Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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weiß das Wahre, und damit weiß sie was das ist was man Setzung nennt, kennt überhaupt die Denkbewegungen der Seele, was sie setzt und was sie aufhebt, und ob sie das aufhebt was sie setzt oder ein andres, und ob es sich um Verschiedenes oder Identisches handelt, indem sie wenns ihr entgegentritt, ihren Blick darauf richtet wie es auch die Sinneswahrnehmung tut; seine genaue Einzelbehandlung aber überläßt sie einer andern [6]Disziplin, die darin ihre Befriedigung findet. Die Dialektik ist also der wertvollste Teil der Philosophie; denn die Philosophie enthält auch noch anderes; so betrachtet sie die Natur, wobei sie, so wie die andern Wissenschaften die Arithmetik benutzen, Hilfe von der Dialektik erhält, nur daß sie sie bei der Dialektik mehr aus der Nähe holen kann; von ihr holt sie sich auch Hilfe wenn sie über das sittliche Verhalten Untersuchungen anstellt, indem sie ihrerseits die Verhaltungen hinzufügt und die Übungen aus denen die Verhaltungen hervorgehen.

      Übrigens haben die vernunfthaften Verhaltungen das was sie von dort erhalten, auch schon in sich als Eigenes; denn es ist zumeist schon mit ihrem Stoff gegeben; so haben die übrigen Tugenden den jeweiligen Gegenstand ihres Überlegens in dem ihnen besonderen Leiden und Handeln, und die Einsicht ist dann eine Art Gesamtüberschlag, der mehr das Allgemeine der Tugenden betrifft und ob sie ineinander enthalten sind, und ob man jetzt noch warten soll mit Handeln oder ein andermal handeln soll oder ob überhaupt etwas anderes besser ist; die Dialektik, die Weisheit aber ist in noch höherem Grade allgemein und ohne bestimmten Stoff, und bietet so alles der Einsicht zu ihrem Gebrauch dar. Ist es nun möglich daß die niedern Tugenden ohne Dialektik und Weisheit existieren? Nur unvollendet und mangelhaft. Kann man aber weise und Dialektiker allein sein ohne die niederen Tugenden? Das kommt kaum vor; entweder sind sie die Vorstufe, oder sie wachsen zugleich mit jenen heran. So mag er natürliche Tugenden haben, aus welchen durch Eintreten der Weisheit vollkommene werden; dann ist also die Weisheit später als diese natürlichen Tugenden, erst dann bringt sie das sittliche Verhalten zur Vollendung. Kann nun nicht, wenn die natürlichen Tugenden vorhanden sind, sich die Weisheit mit ihnen gemeinsam mehren und gemeinsam vollenden? Nein, die Weisheit ergreift als die frühere diese Tugenden und führt sie zur Vollendung; denn das Auge (die geistige Sehkraft) der natürlichen Tugend ist unvollkommen und ebenso ihre sittliche Haltung; und die Prinzipien, von denen wir sie erhalten, sind in beiden Fällen (auch für die natürliche Tugend) das Entscheidende.

       21

      Das Wesen der Seele (II)

      Im geistigen Kosmos befindet sich das wahre Sein; der Geist ist in ihm das Beste, aber die Seelen sind auch dort; denn von dort her kommend sind sie ja hier. Jener geistige Kosmos nun birgt in sich die Seelen ohne die Körper, dieser irdische aber die Seelen die in die Körper eingetreten und durch die Körper geteilt sind; dort oben aber ist der ganze Geist beisammen, ungeschieden und ungeteilt, beisammen sind auch alle Seelen in diesem einheitlichen Kosmos, nicht in räumlicher Trennung. Der Geist nun ist immer ungeschieden und ungeteilt, die Seele ist dort oben ungeschieden und ungeteilt, es liegt aber in ihrem Wesen geteilt zu werden. Besteht doch ihr Geteiltwerden darin, daß sie sich absondert und in einen Körper eintritt. So heißt es mit Recht daß sie ‘an den Leibern geteilt’ ist, weil sie dabei abfällt und so der Teilung verfällt. Aber wie ist sie zugleich ungeteilt? Sie hat sich nicht gänzlich abgesondert, sondern ein Stück von ihr ist nicht herabgestiegen, und das unterliegt der Teilung nicht. Das Wort also: ‘aus der ungeteilten und sich an den Körpern teilenden’ ist gleichbedeutend mit: aus dem Teil der in der oberen Welt ist und dem in der unteren, das heißt der Seele die mit der oberen Welt zusammenhängt, aber bis in diese Welt sich ergießt wie eine Linie aus dem Kreismittelpunkt. Kommt sie nun nach hier unten, so schaut sie mit eben diesem Teil; und eben dadurch bewahrt sie an ihrem Teil das Wesen des Alls. Denn auch hier unten ist sie nicht nur geteilt, sondern zugleich ungeteilt; denn das was von ihr geteilt wird, wird ohne Teilung geteilt. Denn indem sie sich in den ganzen Körper hineingibt, bleibt sie ungeteilt sofern sie ganz in den ganzen Körper tritt, geteilt aber dadurch daß sie an jeder Körperstelle ist.

