie ausgerechnet zu dir zu schicken?«
Savior rieb sich über den Nacken. »Ich bin ihm was schuldig.«
»Willst du mir das näher erklären?«
»Nein.« Mit Sicherheit würde er seinem Vize nicht erklären, warum er George einen Gefallen schuldig war. Savior war jung und überheblich gewesen. Hatte gedacht, niemand könnte ihm etwas anhaben. Schon gar nicht eine Frau. ..
Sein Gegenüber seufzte. »Du bist ja selten gesprächig, aber heute?«
Bevor er Thug erklärte, warum er George den Gefallen schuldig war, musste er mit Abby reden und ihr ein paar Dinge erklären. Dafür war es aber noch zu früh. Er wollte sie nicht jetzt schon verschrecken oder gar vergraulen. Erst wollte er mehr über sie erfahren, sie besser kennenlernen.
Junge, Junge, dachte er, du bist ja heute ein richtiges Herzchen.
Zusammen verließen sie das Büro, kurz überlegte Savior, es abzuschließen, fand das aber zu auffällig. Wenn er in Erfahrung bringen wollte, welcher seiner Brüder ihn hinterging, durfte er sich nichts anmerken lassen. Was ihm jetzt schon verdammt schwerfiel.
Konnte ihm jemand nicht in die Augen blicken? Stand einem der Jungs die Schuld ins Gesicht geschrieben? Fühlte einer sich unwohl ins Saviors Gegenwart?
Plötzlich blieb er stehen und musterte die Szene vor sich. Wut schoss durch seinen Körper. Heiß und brennend versengte sie ihn von innen heraus. Woher das Gefühl kam, wusste er nicht.
Thug stieß ihn leicht mit der Schulter an. »Hättest sie vor allen anpinkeln sollen, dann wäre deine Warnung wohl eher angekommen.« Lachend ließ er ihn stehen und schlenderte gemütlich zur Bar, während Savior innerlich kochte.
Abby kniete neben Cutter auf der Couch, dessen Shirt auf dem Boden lag. Begehrlich wanderten seine funkelnden Augen über ihren Körper. Abby befummelte seine Brust, während Cutter sich entspannt zurückgelegt hatte und Savior nun ein verschmitztes Grinsen zuwarf. Der verdammte Schönling genoss es, Savior zu provozieren.
Und wenn der eines hasste, dann provoziert zu werden. Savior war klar, dass er keine Ansprüche auf Abby geltend gemacht hatte, demnach galt sie mehr oder weniger als Freiwild. Aber er hatte angenommen, wenn er ihnen erklärte, sie stünde unter seinem Schutz, würden sie ihre Finger von ihr lassen. Nun, da hatte er sich wohl gehörig getäuscht.
Und warum zur Hölle fummelte sie überhaupt an einem der Jungs herum? Hatte er ihr nicht erklärt, es wäre besser, wenn sie sich auf niemanden einließ?
Anscheinend hatte Savior ein Autoritätsproblem. Das war