       22

      Das Seiende, obgleich eines und dasselbe, ist zugleich als Ganzes überall (I)

      Wohnt die Seele überall dem All bei, weil der Körper des Alls von dieser bestimmten Ausdehnung ist, da es ihr Wesen ist, sich „an den Körpern zu teilen“? Oder ist sie schon selber überall? Freilich nicht, wo sie vom Körper jeweils hingeführt wird, sondern der Körper findet sie vor als eine, die schon vor ihm überall ist, so daß er je dort, wohin er gestellt wird, die Seele findet als vorhanden, bevor er in dem betreffenden Teile des Alls seinen Platz fand, und daß der ganze Körper des Alls gesetzt wurde in die Seele als eine vorhandene. Indessen, wenn sie so ausgedehnt ist und, bevor der so ausgedehnte Körper kam, seinen ganzen Raum erfüllte, wie soll sie dann nicht Größe haben? Und was könnte das für eine Weise sein, vor der Entstehung des Alls im All zu sein, wo es doch das All noch nicht gab? Ferner, wenn sie teillos und größelos sein soll, wie kann man da hinnehmen, daß sie überall ist und doch keine Größe hat? Und wenn einer sagt, daß sie sich mit dem Körper ausdehne, ohne selber Körper zu sein, so schafft er auch so keinen Ausweg aus der Schwierigkeit, indem er ihr die Größe als Akzidentielles gibt; denn folgerichtig könnte man auch diesmal begründet fragen, wieso sie denn akzidentiell Größe erhält. Denn so wie die Qualität, z. B. Süße oder Farbe, am ganzen Körper ist, so ist es doch keineswegs mit der Seele. Denn das sind Affektionen der Körper. Daher erfaßt die Affektion das gesamte Affizierte; sie ist nichts auf sich Beruhendes, sondern ein Etwas des Körpers und wird da als solches erkannt; weshalb sie denn auch notwendig die entsprechende Ausdehnung hat. Ferner, das Weiße eines Teiles empfindet nicht mit dem Weißen eines andern Teiles; auch ist beim Weißen das Weiße an einem Teil mit dem Weißen an einem andern Teil wohl der Art nach, nicht aber der Zahl nach identisch, während bei der Seele das, was im Fuß ist, der Zahl nach identisch ist mit dem in der Hand, wie die Wahrnehmungen beweisen; und überhaupt ist bei den Qualitäten das Identische als ein geteiltes anzusehen, bei der Seele als ein nicht geteiltes, welches nur in dem Sinne als geteilt bezeichnet wird, als es überall ist. So wollen wir also von Grund auf über diese Fragen sprechen, ob uns vielleicht deutlich und annehmbar werden kann, wie sie, die körperlos und größelos ist, zu größter Erstreckung sich ausdehnen kann, sei es vor den Körpern, sei es an den Körpern; und wenn sich ergeben sollte, daß sie schon vor den Körpern dies vermag, so würde es vielleicht leichter werden, das Entsprechende auch an den Körpern hinzunehmen.

      [2]Es stehen sich gegenüber einerseits das wahre All, anderseits das Nachbild des Alls, die Wesenheit dieser sichtbaren Welt. Das All im eigentlichen Sinne nun ist in nichts, denn nichts ist vor ihm. Aber was etwa nach ihm ist, das ist dann allerdings zwangsläufig im All, wenn es überhaupt sein soll, hängt enge von ihm ab und kann ohne es nicht beharren noch sich bewegen. Denn auch wenn jemand dieses nicht als an einem Ort ansetzen will (indem er unter Ort entweder die Grenze des umgebenden Körpers versteht, vermöge derer er umgibt, oder einen Zwischenraum, der früher zum Leeren gehörte und noch jetzt zu ihm gehört), sondern nur sofern es gleichsam im All gründet und ruht, da das All überall ist und alles zusammenhält, der möge von der Wortbezeichnung absehen und das Gemeinte dem Sinne nach nehmen. Dies aber stellen wir fest nur um eines andern willen, weil nämlich jenes All, welches das Erste und das Seiende ist, keinen Ort zu suchen braucht und überhaupt in keinem Dinge ist. So kann das All als Alles auf keine Weise an sich selber eine Lücke haben, sondern es ist in sich selber erfüllt und ein sich selber gleiches Seiendes; und wo das All ist, dort ist nur es selber; denn es ist ja das All. Und überhaupt: wenn ein Ding in dies All gestellt würde und ist ein Anderes als das All, so erhält es teil an ihm, trifft mit ihm zusammen und bekommt von ihm Kraft, ohne es doch zu teilen, sondern es findet das All als in sich ruhendes, indem es seinerseits zum All hintritt, ohne daß das All aus sich heraustritt. Denn unmöglich kann das Seiende im Nichtseienden sein, sondern, wenn überhaupt, das Nichtseiende im Seienden. So trifft es auf das Seiende als auf ein Ganzes; denn das Seiende konnte nicht von sich selber abgespalten werden. Und wenn man sagt, daß es überall sei, so bedeutet das: im Seienden, und das heißt: